Sächsischer Bauernaufstand 1790
...ließen wir uns dieses Mal einschläfern, so werden wir in eine solche Sklaverei
geraten, woraus keine Rettung mehr zu hoffen...
Hinweis 1: unsichere Angaben sind mit (?) gekennzeichnet.
Hinweis 2: Daten über Kursachsen
in Digitale Texte der Uni Köln
Sächsischer Bauernaufstand werden jene Rebellionen der Bauern im Jahr 1790 genannt (man findet auch den Begriff
"kursächsischer Aufstand") die sich im Raum
Dresden, Leipzig und Zwickau ausbreiteten.
Ausgehend von einzelnen Selbsthilfeaktionen gegen die durch die besonderen Jagdrechte bedingte Wildplage im Mai/Juni
gaben Anfang August einige Dörfer unweit von Meißen mit der Verweigerung von Dienstleistungen das Signal zum Aufstand.
Dazu hatten die Aufrufe des Seilers Christian Benjamin Geißler aus Liebstadt nicht unwesentlich beigetragen, die noch
im Juli zu antifeudalistischen Losungen und Forderungen ermutigten.(1,3) Unverkennbar spürte man den Einfluß der
Französischen Revolution auch hier in Sachsen.
Mitte August hatten die Bauern fünfzehn Patrimonialgerichtsbezirke, die etwa 5000 Quadratkilometer umfaßten, unter ihre
Gewalt gebracht. Das Gebiet reichte von Meißen bis Borna, und bezog die erzgebirgischen Kreise um Freiberg, Chemnitz und
Wolkenstein mit ein. Vereinzelte, vom Aufstandszentrum entfernte Unruhegebiete befanden sich um Zeitz und in der
Oberlausitz.
Verbreitungsgebiet des
Bauernaufstandes von 1790 (2)
Die Bauern erzwangen von den Feudalherren Verzichtserklärungen auf alle Dienste, Fronen und Zinsen oder sie zwangen sie
zur Flucht, zu deutsch: sie jagten ihre Herrschaften davon! In Meißen befreiten die Revoltierer gefangenen Mitkämpfer und
konnten sogar kursächsisches Militär zurückschlagen.
Allerdings rührte sich in den Städten keine Hand für die Bauern. So blieb den aufständischen Landleuten kein dauerhafter
Sieg gegönnt und ihre Bewegung wurde im September 1790 durch massiven Militäreinsatz niedergeworfen. Eine
Untersuchungskommission, ausgestattet mit Sondervollmachten, begann ihre Verfolgungstätigkeit. 158 Aufständische
wurden verhaftet, verhört und eingekerkert.
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Pro Memoria
Dem Städtchen Lauenstein wird hiermit wissend gemacht, dass nach reifl. Überlegung endl. der Schluß gefaßt worden,
eine glückl. Revolution zu machen, u. sind wir zu unserm Endzweck auf die 16- bis 18 000 Mann in Bereitschaft.
Unser eigen Wohl erfordert dieses, auf das schleunigste es in Werk zu setzen, indem man in Erfahrung gebracht, dass,
wenn wir nicht Ernst brauchen, eine der blutigsten Revolutionen ehester Tage ausbrechen wird.
Unsere Gesinnungen dabei sind also diese: dass wir lieber, anstatt Sachsens Unglück noch größer zu machen,
dass es wohl vollends gar zur Mördergrube werden könne, mit Gottes Hilfe weislich Gegenanstalten treffen und unser
geliebtes Vaterland lieber glückl. als unglückl. machen wollen. Wir wollen unseren teuersten Landesvater in unsere
Mitte nehmen und wollen ihm Sachsens Unglück und Not mit Nachdruck vorstellen, damit er sich ferner mit uns und wir mit
ihm freuen und ruhig und vergnügt leben können. Erstl. wollen wir uns insgesamt mit klingendem Spiel und fliegender Fahne
bis in die Gegend Dresdens rücken, und hat sich ein jeder dabei bis auf ein paar Tage zu proviantieren.
Da wird ein Kommando von uns nach Pillnitz gehen, um dem Kurfürsten unsere Gesinnungen vorzutragen,
von da werden wir mit unserem teuersten Landesvater einen triumphierenden Einzug in die Residenz Dresden halten.
Unser Vortrag ist dieser:
1. verlangen wir, dass alle und jede Personen, die bisher Sachsenland unglücklich gemacht, gänzl. ihrer Würden und Ämter
entsetzt u. nach Befinden großer Betrügereien auch ihre Güter konfisziert und zum gemeinen Besten angewendet werden sollen.
2. wird Nationalgarde vor unseren Kurfürsten errichtet, eine zu Fuß und eine zu Pferde. Diese muss aus Männern bestehen,
zu denen man das Zutrauen haben kann, dass sie für des Landes Wohl stets wachsam sind. Die zu Fuß ist beständig um den
Landesherrn, und ihr Chef muss eine ansehnl. Bedienung bei Hofe haben, damit sich keine Landesbetrüger mehr bei unsern
Landesherrn einschleichen können. Die Garde zu Pferde soll des Landes Wohl besorgen und genau auf alle Ungerechtigkeiten
im Lande acht haben.
3. Das Accis-Wesen wird auf einen Fuß gesetzt, damit Sachsenland sich nicht ferner Gottes Strafgericht mit so vieler schwerl.
Entheiligung seines heil. Namens ausgesetzt sein darf.
4. Denen Rittergutsbesitzern werden engere Schranken gelegt, damit sie nicht mehr, wie bisher geschehen, das Land zur Wüste
und Einöde von Gerechtigkeit machen können.
5. Heuungen des Wildes werden ferner nicht geduldet, indem solches viel zu dem steten Fruchtmangel beiträgt.
6. Keine Juris practici werden ferner geduldet, die nicht wirkl. Gerichts-Bestallung haben, indem diese Blutegel das Land
auf erbärml. Weise aussaugen.
7. Dem geistl. Ministerio müssen Verfassungsregeln gesetzt werden, welche der Ehre Gottes gemäßer und unserer
geheiligten christl. evangel. Lehre heilsamer als bisher geschehen.
8. Wegen Fleisch- und Trinksteuer sind wichtige Erinnerungen zu machen.
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Wer war Christian Benjamin Geißler?
Der Rebell von
Im Jahr 1743 wurde der Sohn eines Schulmeisters
in Holzkirchen (bei Lauban) (?) geboren. Er geht nach Görlitz in die Lehre eines Seilers. 1765 erreicht der
wandernde Geselle Liebstadt.
Hier in der Gegend südlich von Dresden bleibt Geißler, hier trifft er das
Mädchen, das er heiratet, er erwirbt den Meistertitel und arbeitet als Seiler.
Die Kindersterblichkeit war in diesen Zeiten sehr hoch, die Familie verliert ihre drei Kinder, es spricht
für das Wesen von Mann und Frau, das sie sich eines verwaisten Mädchens annehmen.
Geißler muß über die Dörfer reisen, um seine Waren verkaufen zu können. So kann er die Situation der Arbeitenden
sehen, ihre Wünsche und Hoffnungen kennen lernen. Ganz sicher waren diese auch von den Nachrichten aus dem
revolutionären Frankreich geprägt, Geißler macht sich sachkundig - er kann lesen. Er verfaßt selbst
mehrere Schriften mit revolutionär aufklärerischem Inhalt. Eine davon ist nebenstehend in Auszügen
zitiert.
Am 8.Juli 1790 läßt Geißler seine Schrift auf Dorfversammlungen verlesen und wird dafür am 10.Juli verhaftet
und in Dresden auf die Fronfeste verbracht. Dort stellt ein Gerichtsmediziner fest,
Geißler sei krank und von fixen Ideen beherrscht. Weil man auch seinen "Patriotismus" zu erkennen glaubt, wird
er als Narr (3) ins Irrenhaus Torgau eingewiesen. Nach fünfzehnjähriger Festungshaft (oder 1809 (?)) kann Geißler
wahrscheinlich fliehen und wird
mittels Steckbriefen verfolgt. 1807 (?) soll er als Bettler in Döbra (?) gesehen und später in Liebstadt bei seiner Pflegetochter
untergekommen sein. Er wird erneut verhaftet aber nach einem Gnadengesuch wieder frei gelassen.
Das Datum seines Todes kennen wir nicht.
Eine Gedenktafel an seinem ehemaligen Wohnhaus in Liebstadt (Pirnaer Straße) erinnert
an den Rebellen von Liebstadt.
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Auf Genehmigung dieser Punkte wird mit dem größten Eifer gehalten werden,
und sind wir genötigt, uns nicht das geringste vormachen zu lassen. Es ist die höchste Zeit, einmal sehen zu lassen,
dass wir immer noch die alten braven und tapferen Sachsen sind, die vor der Hand nur durch Tyrannei und Druck so kleinmütig
geworden, aber nun ist die höchste Zeit, vor dem Riß zu stehen. Denn ließen wir uns dieses Mal einschläfern, so werden wir
in eine solche Sklaverei geraten, woraus keine Rettung mehr zu hoffen. Dieses wird aber auch zugleich allen und jeden
Ortschaften angedeutet, dass sie sich gleich nach Verlesung dieses aufmachen, der Sammelplatz von Lauenstein und Bärenstein
ist in Liebstadt, Geisingen, Altenberg und Glashütte und Dohna; derjenige Ort aber, der sich erkühnen sollte, die Zitation
nicht zu respektieren, kann sich einer fatalen Plünderung ausgesetzt sehen und an keinem erlangten Vorteil Anteil haben.
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Geißler verfaßte im Verlauf der vier aufregenden Wochen des Jahres 1790 seine programmatischen Schriften:
"Wertheste Mitbrüder!"
"Werte Mitbrüder!"
"Pro Memoria" und
"Aller Durchleuchtigster Fürst!" .
In der linken Abbildung ist die eigenständige Handschrift Geißlers des Aufrufes Wertheste Mitbrüder von 1790
zu erkennen.
Aus all seinen politischen Formulierungen geht hervor, das Geißler die wichtigsten Forderungen der
Bauern und Bürger verstanden und aufgegriffen hatte: so die Beseitigung der Adelsprivilegien, die
Abschaffung der Wildgehege, eine durchsichtigere Rechtssprechung und Erleichterungen im Steuerwesen.
Mit der Forderung nach Schaffung einer vom Adel unabhängigen Nationalgarde stellte Geißler die
oft zitierte Macht-Frage und war damit für die sächsische Regierung zum gefährlichen Feind geworden.
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In der rechten Abbildung stehen die Forderungen der Bauern aus der Grundherrschaft Döben an der Mulde.
Am 30.August 1790 formulierten sie ihren Text beachtlicher Weise und ganz offenbar in der Tradition
der Zwölf Artikel aus den Kämpfen während des Deutschen Bauernkrieges von 1525. Interessant ist dabei
eine historische Parallelität der Forderungen. So sollen Frohndienste abgeschafft werden, die Befreiung von allen
Zinsen wird gefordert, die Beseitigung des Mühlzwangs und eine Änderung der Gesindedienstpflicht.
Ähnliche Forderungen
stellten die Bauern im gesamten Aufstandsgebiet in schriftlicher wie in mündlicher Form auf. |
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Wohnhaus von Benjamin Geissler |
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Gedenktafel in Liebstadt
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Notizen über Bauernrevolten in Sachsen ♦ Dipl.-Ing. Hans Holger Lorenz ♦ begonnen: 18.Oktober 2007 ♦ Stand: 22.10.2010 ♦
HLorenz500@aol.com ♦ WB To
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