Martin Luther versus Fugger
Notizen zum Zinsverbot in der Frühen Neuzeit
Modernen Autoren der Gegenwart beschreiben die scholastischen Ergebnisse der Schule von Salamanca (Anfang 16. Jahrhundert)
mit den schönen Worten von natürlichen Rechten, menschlicher Würde, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit usw.
Der hier zu betrachtende Aspekt dieser iberischen Scholastik betrifft eine Frage, die 1517 (!) in Antwerpen aufgeworfen wurde:
Darf ein Handel mit dem Ziel wachsenden privaten Reichtums getrieben werden? Die Frage war zeitgemäß, denn europaweit
vollzog sich ein Prozeß, der anfangs unterschwellig, später mit gröbster Gewalt eine neue Art der Geldwirtschaft
Realität werden ließ. Die einfachen Warenbeziehungen wurden seit dem 12. Jahrhundert langsam von Ware-Geld-Beziehungen
abgelöst, die sich zweihundert Jahre später zu Geld-Arbeit-Ware-Geld-Beziehungen entfalteten. [1]
Zu Beginn betraf das nur einzelne Zentren vornehmlich im Süden Europas.
Seit dem 16. Jahrhundert weitete sich jedoch die Sache mit den zur Verfügung stehenden Erzmengen (Au, Ag, Cu) wellenartig aus,
und als die Scholastiker sich mit theoretischen Fragen dieses Phänomens zu beschäftigen begannen,
lief die Suche nach neuen Edelmetallvorkommen weltweit bereits auf Hochtouren. Aus der Lutherschrift An den christlichen Adel deutscher Nation um 1520 Moderne Historiker zitieren das gern derart, als erschiene dem Luther es nur fälschlicherweise so, das das maximale Gewinnstreben solcher Gesellschaften mit Gemeinnutzen und Gerechtigkeit nicht vereinbar wären. Der heutige Leser möge glauben, der Reformator befände sich damit in einem grundsätzlichen Irrtum. Doch Luther war viel weitsichtiger als viele seiner Zeitgenossen: Aus der Lutherschrift An den christlichen Adel deutscher Nation um 1520
Öffentlich ging es um den verlogenen Ablaßhandel, im Kern jedoch war das kanonische Zinsverbot der
Streitpunkt, der zu Beginn der Reformation tatsächlich breit diskutiert wurde. Die kirchlichen Reformer
bestanden auf einer strikteren Beibehaltung und Durchsetzung des Verbots. Aber in der Kirche selbst
war der Umgang mit Krediten bereits zur Normalität geworden.
Der Brixener Bischof Melchior, der aus welchen Gründen auch immer von den Historikern zu den
Humanisten gezählt wird, hielt nicht nur für den künftigen Kaiser Maximilian Geldbeträge bereit,
er gilt auch als einer der ersten
großen Kreditgeber für die Fugger. 1496 legte dieser Fürstbischof Gelder für beträchtliche Zinsen bei den
Augsburgern an. Er war damit kein Teilhaber sondern der Einnehmer der Gewinne von verzinsten Einlagen. (L1 S.79)
Ein neues Geschäftsfeld tat sich hier auf! Umgekehrt hatte der Erzbischof von Mainz Uriel von Gemmingen bei den Fuggern
Darlehen von 21 000 rheinischen Gulden aufgenommen. Im Zeitraum von 1495 bis 1520 wirkte das Bankhaus Fugger
in 88 Fällen zur Konfirmation der Bischöfe bei der Überweisung der Servitiengelder mit, das betraf
Kirchenobere in den deutschen Landen, in Ungarn, Polen, Schweden, Dänenmark, Norwegen, Finnland,
Estland, Dalmatien und Kroatien. (L2 S.110,120) Ein öffentliches Dagegenhalten war somit durchaus gefährlich und
nicht jedermanns Sache, mutige Leute vom Schlage Luthers waren damals ebenso selten wie heute.
Ausgerechnet Kirchenfürsten und Mönche (man ist geneigt, sie im Gegensatz zu wirklich Gläubigen als Berufschristen zu bezeichnen), beschäftigten sich mit Theorien über die Habsucht, nicht etwa in der Phalanx der Gegener der Ursünde, sondern als deren spitzfindige Befürworter. Das zwang sie selbstredend zu philosophischen Drechseleien, die aus falsch ein richtig zu formulieren wußten. Die Philosophie, die daraus entstand, nannte sich Probabilismus. Das darin enthaltene Moralsystem geriet natürlicherweise mit den überlieferten Moralanschauungen des Christentums in Konflikt. Erst Jahrzehnte später engagierten sich sogar katholische Gegner dieser Verzerrungen, deren berühmtester Vertreter Pascal werden sollte. Die Kirchenoberen nutzten viele Möglichkeiten, ihre nun alltäglich gewordenen Geld-Begierden propagandistisch unter das Volk zu bringen. Tausende Mönche waren in allen Gegenden Europas tätig, den Ablaßhandel in neuer Geldform zu predigen, deren berüchtigster Vertreter Tetzel in die Geschichte eingegangen ist, weil seine schauderhaften Predigten den Luther zur Aufmüpfigkeit anstachelten. (In der Ökonomie unserer Gegenwart sind diese christlichen Tetzels nicht mehr notwendig. Deren Rolle haben jene zahllosen Medienangestellten übernommen, die mehr oder weniger freiwillig als gedankenlose Bewunderer wildestem Finanzgebarens auftreten.) Im Gegensatz zu den theoretischen Befürwortern [5] finanzieller Bereicherung zeigt sich in der Frühen Neuzeit unter den Verteidigern des Gemeinwohls nicht selten der Gemeine Mann:
Ein Menschenalter nach dem Grossen Deutschen Bauernkrieg dachte ein Paul Negelein über den Gemeinnutz nach.
Wie im menschlichen Körper die einzelnen Organe eine bestimmte Funktion erfüllen müssen, um das Leben des Menschen zu erhalten,
hätte sich der einzelne Mensch auch in der Gesellschaft zu verhalten. Hingegen wo Geiz oder Eigennutz einmal den Menschen
eingewurzelt wären, bliebe wenig Guts zu hoffen. (L3 S.598 f) Mißtrauen gegen die neue den
Menschen unnatürlich eingepflanzte Habgier erschien durchaus angebracht.
Auch der berühmte Hans Sachs schrieb gegen den Eygennutz, das greulich Thier wie Jodok Lorich mit der Schrift
Von Weltlichen Stenden Hohen und Nidern . Sie waren angewidert von der unverholen gesellschaftsfähig gewordenen Habgier.
Die Eigennutzanbetung kann im Lob des Eigen Nutzen nachgelesen werden beim Ulmer Bürger Leonhard Fronsberger.
Sein Titelbild könnte heutigen Journalen entnommen sein und lautete: Alls in mein Sack, ebenso seine Argumentation,
das ohne Geiz kein Bauer auf das Feld gehen würde.(L3 S.606)
Und 1598 fragt der Tübinger Jurist Christoph Besold, warum Geld kein Gewinn abwerfen dürfe, denn der Hauptgedanke des Zinsverbots
sei ja, das anderen nicht geschadet werden dürfe. Wo doch aber nun feststeht, das Zinsnehmen nützlich sei,
kann es wohl erlaubt werden. (L3 S.618) Fußnoten:
[1] Die Bevölkerung auf dem Land besaß noch sehr wenig Geld, auch weil es im Alltag noch nicht zwingend in Erscheinung trat.
Der Produktaustauch wurde vorrangig von "Ware" gegen "Ware" bestimmt.
Die relativ kleine Geldmenge der Landleute bestand vorzugsweise aus Münzen von geringem Wert, und schließlich war der
Wertbestand dieser Münzen auch noch äußerst unsicher und in Sorten zersplittert. Dem stand eine große Geldmenge als
Kaufmannskapital gegenüber, ausschließlich in Städten bei relativ wenigen Personen. Die
Berge aus Gold und Silber häuften sich in wenigen Truhen und die Münzen bewegten sich nur innerhalb eines
definierten Personenkreises. Bei einem solchen Gesellschaftszustand von "freier Konkurrenz" zu sprechen, ist
vieleicht naiv, aber der Begriff "freier Markt" offensichtlich falsch.
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Namen | Zeitgenossen | Quellen |
Bernhard Adelmann von Adelmannsfeldern | (1457-1523) Humanist, Freund Luthers und erklärter Gegener des Johannes Eck, Bernhard unternahm 1492 im Auftrag des Fürstbischofs mit einer Gesandtschaft eine Reise zu Heinrich VII., König von England. Bruder: Johann, Deutschmeister des Deutschen Ordens († 17. Februar 1515) | |
Martin Aspilcueta | (1493-1586) Scholastiker und Jurist der Schule von Salamanca, theologischer Gegner Luthers. Als Berater der Inquisition tätig. Erweiterte den vom Alfonso de Castro gefaßten Begriff der theologischen Schuldstrafe. Schrieb ein Nachschlagewerk zur Heräsie-Verfolgung und einen Kommentar zum berüchtigten Hexenhammer. Moderne Ökonomen halten es für eine wissenschaftliche Errungenschaft, das er als erster erkannt haben soll, das seltene Metalle ihren Wert durch Knappheit erhalten. | |
Christoph Besold | (1577-1638) | ⇒ googlebook |
Jean Bodin | (1530-1596) Schrieb die Réponse de J. Bodin aux paradoxes de M. de Malestroit (1568) [Die Antwort des J. Bodin auf die Paradoxien des Herrn Malestroit (1568)] (Reponse aux paradoxes de M. de Malestroit touchant le fait des monnaies et l´encherissement de toutes choses - Die Antwort an Herrn Malestroit Paradoxien hinsichtlich der Tatsache, Währungen und Versteigerungen aller Dinge) | → Preisrevolution und ⇒ Georg Wiebe 1864 Geschichte der Preisrevolution |
Johannes Eck | Ingolstädter Theologe, Vertrauter Jacob Fuggers, später der berühmte Gegener Martin Luthers.
Leistete (im modernen Sprachgebrauch) die
Medienarbeit zur gezielten Aufhebung des Zinsverbots. Wird in der Geschichtsschreibung zuweilen als korruptes Sprachrohr der großen Handelshäuser geführt. |
Häberlein S.171 ⇒ deutsche biographie ⇒ Briefwechsel mit Fugger |
Gabriel van Eyb | (1455-1535) Dem Eichstätter Bischof Gabriel van Eyb war die vorsichtige Lobbyarbeit des Johann Ecks für die Fuggermafia schon zu viel. Er untersagte eine öffentliche Disputation über Geschäftliche Beteiligungen an der Ingolstädter Universität. | Häberlein S.171 ⇒ deutsche biographie |
Johannes Faber | Augsburger Dominikanerprior, kam vorübergehend in Konflikt mit der kaiserlichen Regierung. 1515 disputierte er öffentlich an der Universität Bologna über Prädestination, Ablaß für die Verstorbenen, Wucher und andere Fragen. Bald nach seiner Rückkehr wurde er zum kaiserlichen Rat ernannt. Starb 1530 in Verbannung. | ⇒ deutsche biographie |
Johann Ferrarius | Gründer der Marburger Universität, schrieb ein Traktat über den Gemeinnutz. | Tractatus de respublica bene instituenda. Das ist ein sehr nützlicher Traktat vom Gemeinen Nutzen, Marburg 1533 |
Sebastian Ilsung | Jurist, rechtfertigte bereits 1513 Darlehensverträge, vermutlich auf Initiative der Fugger. | Häberlein S.170 |
Johann de Lugo | (1583-1660) Kardinal in Rom. | googlebook |
Paul Negelein | Im Entwurf eines städtischen Wertesystems, das sich an Begriffen wie Klugheit,
Autorität und Selbstdisziplin orientierte, fasste Negelein seine eigenen Erfahrungen in der kommunalen Verwaltung
zusammen: ⇒ Vom Burgerlichen Standt : Welcher massen derselbe in beharlichem wesen ... |
⇒ googlebook
deutsche biographie |
Hans Sachs | Romanus: Ich red nit von Fürkaufen, da man Nutz sucht einer ganzen Gemein und gleich einen ziemlichen Pfenning zu Gewinn nimmt, und noch viel weniger, wo ein Oberkeit fürkauft und gemeinen Nutz sucht, sunder allein red ich von den Fürkaufern von Eigennutz und Gewinns halb, und dem Fürkaufer leid wär, daß nachmals Wein, Getreid und anders wohl geriet, frohlocken in dem ungeraten Jahr, verbergen den Fürrat in der Not, wo sie verhoffen, mehr Gelds daran zu erhalten. Von denen steht Proverbiorum 11: Der da verbirgt sein Getreid, der ist verflucht unter den Völkern. Und Levitici 25: Du sollt dem Armen dein Speis nit mit Ubersatz auftun. Und Deuteronomii 23: Du sollt an deinem Bruder nicht wuchern, weder mit Geld noch mit Speis noch mit all dem, damit man wuchern kann. Und Amos 8: Höret das, ihr zerknischet den Armen und machet manglen die Durftigen der Erd, saget: So der Schnitt vergeht, verkaufen wir die Lohn, und den Sabbath wir tun auf das Getreide, wir mindern die Maß und mehren den Säckel und verkaufen die Spreuer des Getreids, das wir besitzen, den Durftigen im Silber. Und der Herr schwur: Ich wird nit vergessen aller ihrer Werk bis ans End. Reichenburger: Fürkaufen in solcher Maß ist nicht ein christlicher Handel, es tu gleich, wer da wöll! | Ein Dialogus, des Inhalt ein Argument der Römischen wider das christlich Häuflein; den Geiz, auch ander offenlich
Laster etc. betreffend. Q: zenoorgliteratur |
Martin Luther | These 43 von 1517: "Die Christen müsse gelehrt werden, das es besser ist den Armen zu geben ..." Hier wird dieses Zitat deswegen angeführt, weil Luther darauf aufmerksam macht, das das den Menschen beigebracht werden müsse! → Lutherzitat ackerwerk mehren und kauffmaschafft myndern → Bettelzitat Luther über das Betteln: etwa: Es soll niemand unter den Christen betteln gehen müssen, es wäre ein leichtes Ordnung zu machen wenn wir den Mut und den Ernst dazu täten, wenn jede Stadt ihre eigenen armen Leute versorgt, weil man dann wisse, welche wahrhaftig arm sind und welche nicht. u.s.w. |
Hans-Jürgen Prien, Luthers Wirtschaftsethik, Göttingen 1992 ⇒ googlebook |
Domenico des Soto | (1494-1560) Beichtvater Karls V. | googlebook |
weiterführende Links | |
PDF-Datei | Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520) Luther-W Bd.2 S.157-170, 382 (Textausschnitt) ⇒ Luther 1520 |
PDF-Datei | Winfried Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz / Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit München 1987, in: Schriften des Historischen Kollegs Vorträge 13 Hrg. Horst Fuhrmann ⇒ |
googlebook | Richard Faber, Katholizismus in Geschichte und Gegenwart, Königshausen & Neumann, Würzburg 2005 ⇒ googlebook |
Quellenangaben und Literatur | Bemerkungen | |
(L1) | Götz Freiherr von Pölnitz, Jakob Fugger - Kaiser, Kirche und Kapital in der oberdeutschen Renaissance, Tübingen 1949 S.79 | |
(L2) | Ernst Hering, Die Fugger, Wilhelm Goldmann Verlag, Leipzig o.J., S. 110, 120 | |
(L3) | Winfried Schulze, Vom Gemeinnutz zum Eigennutz / Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit München 1987, S. 599, 606, 618 | |
(L4) | Philipp Robinson Rössner, Deflation-Devaluation-Rebellion, VSWG-Beihefte 219, Franz Steiner Verlag Stuttgart 2012, S. 15-16, 20-25, 65, | R. gibt S. 65 den HW: das zwischen 1470 und 1520 die erste Welle der Hexenverfolgungen einsetzte. Die folgende begann etwa 1560. |
(La) | Mark Häberlein, Die Fugger, Stittgart 2006 S. 171-172 |
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