Getreidebündel im Wappen der Vasa Foto: Hans Holger Lorenz (2011) Der Vasa-Effekt        


Je größer der zeitliche Abstand zu einem historischen Ereignis wächst, desto unangefochtener und dichter kann man an die Wahrheit gelangen. Jeder politische Druck, eine Darstellung der Ereignisse in eine bestimmte Richtung zu lenken, verringert sich mit den Jahrhunderten. Die Ereignisse, von denen hier die Rede sein soll, liegen fast vierhundert Jahre zurück.

Am 10. August 1628 sank das Kriegsschiff Vasa im Stockholmer Hafen - der Tag seiner Jungfernfahrt.
Für den König als Prestigeschiff der schwedischen Marine gedacht, war der Schiffskörper mit zwei Kanonendecks bei fast 70 m Länge, 12 m Breite und mit über 50 Meter Masthöhe von außergewöhnlicher Größe in seiner Zeit. Über 20 Meter hoch ragte das Achterdeck über die Wasseroberfläche. Noch während der Bauarbeiten änderte man die Baupläne für ein zusätzliches Kanonendeck.
Eine Testübung im Hafenbecken zur Stabilitätsüberprüfung des Rumpfes mußte vorzeitig abgebrochen werden, da die Risiken zum Kentern offensichtlich hervor traten. Eine entsprechende Meldung aus der Werft durch die Admiralität an den König wurde abschlägig beantwortet. Gustav Adolf befahl die Fertigstellung.
Die Jungfernfahrt am 10. August 1628 gestaltete sich als eine technische und politische Katastrophe. Nach zwanzigminütiger Fahrt kenterte die Vasa tatsächlich und riß über vierzig Seeleute und Passagiere (Angehörige des Werftpersonals) mit in den Tod, darunter den tapferen Steuermann des Schiffes, der bis zum Schluß versuchte, die zunehmende Krängung der Galeone auszugleichen. Der Vorgang spielte sich ab vor einer großen Schar von Zuschauern, unter ihnen nicht nur die Werftarbeiter, sondern auch viele Botschafter und Berichterstatter ausländischer Höfe und Staaten.
Die Unfall-Untersuchungen stellten die Unschuld des überlebenden Kapitäns fest. Er hatte die Luken des unteren Kanonendecks nicht schließen lassen. Das beschleunigte nur den Sinkvorgang, hatte aber keinen Einfluß auf die eigentliche Kentersicherheit. Überprüft wurde auch der Schuldanteil der Admiralität. Die konnte ihre vorherige Warnung beweisen. Der ursprüngliche Schiffskonstrukteur war jedoch bereits verstorben. Weitere Nachforschungen mußten am unantastbaren Rang des Königs scheitern.

Wichtig für das Festhalten an der Stabilitätstheorie für die physikalischen Ursachen ist folgender Hinweis: ein Schwesternschiff der Vasa namens Applet, das parallel gebaut aber erst später fertig gestellt wurde, war je auf beiden Seiten mehr als einen halben Meter breiter. Dieses Schiff fuhr über dreißig Jahre bis zur Außerdienststellung havariefrei über die Ostsee.

Für das Auftreten von Vasa-Effekten ist eine bestimmte qualitative Entwicklungsstufe in der Gesellschaft und ein relativ hoher Entwicklungsstand der Naturwissenschaft und der Technik direkte Voraussetzung. Die Entscheidungsträger müssen eine bestimmte Qualifikation und einen hohen Bildungsstand erreicht haben. Die Komplexität der Problemstellung einer Produktionsaufgabe ist nicht mehr ohne weiteres zu überblicken. Im Schweden des 17. Jahrhunderts trifft dies beispielsweise für den Schiffbau unbedingt zu. Mathematischen Stabilitätsberechnungen wurden noch nicht beherrscht. Man gestaltete Schiffskörper an Hand von Modellen und diskutierte mit erfahrenen Seeleuten ausgiebig über die Bauvorhaben. Die Arbeitsteilung auf einer Werft zeigte sich jedoch bereits sehr komplex strukturiert.



Modell einer zeitgenössischen Werft
Modell einer zeitgenössischen Werft


Inzwischen hat sich der Wirkungsbereich für Vasa-Effekte wesentlich erweitert, sehr anschaulich im Eisenbahnbau des neunzehnten Jahrhunderts und im Flugzeugbau des zwanzigsten Jahrhunderts. Weitere Bereiche sind durchaus in der Raumfahrt denkbar und bei der Anwendung elektronischer Steuerungen auf allen technischen Gebieten. Klassische Beispiele für den Vasa-Effekt werden vermutlich die Entwicklungen in der Energiewende liefern. Der Blackout in Indien vom 31. Juli 2012 (siehe unten) statuierte ein deutliches Exempel.
Naturgesetze können auch nicht von obersten Instanzen ausgehebelt werden.

  Modell der Vasa im Vasamuseum Stockholm  Fotomontage: Hans Holger Lorenz 2011




Vasa-Effekt (Wasaeffekt)

Dieser Effekt beschreibt inhaltlich einen historischen Vorgang mit seinen anschließenden katastro-phalen Wirkungen, bei dem in der Anweisung eines Vorgesetzten die ablehnend vorgetragenen Einwände von Untergebenen und deren Hinweise auf naturwissenschaftliche Gesetze ignoriert wurden.

 

Die Untersuchungsvorgänge nach dem Untergang des Schiffes geben ungewollt das Vorbild ab für die Vorgehensweisen nach ähnlichen Katastrophen in den folgenden Jahrhunderten und insbesondere im 20. Jahrhundert. Der Trend zur Ausflucht auf angeblich objektive Ursachen der Katastrophen ist deutlich erkennbar. Verantwortlichkeiten werden zunehmend unsichtbar in den komplizierten Entscheidungsebenen, und ebenso wie im alten Schweden gewollt oder ungewollt wurden die maßgeblichen Verursacher auf immer höherer Ebene geschützt.




Erkennbare administrative Druckmittel, die zu einem Vasa-Effekt führten:
      
  • angeblicher Zeitdruck
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  • sogenannter Kostendruck / Einsparungszwang
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  • sogenannte letzte Chance
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  • sogenannter Personalmangel
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  • fragwürdige Softwareprobleme
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  • sogenannte Anforderungen des Marktes
  offene Luken der beiden übereinanderliegenden Kanonendecks © Hans Holger Lorenz 8/2011
offene Luken der beiden
übereinanderliegenden Kanonendecks der Vasa


Beispiele für den Vasa-Effekt
1 Vasa-Untergang 1628 Am 10. August 1628 sank das Kriegsschiff Vasa im Stockholmer Hafen - dem Tag, an dem es seine Jungfernfahrt antreten sollte.
Noch während der Produktion wurden die Baupläne zum Einzug eines zweiten Kanonendecks geändert. Bei einem Stabilitätstest mußte der Versuch vorzeitig abgebrochen werden, da große Risiken zum Kentern offensichtlich wurden. Gustav Adolf befahl trotzdem die Fertigstellung des Prestigeobjekts.
Die rechtlichen Untersuchungen konnten keine schuldigen Verursacher feststellen.
2 Challanger 1986 Am 28. Januar 1986 hob die Raumfähre Challenger bei einer ungewöhnlich niedrigen Außentemperatur ab. Die NASA hatte sich für den Start entschieden, obwohl Ingenieure vor einem Start bei Temperaturen unter 12 °C eindringlich gewarnt hatten. Das Management gab offizielle Startfreigabe. Sekunden nach dem Start in 15 Kilometern Höhe explodierte das Shuttle. Die sieben Astronauten überlebten die Katastrophe nicht. ⇒ Wikipedia
3 Flugzeugkollision von Überlingen
2002
Am 1. Juli 2002 stießen zwei Flugzeuge bei Überlingen in der Luft zusammen, stürzten ab und alle 71 Insassen, darunter 49 Kinder kamen ums Leben. Die Kreuzung der Flugrouten wurde nicht festgehalten. Der Pilot der einen Maschine bat aus Gründen der Treibstoffeinsparung um Flughöhenveränderung. Ein Fluglotse war mit einem dritten Flieger beschäftigt. Die Radaranlagen der beiden betroffenen Maschinen zeigten zwar die Gefahr der Annäherung, diese Meldungen wurden jedoch nicht richtig interpretiert. Ein parallel wirkendes sicheres Informationssystem blieb wegen Wartungarbeiten ausgeschaltet, ein Ersatzsystem nicht eingerichtet. Luftverkehrsrechtlich waren Zuständigkeiten nicht eindeutig geregelt. Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung kritisiert u.a. den privaten Betreiber einer Flugsicherungsfirma. Dieser hatte seit Jahren hingenommen, dass während der verkehrsarmen Nachtstunden nur ein einzelner Lotse Dienst tat. ⇒ Wikipedia
Es sei hier darauf hingewiesen, das Streiks von Fluglotsen immer wieder stärkere Personalbesetzungen und den Einsatz fachtechnisch qualifizierter Vorgesetzte fordern.
4 Größter Stromausfall in der Geschichte
Juli 2012
Der größte Stromausfall in der menschlichen Geschichte ist bisher der Zusammenbruch der Energieversorgung in Indien am 31. Juli 20012. Zuerst fielen die Netze im Norden, Osten und Nordosten des Landes aus. Schließlich betraf er 600 Millionen Menschen in 12 der 35 indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien sowie die Hauptstadt Neu Delhi. Hunderte Züge blieben stehen. In Neu Delhi wurde der Betrieb der Metro unterbrochen, Züge wurden evakuiert. Krankenhäuser, Geschäfte und Büros mussten Notfallgeneratoren anstellen. Nordwestlich von Kalkutta saßen Bergleute der Eastern Coalfields unter Tage fest.
Zuerst war das Netz in Nordindien zusammengebrochen, was zu einem der schwersten Stromausfälle seit zehn Jahren führte. Als das Netz einen Tag später erneut versagte, brach auch das Netz im Osten des Landes zusammen. Die Netze sind veraltet und oft überlastet. Das indische Energieministerium machte einige Bundesstaaten für diese Überlastung der Netze verantwortlich. Diese hätten mehr Strom abgerufen als ihnen zustehe. Der neuerliche Stromausfall brachte die Regierung in Bedrängnis. Vertreter der Industrie riefen eindringlich zur Reformierung der unzulänglichen Energieversorgung auf, zu lange schon sei das Problem bekannt. Besonders in den heißen Sommermonaten, in denen der Stromverbrauch deutlich ansteigt, kommt es immer wieder zu Engpässen und kurzen Ausfällen. Krankenhäuser, Flughäfen, Hotels und viele Privatleute, die es sich leisten können, haben sich darauf eingestellt Ersatz-Generatoren angeschafft.
zeit online am 31.07.2012      ⇒ Frankfurter Rundschau 01.08.2012
5 Brückeneinsturz
Florida
2018
Eine 950 t schwere Brücke fiel in vollständiger Länge (53 m) auf eine darunterliegende dicht befahrenen Straße. Dabei begrub sie mehrere Autos unter sich. Zur Unglücksursache gibt es noch keine Angaben (24.03.18), eine Untersuchung ist angekündigt. Die Baukosten betrugen 14 Millionen $. Die Brücke sollte erst Anfang 2019 offiziell für Fußgänger freigegeben werden. Beim Einsturz starben sechs Menschen, mehrere wurden verletzt. Einer der zuständigen Ingenieure habe zwei Tage vor dem Unglück Mitarbeiter der zuständigen Baubehörde über problematische Beobachtungen informieren wollen oder können. Darüber herrscht Unklarheit.    Quellen:    ⇒ spiegel am 17.03.2018      ⇒ kurier at am 18.03.2018.







Notizen über Persönlichkeiten der betreffenden Zeit
Verbindungen
Gustav Wasa I. schwedisch: Gustav Erikson Vasa. Schwedischer König von 1523 bis 1560.
Der Begründer der königlichen Wasa-Dynastie beendete die Kalmarer Union. 1522 kaufte er von der Hansestadt Lübeck eine Anzahl von Schiffen, mit denen die Geschichte der Schwedischen Marine beginnt.
Im Dynastie-Wappen führte Gustav Wasa I. ein Getreidebündel. Tatsächlich aber ließ er den Bauernaufstand des legendären Nils Dacke 1543 blutig niederschlagen.
Gustav I. in Wikipedia

Gustav I. in der Vasaorder
Gustav II. Adolf von 1611 bis 1632 König von Schweden; führte eine Heeresreform durch und ließ die Schwedische Flotte zu einer mächtigen Kriegsmacht im Ostseeraum ausbauen.
Eines ihrer stärksten und schönsten Schiffe sollte die Vasa werden. Durch Mißachtung physikalischer Stabilitätseigenschaften sank das Schiff bereits bei der Jungfernfahrt.
Gustav Adolf in Wikipedia
Henrik Hybertsson (auch: Hendrik Hubertsen) Konstrukteur der Vasa, gestorben während der Bauarbeiten 1627. Sein Bruder Arendt setzte die Arbeit fort, kannte aber vermutlich nicht die Pläne von Anfang an.
Carl Carlsson Gyllenhielm Admiral, bekam vom König Gustav II. Adolf (1624 ?) den Auftrag zum Flottenausbau.
Claes Fleming Vice-Admiral, arbeitete gemeinsam mit Gyllenhielm und Hybertsson am Flottenausbauprogramm des Königs.







Bilder
(1) Getreidebündel im Wappen der Vasas
Wappendarstellung am Rumpf des 1628 gesunkenen Vasa-Schiffes
© Hans Holger Lorenz (2011)
(2) Modell der Vasa im Vasa-Museum Stockholm
© Hans Holger Lorenz (2011)
(3) Modell der zeitgenössischen Werft
© Hans Holger Lorenz (2011)
(4) offene Luken der zwei übereinanderliegenden Kanonendecks
© Hans Holger Lorenz (2011)







weiterführende Links
Vasa-Museum Stockholm www.vasamuseet.se
Historische Schiffsmodelle in modellships.de Bilder von der ⇒ Wasa

www.bauernkriege.de

Notizen zum Vasaeffekt ♠ Dipl.Ing. Hans Holger Lorenz ♠ begonnen: November 2013 ♠ vorl. Änderung: 10.02.2018 ♠ Stand: 29.03.2023