Allen geliebeten Brüdern in Christo des tyrannischen Gefengnis zu
Sangerhausen Gnad und Fried mit der reinen,
ungedichten Furcht Gotts anstatt meines Grußes! Es hat Jesus
Christus, der zarte Sohn Gotts, mit klaren Worten gesaget,
und seine geliebten Aposteln und Freunde mit betrubten Worten in der
heiligen Mahlzeit seines Abendessens zuvorn gesaget
alle Gelegenheit, wie es sich begeben sollt, wie sich die wollustige
Welt samt den Wutrichen wurde stellen, so die
auserwehlten Menschen wurden den gekreuzigiten Christum anfahn zu
erkennen und zum rechten Glauben zu greifen.
Und sprach also (Johannis am 16.): "Ihr sollt euch nicht doran
ergern, dann die Gottlosen werden euch aus der Gemein
vorstoßen, und kummt die Stunde, daß sie sich werden dunken lassen,
wenn sie euch wurgen, sie haben Gott einen Dienst
doran getan." Diese Wort sollt ihr wohl beherzigen und in euers
Herzen Grund schließen, nachdem sich itzt
die fehrliche Zeit, dovon der heilige Paulus gesaget hat, begiebt,
daß ein itzlicher, der do gerne recht
tet und sich zum heiligen Evangelio neigen wollt, muß vor den
Gottlosen ein Ketzer, ein Schalk und Bube, oder
wie sie es erdenken mugen, gehalten werden. Nu ich aber durch
etliche fromme Menschen vorstendiget bin, wie ihr
aufs hochste betrubet seid und doch angelobet den tollen,
wahnsinnigen Menschen und Tyrannen, euch wieder
einzustellen ins Gefengnis, und dorzu meins Rats zu brauchen
begehrt, kann ich euch aus christlicher Pflicht
nit wegern, aber ihr musset euch auch desselbigen halten. Nachdem
aber ihr gerne wollet euer Gewissen bewahrn,
so ist das ein Anfang darzu, daß ihr die reine,
rechtschaffene Forcht Gotts vor euch nehmet und lernet Gott allein
uber alle Kreaturen in Himmel und auf Erden furchten.
Und aus der Furcht werdet ihr wissen und lernen, was ihr tuen und
lassen sollet, das Gott wohl gefellet. Dann ein
Anfang der Weisheit Gotts ist die Forcht Gotts, als im hunderten und
10. Psalmen der Geist Gotts saget und im Buch
der Beispruch am 1. Kap. Darum sollet ihr Tag und Nacht mit ganzem
Herzen seufzen zu Gott und schreien und bitten,
daß er euch lerne alleine Gott forchten. Dann so ihr dieselbige
reine Gottesfurchte nit habet, so werdet ihr in keiner
Anfechtung mugen bestehen. Habt ihr aber dieselbige, so werdet ihr
vor allen Tyrannen den Sieg behalten, und sie werden
so jemmerlich zuschanden, daß nit zu sagen ist. Nu lehret aber die
Furcht Gotts, wie ein frommer Mensch soll gelassen
stehen um Gotts willen und sich erwegen seins Leibs, Guts, Haus
und Hof, Kinder und Weiber, Vater und Mutter samt
der ganzen Welt. Oh, das ist aber ein mechtiger Greuel den
fleischlichen Menschen, die ihr Leben lang alle ihr
Vornunft dorauf erstreckt han, daß sie mochten Nahrung erwerben,
und nicht weiter gedacht. Haben gemeint, Gott wurde
sie doch wohl selig machen, wann sie schlechtes gleubten, was ein
ander gleubet. So toll und töricht
ist itzt die ganze Welt, und will niemand gelassen stahn um Gotts
willen, so doch der Herre klerlich saget
im heiligen Evangelio (Matt, am 10.): "Wer do etwas uber mich
liebet, der ist meiner nicht wirdig."
Doselbst spricht Christus, der Sohn Gotts, die rechte Art des
Glaubens aufs hochste aus. Sollt ihr nu Christen sein
und gleuben in Christum Jesum, daß er euch erloset hab, so mußt
ihr an der reinen Forcht Gotts anheben, dann sie ist
ein Anfang zum Glauben, wie oben berührt. Summa summarum neben
Gott mußt ihr nichts forchten, gleich so wenig als
neben dem lebendigen Gott ein Abgott soll angebeten werden. Do muß
kein Entschuldigung sein, sonder die stracke
Bahne nausen gegangen. Wenn euch euer Furst oder sein Befehlshaber
gebeut, ihr sollet hie oder dohin nit gehen,
zu hören das Wort
Gotts, oder vorloben, nicht mehr dohin zu gehen, sollt ihr
keinerlei Weise vorloben, dann alsdo wird Menschenforcht
an die Statt der Furcht Gotts dargestellet und euch zum Abgott
aufgericht. Wollet ihr nun denken, was ihr wollet
wohltun eurem Fursten und Gott, das werdet ihr nicht mugen tuen,
dann alles, was sich neben Gott auflehnet und will
gefurchtet sein, das ist gewiß der Teufel selber. Do habt Achtung
auf! Wann nun die Wutrichte wollen vorgeben, ihr
sollet euern Fursten und Herren gehorsam sein, so habt ihr zu
antworten: Ein Furst und Landesherre ist über zeitliche
Guter dargestellt zu regieren, und sein Gewalt erstreckt sich auch
nicht weiter, und das ist auch die Meinung Sankt Peters
und Pauls, do sie von der Gewalt der Menschen schreiben. Darum
sollet ihr euch keck erbieten und sagen: Lieber Herre,
lieber Herr Hauptmann, so unser Herr, der Furst, am selbigen Schoß
und Zinsen, die wir ihm jehrlich gebn, nicht genug hat,
so nehm er all unser Guter dazu, das wollen wir ihm gerne
gestendig sein; aber unser Seelen soll er gar nicht regieren, dann
in den Sachen muß man Gott meher gehorsam sein dann den Menschen;
do macht aus, was ihr wollet! Tut ihr uns etwas daruber
zu Leide, so wollen wir das der ganzen Welt klagen und zu erkennen
geben, so wird sie doch sehen und horen,
warum wir leiden, wollen wir doch an zeitlichen Dingen tuen und
lassen alles, was euern Augen wohl gefellet.
Was sollen wir doch meher tuen? |
aus: DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG Beschwerden Programme Theoretische Schriften Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1974 Printed in German Democratic Republic (DDR) 1974 Seite 159 - 164 |
→ Wörterbuch für die Texte aus der Zeit des Bauernkrieges
Notizen zum Text: Münzer ist zu dieser Zeit Prediger in Allstedt. Etwa dreißig Jahre alt, arbeitet er intensiv an der neuen Form des Gottesdienstes in deutscher Sprache. Er hält die Predigten in der Sprache der Bauern, der Bürger und der Bergknappen und sie danken ihm in einem Zustrom als Hörer, bisweilen sind es über zweitausend an Zahl, die die Kirche in Allstedt nicht fassen kann. Die Leute strömen aus Eisleben, Mansfeld, Sangerhausen, Frankenhausen, Querfurt, Halle, Aschersleben und sonst woher herbei in die kleine gerade über hundert Haushalte zählende Gemeinde, nur um den Müntzer zu hören. Dabei ist der noch nicht einmal ein guter Redner, erreicht die Gewaltigkeit eines Luthers nicht annähernd. Ihm fehlt es an der "Sonnenhelle" in seinen Gedanken, die lohdernd voll Zorn auf die Ungerechtigkeit dieser Welt sind. Den Füersten hat er es schon gepredigt, aber die haben nicht begriffen, das die Herren es selber machen, ›› das ihnen der arme Mann feind wird! ‹‹. Die Klarheit seiner Sprache wird sich noch ausbilden und erst im letzten Gefecht ihre schönste und mutigste Vollendung finden. Hier aber predigt er seinen Leuten. Gerade weil es so viele werden, überkommt Grafen und Rittern eine Unruhe und sie wollen in Sangerhausen die Anhänger der Gläubigen des Evangeliums ins Gefängnis werfen. Diese haben sich der Gefangennahme entzogen, stehen auf verlorenem Posten und sie sehen ihr geringess Hab und Gut in Gefahr. An diese Verfolgten wendet sich also Müntzer, er ist einer der Wenigen, die offenbar mehr darüber wissen, was kommen wird: ››...es ist die Zeit vorhanden, daß ein Blutvorgießen über die vorstockte Welt soll ergehen um ihres Unglaubens willen...‹‹ Aber Müntzer spielt hier nicht die Rolle eines religiösen Geistersehers. Er analysiert die Verhältnisse und hat eher als andere die völlig gegensätzlich gerichteten Interessen zwischen den Herrschenden und den Beherrschten erkannt. Diese Gegensätze sind so groß geworden, das sie sich nicht mehr ohne opferreichen Kampf ausgleichen lassen. Die Habgier der Fürtsten ist so teuflisch gewachsen, das man sie nicht mehr einfach abtun kann, schlimmer noch ist ihre Verbrähmung mit christlichen Werten, die damit verfälscht und verleugnet werden: daß Herrn und Fursten, wie sie itzet sich stellen, keine Christen sind...."‹‹ Die wirklich Gottlosen, nicht die mohamedansischen Türken irgendwo da draußen, die wirklichen Gottlosen stehen im eigenen Land - es sind die eigenen Herren, die keine Ehrfurcht vor Gott mehr kennen. Sie haben die wahren christlichen Werte verraten, sie wollen, das das Fleischliche, das Niedere der Menschen, angebetet wird. Sie predigen die Habsucht, das "Tier im Bauche". Müntzer macht seinen Getreuen keine Illusionen, er beschreibt, was auf sie, die Auserwählten zukommen wird: Verfolgung und Leiden, Verketzerung und Tod. All das werden die Herren den wirklich Gläubigen antun, und nur wer in Gottesfurcht, also in Vertrauen auf die Sache Gottes steht, und wer mit der erforderlichen Gelassenheit die Kämpfe erwartet, wird sie bestehen. Eine bedingungslose Hingabe an den Kampf wird andere Motive haben als nur Besitz auf Hab und Gut. Müntzer will keine Lüge vor Gott dulden. Und er geht soweit, den gefährdeten Mitbrüdern Trost mit der Frage zu spenden, was all das Hab und Gut nützen soll, wenn es so nicht mehr zu schützen ist. Die kleinen Leute haben nichts mehr zu verlieren, sollen sie den Fürsten sagen, nehmt das letzte auch noch - denn wir haben die Gerechtigkeit Gottes auf unserer Seite. Insofern ist die Predigt noch nichts Neues - denn den Verzicht auf irdische Güter predigt die offizielle Kirche auch! Neu ist, das er sagt: die Rache kommt zur rechten Zeit! Zur gleichen Zeit erstürmten süddeutsche Bauern das Kloster in Ittingen ... |
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