Dieses Kapitel betrifft einen besonderen Entwicklungsabschnitt in Europa. Ein Blick in diese Zeit zeigt uns nicht nur die unglaubliche Unfähigkeit der herrschenden Kaste. Er offenbart uns auch, was aus der Unzufriedenheit großer Bauernmassen werden kann, wenn man ihnen permanent die Produkte ihrer Arbeit stielt und zugleich die Möglichkeiten freier selbstbestimmter Arbeiten vorenthält. Welche Auswirkungen kann es denn haben, wenn eine komplette Oberklasse ausschließlich von Habgier durchtränkt ist und dazu auch noch eine gnadenlose gesellschaftszersetzende Unfähigkeit an den Tag legt. Und das in jenen Jahrzehnten, als ein modernes gesellschaftliches Steuerungsmittel auf den Plan tritt: Geld. Geld als ein neuer Massenartikel, der einerseits bei sinnvollem Einsatz technische Entwicklungen beschleunigen könnte, andererseits extrem destruktive Kräfte ungewöhnlichen Ausmaßes offenbart. Eine Kollision dieser Probleme mit der von der damaligen Kirche zugleich verbreiteten Weltuntergangsstimmung musste zwangsläufig zu gesellschaftlichen Zusammenstößen größter Dimension führen. Diese Kämpfe zeigten dann, das aus Bauern- und Volkskräften deutlich bessere Führungskräfte hervorgehen konnten als es die zeitgenössische Herrschaftsschicht zustande brachte.
Bereits im 13. Jahrhundert passierte etwas in Europa, das zu dem Gerücht führte, in der Kirche hätte sich der Antichrist eingenistet. Im 14. Jahrhundert hatten sich daraus schon fast europaweite antipäpstliche Stimmungen entwickelt, deren Ursachen so verschieden wie möglich sein mochten, letztlich waren sie jedoch der offensichtlichen Habgier, der allbekannten Verlogenheit und der kriminellen Energie des Heiligen Stuhls geschuldet. Die Tatsache des alltäglichen Missbrauchs der Kirche zum Geldmachen durch Ablaßhandel war bereits zu dieser Zeit breiten Bevölkerungskreisen bekannt. So fanden sich mutige Gegner dieses organisierten Raffens schon ein Jahrhundert vor Martin Luther. Der englische Reformator John Wyclif rückte aus Empörung über die hemmungslose Bereicherungssucht das Studium der Bibel wieder in den Vordergrund theologischer Studien. Aber genau deswegen wurden seine Sätze 1382 auf der Dominikaner-Synode in London verurteilt, ein Jahr nach dem Bauernaufstand des John Ball. Das geschah nicht ohne Grund, denn Wyclif schrieb, das es gegen die Heilige Schrift verstößt, wenn Geistliche Besitztümer haben. Weiter behauptete er, dass Priester im Stande der Todsünde keine gültigen Amtshandlungen mehr vornehmen könnten und schließlich nannte er die römische Kirche eine Synagoge des Satans.
Freiheitliche Gedanken sind nicht so leicht zu unterdrücken wie spontane Bauernaufstände. Zwei junge Gelehrte aus Böhmen brachten vom Studienbesuch in England nicht nur ein Stück von Wyclifs Grabstein mit nach Prag sondern auch seine gefährlichen Schriften. Hier in Böhmen wirkte sich gerade ein hastiger Übergang zur Geldwirtschaft in Produktion und Handel auf alle Bereiche des Lebens aus. Silbererzfunde und eigene Münzprägung führten zu neuem Reichtum. Aber die (vorwiegend deutschen) Patrizier, die den arbeitsamen Siedlern folgten, vernachlässigten die Produktion, verachteten die qualifizierte Arbeit des Handwerks und das unermüdliche Schuften der Bauern. Dabei war es den werktätigen Anstrengungen zu verdanken, dass böhmisch geprägtes Geld seinen Wert bekam. Die törichte Überbetonung des Handels brachte eine Hemmung in die einst progressive Entwicklung. Gleichzeitig bildeten sich finanzielle Faktoren sozialer Unterdrückung heraus. Die Spannungen innerhalb einer stark aufgesplitterten Feudalgesellschaft spitzten sich unter König Wenzel IV. (1378-1419) zu. Die Bewegungen gegen geistliche und weltliche Feudalherren sowie gegen die städtische Oberschicht traten im religiösen Gewand auf. Einer ihrer Wortführer hieß Jan Hus.
Gerade zum Rektor der Universität Prag ernannt, musste sich dieser Mann 1409 erstmalig vor der Inquisition verantworten. Hus war kein Bauernanführer, er war Theologe und als solcher kämpfte er leidenschaftlich gegen die Verweltlichung der Kirche, erfreute sich der Gunst des böhmischen Hofs und der tschechischen Bevölkerung Prags. Etwa gleichzeitig scheiterte ein Konzil in Pisa. Statt der beabsichtigten Beseitigung des Umstands, dass mit Papst Gregor XII. und Gegenpapst Benedikt XIII. zwei Päpste die Kirche leiteten, gab es nunmehr einen dritten Papst Alexander V. Während über 200 Handschriften Wyclifs verbrannt wurden, belegte man 1410 Jan Hus mit dem Kirchenbann. 1412 erklärte sich auch die Prager Theologische Fakultät gegen Hus. Er wurde aus Prag ausgewiesen. Das brachte Unruhen in Böhmen.
Sie fielen mit dem Kreuzzugsaufruf von Papst Johannes XXIII. in einer innerkirchlichen Angelegenheit zusammen, bei der vom Ablaßhandel mit extrem zynischen Praktiken Gebrauch gemacht wurde und wobei sich der böhmische König selbst daran bereicherte.
Wenn man will kann man heute die Hussitengeschichte antideutsch oder antitschechisch schreiben. Man kann sich religionstheoretisch darüber auslassen oder genealogische Thronreihenfolgen diskutieren. Für die Gegenwart jedoch ist die soziale Betrachtung von viel wichtigerer Bedeutung. Sozial gesehen ging es hier um den Kampf zwischen beutegierigen und zugleich völlig untalentierten Herrschern einerseits und ihren arbeitsamen und zutiefst gläubigen Untertanen andererseits! Selbstverständlich traten diese Gegensätze in religiöser Umkleidung auf, im 15. Jahrhundert war für die Menschen in Europa keine andere systematische Denkweise möglich.
Der Hussitenbewegung ging eine sogenannte "Goldene Epoche" voran. Manche Historienschreiber benutzen immer dann den Begriff "golden", wenn es Massenarmut zu verschleiern gilt. Im vorliegenden Fall war es das Goldene Zeitalter, das der Aufruhr voranging, und also für die kleinen Leute nicht so strahlend gewesen sein kann. Nicht genug damit, dass sich die Untertanen in Böhmen den wahren Glauben gleich von drei Päpsten predigen lassen mussten, sie hatten sie es gleichzeitig auch noch mit drei Königen zu tun. Böhmische und deutsche Fürsteninteressen vermengten sich mit luxemburgischen Familienzwistigkeiten. Das machte den Alltag der Untertanen nicht leichter. Den einen König nannten sie daher "den großen Lügner" (Jobst von Mähren), den anderen hießen sie "den Faulen" (Wenzel von Böhmen) und der dritte, Sigismund , zeichnete sich durch erfolglose Schlachten gegen die Osmanen aus und durch Niederschlagungen der Revolten böhmischer Bauern. Die moderne Geschichtsschreibung nennt das die Böhmischen Wirren. In Wahrheit zeigte sich eine völlige moralische Verwahrlosung der Herrschenden, sowohl im höheren Adel als auch im Klerus. Es ging ausschließlich um Bereicherung: Bereicherung an Boden, an Bodenschätzen, an Produkten und seit hundert Jahren etwa hauptsächlich an Geld! Dem stand etwas Gegenüber, das noch aus der Zeit der fleißigen Kolonisten stammte: die Sehnsucht nach ehrlicher, befriedigender und produktiver Arbeit und die damit verbundene Freiheit ohne Zahlzwang für Steuern oder Ablässe. Der erste Widerstand zeigte sich in vielen Zahlungsverweigerungen, in der lokalen Selbstorganisation kirchlicher Gemeinden und in der äußerst nachlässigen Bereitstellung von Soldaten. Nicht nur Bauern oder städtischer Plebs, auch die Gelehrten der Universität und die Kaufleute des internationalen Handels, und nicht zuletzt die pfründelosen Priester und Theologen - sie alle suchten nach einem Ausweg und waren nicht mehr gewillt, ihren Herrschern alles durchgehen zulassen. Reformatorische Gedanken breiteten sich sehr schnell aus.
Da vereinbarte 1413 König Sigismund mit dem Pisaner Papst Johannes XXIII. die Einberufung des Konzils nach Konstanz. Das Konzil zu Konstanz sollte über drei Themen beraten:
Erstens über die Sache des Glaubens, gemeint war damit die Hussitenfrage. Zweitens über die Kirchenspaltung, das betraf die Päpste und Gegenpäpste Johannes XXIII., Gregor XII., Benedikt XIII., Martin V. usw. Drittens wollte man sich über eine Kirchenreform einigen. Der hinzu gerufene Jan Hus starb trotz königlichem Sicherheitsversprechen am 6. Juli 1415 als Ketzer auf den Scheiterhaufen. Daraufhin erfasste die böhmische Bevölkerung ein Sturm der Entrüstung.
Hauptkraft der Volksbewegung bildete die Bauernschaft. Sie war den grausamsten Formen der feudalen Ausbeutung ausgesetzt, die sich durch die neuen Entwicklungen im Münzwesen herausgebildet hatten. Der Prager Groschen, durch den Silberabbau in Kutna Hora (Kuttenberg) seit hundert Jahren hervorgebracht, heizte die Ware-Geld-Beziehungen zum Nachteil einer großen Mehrheit der Bauern an. Es begann sich eine Niedrig-"Lohnarbeit" für Bauern unter Anwendung von Feudalgesetzen zu verbreiten. Anfangs flohen die Ackermänner von den Feldern, verweigerten Dienste und Abgaben und schließlich verbrannten sie herrschaftliches Getreide und Gutshöfe. In Pisek, Klattau, Pilsen, Sezimovo und Usti brachen Aufstände aus. Tausende versammelten sich auf einem Berg in Südböhmen um reformatorische Predigten zu hören und schließlich, 1420, gründeten sie auf einer solchen Massenveranstaltung die Stadt Tabor. Anwesende auf diesen Missionspredigten sprachen von vierzig- bis fünfzigtausend Teilnehmern.
Damit beginnt die Geschichte der Taboriten. Schon ein Jahr zuvor erstürmten radikale Hussiten in Prag das Rathaus und warfen den Bürgermeister und seine Bürokraten aus dem Fenster, ein Vorgang, der in die Geschichte als Erster Prager Fenstersturz einging. Die Revoluzzer waren Städter, keine Bauern. Die Landleute standen fest in der Schlacht auf dem Vitkov bei Prag am 14.Juli 1420 gegen König Sigismund, der Jan Hus an den Papst ausgeliefert hatte. Dessen Söldner-Heer mit angeworbenen Böhmen, Mähren, Ungarn, Kroaten, Dalmatiner, Bulgaren, Wallachen, Sikuler, Kumanen, Jazygen, Russen, Raizen, Slowaken, Preußen, Serben, Thüringern, Steyrern, Meißenern, Bayern, Sachsen, Österreichern, Franken, Franzosen, Engländer, Brabantern, Westfalen, Holländern, Schweizern, Lausitzern, Schwaben, Kärntnern, Aragoniern, Spaniern, Polen, und Deutschen (so zählte der Chronist Vavrinec v. Bresova sie auf) wurde von den Hussiten geschlagen.
Damit endete der I. Kreuzzug gegen die Hussiten mit einer Niederlage des sogenannten katholischen Heeres. Die Sieger waren Ziskas Bauern!
Ziskas Bauern, aus härterem Holz geschnitzt als die zusammengewürfelten Söldner des Königs, konnten auf eine andere Herkunft als die Ritter zurückblicken. Ihre Vorfahren rodeten einst als freie Leute die Wälder und sie kannten noch die Befriedigung, die beschwerliche, aber freie Arbeit hervorzubringen vermochte. Das wieder zu erreichen bildete eine unglaublich starke Motivation. Und sie waren zugleich mutig und klug. Sie modernisierten selbständig ihre Kriegstechnik und ihre Einheiten besaßen Schnelligkeit und Beweglichkeit, die nur freiwillige Disziplin gestattete. In fünf großen Verteidigungsschlachten zwischen 1420 und 1433 besiegten sie die gegen sie marschierenden Kreuzzügler.
Aber ihre Geschichte ist wie alle Heldenhistorie nicht frei von Verrat und Uneinigkeiten. Die Reihe des Verrats begann mit der Ermordung Jan Zelivskys 1422, einer der Anführer des Prager Aufstandes und der ersten Heerführer der Hussiten.
Die Uneinigkeit der Bewegung resultierte aus der Verschiedenartigkeit der Herkunft ihrer Protagonisten. Die Calixtiner, deren politische Forderungen in den vier Prager Artikeln festgehalten wurden, entstammten zumeist städtischen Bürgerkreisen und niedriger tschechischer Ritterschaft. Die Enteignung der Kirche sollte ihren kleinen Bodenbesitz erweitern und die Freiheit der Predigt sollte in den Städten zugleich die Privilegien der Kirchenleute beseitigen. Ihre Ziele vermengten sich nicht unbegründet mit nationalen Befreiungshoffnungen, aber auch mit extremen antideutschen Haltungen. Das Vorgehen deutscher Geschäftsleute bot hinreichenden Konfliktstoff.
Zu den Motiven gegen ausländische Vorherrschaft kam es aus Jahrzehnte zurückliegenden Gründen, die eng mit der Bodenfrage zusammenhingen. Die Besiedlung Böhmens gestattete Neubauern und kleinem Landadel anfangs solide Freiheiten. Die römische Kurie hatte sich lange Zeit um die böhmische Provinz nicht wirklich gekümmert. Mit den wirtschaftlichen Erfolgen der Besiedlung wuchsen die Begehrlichkeiten und so wurde vom Gegenpapstsitz Avignon aus aggressive Geldpolitik in die bisher unbelästigt gebliebene böhmische Kirche hineingetragen. Mitte des 14.Jahrhunderts fielen fast alle Bistümer und Abteien dem päpstlichen Besitzrecht anheim. Da die kolonisierenden Bauern der zweiten und dritten Generation als Papsttreu angesehen wurden, erhielten insbesondere deutsche und polnische Geistliche die Benefize über die bislang von Laien kontrollierten Dorfkirchen. Daraus entwickelte sich später ein nationaler Gegensatz zwischen Tschechen und Deutschen mit dem Vorwurf der Bevorzugung der deutschen Bevölkerung. Es verbreitete sich die Vermutung, dass der Papst ein System der Ausländer-Belohnung durchsetzte, weil diese bereit waren, ihre Kircheneinnahmen an den Heiligen Stuhl zu senden. Diese Beschuldigungen hatten durchaus reale Hintergründe. Betrieb König Wenzel nicht die gleiche Praxis? War es nicht der oberste Fürst, der mit Papst Bonifatius IX. noch 1393 einen Deal hinsichtlich kirchlicher Opfergelder absprach? Wenn ausländische Pilger vier Prager Kirchen besuchten, durften sie sich den Weg nach Rom sparen. Die Hälfte ihrer Opfergelder, die sie dabei an die Kirche des heiligen Petrus zahlten, floss sofort in die Taschen des Königs.
Die Taboriten, aus den sich auf dem Berg Tabor versammelnden Bauernmassen hervorgegangen, konnten sich durchaus mit den Prager Artikeln der Kalixtiner abfinden, ihr Programm ging jedoch wesentlich weiter und sie stellten sich von Anfang an auf den bewaffneten Kampf ein. Sie wollten als Getreue Christis, als Streiter Gottes, einen Umsturz der Welt, eine Befreiung vom Bösen durch das Gute. Das betraf die Bodenfrage mit gerechter Aufteilung, das betraf das Verbot der Zehntenzahlung und die Abschaffung aller Abgaben. Da Christus jedem seine Wahrheit ins Herz zu schreiben vermochte, war eine Auslegung der Bibel durch Kirchenleute überhaupt nicht nötig. Und schließlich bestanden die Taboriten auf strengste Disziplin und Ordnung, teilten die Lebensmittel untereinander gerecht auf und bekämpften mit drastischen Maßnahmen jeglichen Luxus.
Historisch auffallend ist die lange Reihe der Niederlagen der adligen Kreuzzügler. In der Schlacht auf dem Vitkov bei Prag (14. Juli 1420) endete der I. Kreuzzug gegen die Hussiten schmachvoll für die von Sigismund und Papst Martin V. zusammengetrommelten Ritter. Fast genau ein Jahr später erklärten die Böhmen König Sigismund für abgesetzt, weil er: "… ein Mörder der Ehre des böhmischen Volkes und seiner Sprache …" sei. Der II. Kreuzzug mit etwa 100.000 Mann wider den böhmischen Ketzern, verlor in verschiedenen Gefechten und zielte schließlich auf die Silberminen. Bei Nemecký Brod 50 km vor Kuttenberg zwangen Zizkas Leute die Ritter zur wilden Flucht nach Ungarn. Der viel in Europa umhergeirrte und sich oft mit Sigismund streitende Friedrich von Brandenburg führte den III. (erfolglosen) Kreuzzug gegen die Aufrührer an. Und um es kurz zu machen, den IV. Kreuzzug schlugen die Hussiten im August 1426 zurück.
Wie konnte es zu solch dramatischen Niederlagen der europaweit herrschenden hohen Herren kommen? Wie waren Niederlagen der Kaiser und Könige, der Päpste und Bischöfe dieser fatalen Größenordnungen überhaupt zu erklären?
Wir wissen heute, dass die sich schnell ausbreitende Geldwirtschaft auch die Entwicklung des Heerwesens dieser Zeit stark beeinflusste. Die Geldmengen befanden sich jedoch nicht schlechthin in Umlauf für die Produktion, schon gar nicht in den Händen der Bauern, sondern als Anhäufungen in den Schatztruhen der päpstlichen Kirchen (seit Avignon gab es zwei katholische Zentren), der hohen Fürsten und der Patrizier. Die Ritter, vom neuen Geldwesen real benachteiligt, zogen neuerdings für bare Münze ins Gefecht. Vormals galt eine Lehnsabhängigkeit für diesen Stand, jetzt wurde der mehr und mehr durch simples Söldnertum ersetzt. Der Anteil der Söldner in den Kreuzzugsheeren stieg beständig und entsprechend der Zahlungsfähigkeit von Kaiser und Päpsten stieg oder sank die Kampfmoral der Kreuzfahrer. Selbst wenn Bauernsöhne in deren Heere gepresst wurden, so geschehen in der Lausitz und in Österreich, galten sie für die Familien der Landleute als unersetzlichen Verlust und entsprechend war deren Kampfmoral. In diesem Zusammenhang muss auch ein Name erwähnt werden: Heinrich von Beaufort. Dieser englische Finanzexperte und Kardinallegat erarbeitete das Konzept für die erste deutsche Reichssteuer. Diese Steuer wurde erfunden, um Geldmittel für ein Söldner-Heer gegen die Hussiten zusammenzubringen. Sie sollte 1427 (!) alle über fünfzehn Jahre alten Einwohner in den deutschen Landen erfassen. Wie alte Quellen belegen, liefen die Zahlungen jedoch nicht wunschgemäß ein. Das wird dem päpstlichen Legaten für Deutschland, Ungarn und Böhmen vielleicht politische Beunruhigung aber nicht allzu sehr private Sorgen bereitet haben. Beaufort galt schon zu Lebzeiten als der reichste Mann Englands. Auf sein Konto ging übrigens auch das Todesurteil von 1431 für die Jungfrau von Orleans. Solcher Art waren die Leute, die die Taboriten ehrlichen Herzens bekämpften. Und deswegen hieß es in einem ihrer Marschlieder: "Wegen Raub, aus Gier nach Gold, lasset euer Leben nicht, und bei Beute haltet euch nicht auf."
Die Kette der erfolgreichen Schlachten der Hussiten, die ihre Truppen bis an die Ostseeküste in das Gebiet des Deutschen Ordens führen konnten, muss mit den hohen Sympathien, die sich nicht nur auf die böhmische Bevölkerung begrenzten, zu tun haben. Man kann berechtigt davon ausgehen, dass die bewaffneten Bauernknechte und Handwerkersöhne immer auch Unterstützung von Stadtplebs und aus der Dorfarmut in den eroberten Gebieten fanden. Der herrschaftlichen Geschichtsschreibung sind solche Fakten jedoch nicht zu entnehmen. Wer aber hat dann den abgekämpften Kolonnen geholfen, die leeren Pulverfässer auf ihren Wagen wieder aufzufüllen? Wer lieferte ihnen auf den langen heimlichen Transportwegen aus den heimatlichen Werkstätten im taboritischen Böhmen neue Waffen und Kugeln nach? Wer gab ihnen Auskunft, in welche Richtungen sie zu gehen hatten, um beste Stellungen für ihre Wagenburgen zu finden?
Das waren die äußeren solidarischen Kräfte. Woher nahmen aber die Taboriten ihre inneren Stärken her?
Den Kreuzzugsheeren, die zunehmend vom Söldnertum beeinflusst wurden, standen Kämpfer entgegen, die moralisch eine starke Festigung durch hussitische Überzeugungen erlangten. Die Hussitenheere wurden gekennzeichnet durch einen historisch neuen Charakter.
Zumeist aus der Bauernarmut und dem Stadtplebs hervorgegangene Einheiten wurden oft geführt von kleinen Adligen, aber auch von Handwerkern oder Bauernsöhnen. Die soziale Herkunft trug für Befehlsränge keine Bedeutung.
Aber nicht nur moralische Überlegenheit und hohe Disziplin spielten eine Rolle, auch die moderne Kampftechnik der Hussiten beeinflusste die lange Kette ihrer siegreichen Gefechte. Die Einführung der Wagenburg-Taktik verband schnelle Marschgeschwindigkeit mit hoher Verteidigungsfähigkeit. Von den Hussiten entwickelt finden wir noch zweihundert Jahre später im Dreißigjährigen Krieg ihre Anwendung und selbst bei den Besiedlungskämpfen des Westens in Nordamerika im neunzehnten Jahrhundert sind noch Ausläufer dieser Taktik erkennbar.
Die Hussiten unterschieden im Laufe ihrer Entwicklung zwischen dem Heimatheer Tabors und dem Feldheer Neues Tabor. Die Handwerker in der Heimat entwickelten und produzierten neue und beweglichere Waffen, die der schweren Reiterei des Ritterheeres schwerste Verluste hinzufügen konnten. Berüchtigt waren die Wirkungen der nur 130 cm langen Hakenbüchsen aus Pilzen. Mit Eisenband geschmiedete Feldgeschütze, die sogenannten Tarasbüchsen aus Znojmo erreichten Kaliber bis 100 mm. Geschossen wurde mit Steinkugeln, aber historisch interessant ist es schon, dass es erste Versuche mit eisengeschmiedete Kugeln und gegossenen Bleikugeln gab. Die böhmischen Werkstätten entwickelten sogenannte Kammergeschütze, die man als Vorläufer der Rücklader betrachten kann. Ständig arbeiteten die sich von feudalen Lasten befreit fühlenden Städter an neuer und besserer Bewaffnung für ihr Feldheer. Die Geschichte der modernen Tschechischen Rüstungsindustrie begann hier. Auf ihrem Heerzug 1428 bis 1429 nach Meißen und Bayern führten die Kampftruppen mit 2500 Wagen etwa 3000 Handfeuerwaffen, 300 Tarasbüchsen, 60 Geschütze größeren Kalibers und fünf große Geschütze mit sich. Diese hohe Konzentration an Feuerkraft und ihre Beweglichkeit musste tatsächlich den noch auf Ritterkämpfe orientierten Gegner überraschen. Nicht selten wurden die fürstlichen Einheiten zu wilder Flucht getrieben.
Kommen wir zu der wichtigen Frage, warum denn bei all den Siegen und Fortschritten die Hussiten schließlich und dennoch nach anderthalb Jahrzehnten verloren? Die Bitterkeit des Sieges der feudalen Kräfte kommt selbst noch den unpolitischsten Historiker an, wenn er die Umstände der Niederlage betrachten muss. Die Antwort ist schlicht und einfach mit Uneinigkeit gegeben. Wie anfangs schon erwähnt, war es die aus differierenden Klassen- und Schichtinteressen gegebene Uneinheitlichkeit der Ziele, die Keile in die fortschrittliche Bewegung trieben. Während sich Städtebürger mit religiösen Freiheiten, die später auch noch widerrufen worden sind, zufrieden gaben, während sich die lokalen böhmischen Landadligen an den kirchlichen Gütern bereicherten und während sich die Fürsten Unabhängigkeiten von der Zentralgewalt eroberten, brachte die letzte Niederlage den Bauern neue Zwangsabgaben und Pressungen, so dass einige Historiker nicht unberechtigt von der Schaffung einer zweiten Leibeigenschaft sprechen.
Wie wir gesehen haben, offenbarte sich der Spaltpilz zuerst zwischen den Calixtinern und den Taboriten. Aber auch innerhalb der Taboriten kam es zu Auseinandersetzungen, sogar zu Kämpfen und schwersten Exzessen. Anhänger eines urwüchsigen, aber sehr primitiven Kommunismus, hatten sich auch unter den Massen auf dem Berg Tabor eingefunden. Sie predigten religiöse Thesen derart, dass der Teufel in den Herzen böser Menschen lebt und das vor dem Jüngsten Gericht ein tausendjähriges Reich Gottes steht, das jetzt begonnen habe. Daher sei jegliches private Eigentum abzulehnen. Diese Chiliasten (chilici = Tausend) verunsicherten vor allem die Bauern unter den Taboriten.
Die Mehrheit der Bauern wollte ihre Produkte als Waren gegen Geld verkaufen, eine an sich damals zeitgemäße Vorstellung.
Nach kurzen heftigen Gefechten verlief die Abrechnung mit der kleinen, auch Pikarden genannten Minderheit sehr grausam, vierzig von ihnen endeten im Frühjahr 1421 auf dem Scheiterhaufen.
In Prag regierte kurzzeitig ein anderer radikaler Flügel. Aber nach dem Ausschalten Zelivskys 1419 und seiner Fraktion bildete die Hauptstadt das Zentrum der gemäßigten Calixtiner. Sie stellten sich für die Interessen der reicheren Bürger und des tschechischen Adels in die aktive Auseinandersetzung. Im Feld formierten sich anders als in der Stadt, die Taboriten. Die Taboriten mit Zizka an der Spitze, die sich von den Universitätsprofessoren die Bestätigung für eine verpflichtende Kriegsführung zur Verteidigung der hussitischen Sache geholt hatten, verbanden strenge Lebensführung, einfache religiöse Liturgie und disziplinierten Waffendienst auf ihren erfolgreichen Heerzügen miteinander. 1424 verstarb der bereits erblindete Hussitenheld Zizka an der Pest. Der radikale Flügel der bewaffneten Taboriten nannte sich daraufhin Die Waisen und kämpfte siegreich weiter unter Führung eines ebenso fähigen Militärs: Andreas Prokop, genannt Prokop der Kahle.
Nach den vielen militärischen Niederlagen versuchten die feudalen und klerikalen Kräfte Europas andere Mittel und Wege zum Eindämmen der für sie weit über Landesgrenzen hinweg gefährlichen Hussiten. Das starre, brutale und politisch ungeschickte Vorgehen der Fürsten hatte nur die einigenden Interessen der böhmischen Revolutionäre verstärkt. Von ihren hohen Verlusten gedemütigt und angesichts immer unruhiger werdender deutscher Bauern, begannen 1432 die Herrschenden Verhandlungen aufzunehmen mit dem Zweck der Aufspaltung ihrer Gegner. Mit einer scheinbaren Akzeptanz der vier Prager Artikel endeten ein Jahr später die ersten Gespräche. Damit wurde ein Keil zwischen Calixtiner und Taboriten getrieben. Nun standen sich einheimische Adlige und wohlhabende Städter einerseits, Landlose und Stadtplebs andererseits wieder ernsthafter gegenüber. Auch die Tatsache, dass sicherlich die Besten in den langen Heerzügen der Taboriten schon gefallen waren, muss beim Ergebnis der Schlacht von Lipan 1434 berücksichtigt werden. Der 30. Mai 1434 brachte den Tod von Andreas Prokop und die abschließende Niederlage für die Taboriten, sie verloren gegen die einst eigenen Leute, die sich nun mit Sigismund verbündet hatten. 1437 wurde Jan Rohác, der Anführer des letzten Taboritenverbandes hingerichtet.
Der Kampf der hussitischen Bauern konnte den historischen Vorgang der generellen Verbreitung der Ware-Geld-Beziehungen nicht aufhalten, ja nicht einmal bremsen. Aber er trug dazu bei, dass die Ideen einer sozialen gesellschaftlichen Ordnung erhalten blieben, ja sich noch ausweiten konnten. Ganz Europa hatte gesehen, welche Kraft breite Massenbewegungen aufzubringen vermögen und das die Herrschaft einer kleinen Schicht immer mit der Gefahr ihrer gewaltsamen Ablösung rechnen muss, wenn sie in ihrer Unfähigkeit die Widersprüche sich ungehindert zuspitzen lässt. Es ist nicht übertrieben, wenn man die Bewegung der Hussiten als historische Vorläufer der Reformation im nachfolgenden Jahrhundert bezeichnet. Und dass die sozialen Kämpfe längst nicht beendet waren, sollten die Bauernaufstände 1437 in Siebenbürgen und 1440 an der Moldau zeigen.
Und nicht unerwähnt soll hier der Name des Thomas Münzer sein, der hundert Jahre nach den Hussitenkämpfen sich als Fortsetzer ihrer Ideen verstand.
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Jan Hus auf dem Luther-Denkmal in Worms
(Lutherdenkmal von Ernst Rietschel begonnen 1858)
(Foto Lorenz 2012) |