Bauernaufstände in der Russischen Revolution |
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Der akuteste Widerspruch in Rußland Anfang des 20.Jahrhunderts bestand in dem Mißverhältnis zwischen den Erfordernissen kapitalistischer Entwicklung und den noch vorherrschenden Strukturen der Fronherrschaft. Der Kampf der Bauern um Boden und für die Abschaffung der Feudalwirtschaft mußte sich auf alle politischen und sozialen Strukturen des Landes auswirken. Die extreme Zuspitzung der Agrarfrage bildete eine Besonderheit der Russischen Revolution von 1905. |
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"Verlesung des Manifestes von 1861" |
Die Jahre 1861 bis 1904 |
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Jahr |
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1861 |
Im Jahr registrierten die zaristischen Behörden 1176 Bauernrevolten
und Meutereien.
Das Manifest vom 19.Februar ("Bauernreform") hob formell
die Leibeigenschaft auf und ermöglichte eine scheinbare Befreiung von über 22 Millionen Bauern
aus der personellen Abhängigkeit. |
Die Reform von 1861, von den Gutsbesitzern selbst durchgeführt, beseitigte nicht das feudale Grundeigentum. Realistisch betrachtet "befreite" dieses Gesetz die Bauernschaft von einem Teil ihres besten Bodens, indem sie diesen zugunsten des Gutsbesitzers abtrennte (sogenannte "Obreski-Bodenabschnitte"). Im Lauf eines Menschenalters führte diese Reformpolitik, in die die Bauern sehr viele Hoffnungen gesetzt hatten, zur Landlosigkeit der bäuerlichen Millionenmassen. In einem Land, das über riesige Ländereien verfügte, kam akuter Bodenmangel auf. Im Jahr 1905 galten von den insgesamt 85 Millionen Bauern mindestens 70 Millionen als landlos oder landarm. |
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1864 | Semstwo-Reform und Justiz-Reform Bildung von ländlichen und städtischen Verwaltungseinheiten für den Unterhalt von Verkehrswegen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen. Kreisgerichte und Appelationsinstanzen entstehen, Friedensrichter werden zugelassn. |
1870 | Städteordnung reformiert Auf Basis des Besitz-Zensus können in größeren Städten Stadt-Parlamente gewählt werden, die Stadtverwaltungen einberufen dürfen. |
1891 bis 1892 | Hungersnot in Rußland Die immer häufiger und schlimmer werdenden Hungersnöte sind nicht allein Folgen von Wetterbedingungen, sondern langfristige Wirkungen der zaristischen Reformen. |
1897 | Ein Gesetz beschränkt den Arbeitstag auf 11,5 Stunden. Ab der Krise 1900-1903 wird gegen das Gesetz von 1897 durch kleine und mittelständische Unternehmer verstoßen / Verlängerung des Arbeitstages auf 13-14 Stunden. |
1902 | 340 bäuerliche Kampfaktionen werden gezählt. In den Gouvernements Poltawa und Charkow werden von März bis April rund 100 Gutshöfe demoliert. |
1903 |
Politischer Generalstreik im Süden Rußlands im Juli und August, an dem sich rund 200 000 Arbeiter beteiligten. Die russischen Sozialdemokraten bekennen sich zum politischen Bündnis zwischen Arbeiter und Bauern. In Dörfern und Betrieben, in Armee und Flotte wird Lenins Broschüre "An die Dorfarmut" verbreitet. |
1904 | In den fünf Jahren (1900 bis 1904) kam es in Rußland zu 670 Bauernrevolten. Die spontanen Meutereien ändern ihren Charakter: aus passiven Widerstand (Verweigerung von Abgaben und Dienstpflichet) wird zunehmend aktive Revolte (eigenmächtiges Aufpflügen von Gutsherrenland, Einäscherung und Demolierung von Gutshöfen, bewaffneter Widerstand gegen Polizei und Armee). Der russ.-japan. Krieg (Jan.1904-Aug.1905) brachte Rußland für das Jahr 1904 einen materiellen Verlust von rund 2 Milliarden Goldrubel, deren Last vor allem den Bauern auferlegt wurde. Mobilmachungen verschlechterten die soziale Situation der Bauernfamilien. Geldstrafen wurden erhöht, der Arbeitstag verlängert. Die Konsumgüterpreise stiegen. |
Das Jahr 1905 In der Förderung von Erdöl rückte Rußland zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Welt an die erste Stelle, in der Produktion von Lokomotiven und Waggons stand es nur den USA nach und nahm in der Produktion von Roheisen und Stahl den vierten Rang in der Welt ein. |
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Jahr/Monat |
Ereignis |
Januar 1905 | 3.Januar: 12600 Putilow-Arbeiter treten in Petersburg in den Streik. 4.Januar: 15000 Arbeiter im Streik, da sich weitere Betriebe im Land beteiligen. 5.Januar: 26000 Arbeiter im Streik. 7.Januar: 107000 Streikende. 8.Januar: 150000 Streikende, es herrscht Generalstreik. Das Militär besetzt Bahnhöfe, Kraftwerk, Fernsprechamt, Bahndepots und Brücken. 9.Januar: Blutsonntag: Der Zar läßt auf die mehr als einhunderttausend Demonstranten schießen und setzt anschließend Kavallerie zur Niedersäblung der festlich gekleideten Teilnehmer der Prozession ein. Bei dem Blutbad werden über fünftausend Menschen getötet oder verwundet, einschließlich Frauen und Kinder! |
Aus der Petition an den Zaren: |
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Februar 1905 | Auf den Ukas des Zaren Nikolaus II. vom 18.Februar reagierten die Bauern im naiven Glauben,
das ihre Stimme vom Zaren erhört würde. Dieses Februar-Manifest forderte die Menschen auf, Beschwerden einzureichen. Die Bauern trugen in Dorfversammlungen ihre Forderungen vor und reichten sie dann als Petitionen an den Zaren ein. Die wichtigsten Forderungen der Bauern: • Enteignung des Großgrundbesitzes ohne Gegenleistung; • Abschaffung der Ablösezahlungen, (ab 1861 zusätzlich zu Steuern zahlbar) • allgemeine und unendgeldliche Volksschulbildung • freie Wahlen und Bürgerrechte auch für die Bauern Im Februar meldet die Polizei 109 Bauernerhebungen. Die erste Forderung der Bauern ist die nach Land! Der Boden sollte dem gehören, der ihn bearbeitet! Zitat aus der Resolution der Bauern im Kreis Wolokolamsk: "Es ist wichtig, den Privatbesitz an Land anzuschaffen... und allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Land sollte nur von denen genutzt werden, die es in ihren Familien oder in Genossenschaften bearbeiten..."(2 S.449) Forderung nach Bildung! Zitat aus einer Dorf-Petiton im Gouvernement Kursk: "Einer der Hauptgründe dafür, daß wir keine Rechte haben, ist unsere Unwissenheit und unser Mangel an Bildung, der aus dem Mangel an Schulen und aus dem schlechten Unterricht an ihnen resultiert; deshalb ist es wichtig, die allgemeine Schulbildung auf Kosten des Staates einzuführen."(2 S.450) Forderung nach Bürgerrechten: "Alle Beamten, vom niedrigsten bis zum höchsten, sollen vom Volk gewählt werden und den Volksdelegierten gegenüber verantwortlich sein. Die Beamten, die wir jetzt haben, erhalten Geld, das bei uns eingtrieben wird, schaden uns aber nur."(2 S.450) |
März 1905 | Am 30.3. verkündet Nikolaus II. die Auflösung der Landwirtschafts-Kommission
und ermahnt die Bauern, auf eine Reform zu warten. (1 S.109) Die Polizei erhält Bericht über 103 Bauernerhebungen. |
April 1905 | Am 10.4. werden provisorische Kommissionen aus Gutsherren und Beamten
gebildet, die die Verluste der Gutsbesitzer feststellen sollen. Demzufolge
werden später 8 Millionen Rubel als Beihilfe bewilligt, die von den
Bauern auf Grundlage der Gemeinschaftshaftung eingetrieben werden sollen. Die Polizei registriert 144 Bauernrevolten. |
Mai 1905 | Die Polizei meldet 299 Bauernaktionen. |
Juni 1905 | Die Polizei meldet 492 Bauernrevolten. |
Juli 1905 | Registrierung von 248 Bauernmeutereien. |
August 1905 | Zählung von 155 Bauernrevolten. |
September 1905 | Registrierung von 71 Bauernrevolten. Umfassende Streik-Aktionen in den Städten erforderten eine neue Form der Solidarität: die Sowjets wurden einfach benötigt, um vielfältige Streik-Angelegenheiten zu klären, Verhandlungen mit Unternehmern und Polizei zu führen, Ordnung zu wahren und nicht zuletzt um die Verbindungen mit den Streik-Komitees anderer Fabriken aufzunehmen und aufrecht zu erhalten. Der Generalstreik, der nicht nur den Verkehr lahm legte sondern auch die Gasversorgung in den Städten, die Stromversorgung betraf und die Wasserlieferungen abschaltete, zwang zu völlig neuen Ausschüssen, in denen die dazu erforderlichen Absprachen getroffen werden konnten. Dabei bildete sich eine Organisationsform, deren Zustandekommen durch die Arbeiter zunehmend beherrscht wurde und schließlich die professionelle Grundlage für Aktionen bildete in der zwölf Jahre später stattfindenden Oktoberrevolution 1917. |
Oktober 1905 | Auf das Oktober-Manifest der Regierung reagierten die Bauern mit Kampfaktionen.
In den Gouvernements Saratow und Tschernikow begannen sie, die Herrenhäuser
in Brand zu stecken. Entscheidungen darüber beschlossen die Dorfversammlungen. Diese Revolten-Welle erfaßte das Schwarzerdegebiet und die mittlere Wolgaregion. Schätzungen zufolge wurden etwa 3 000 Herrenhäuser niedergebrannt, wobei ein Sachschaden von 40 Millionen Rubel entstanden sein soll. (2 S.451-452) Es wurden 219 Bauernrevolten registriert. Am politischen Massenstreik beteiligen sich über 2 Millionen. |
Oktober bis Dezember 1905 | Bauernrepubliken (Hinweis: Über die entstandenen Bauernrepubliken sind nur sehr wenige Zeugnisse erhalten geblieben.) Obrigkeit der Amtsbezirke abgelöst, neue Behörden gewählt, bewaffnete Miliz aufgestellt Boykott gegen den Gutsherren, Organisation von Kungebungen, Herausgabe einer eigenen Bauernzeitung Nikolajewski Gorodok im Landkreis Saratow (13.Oktober bis 23.Oktober) Rupublik Stary Bujan (13. bis 26. November) Republik Markowo im Landkreis Wolokolamsk im Gouvernement Moskau Bauernsowjet Nowinsk Bauern von 30 Dörfern wählen den ersten Amtsbezirkssowjet mit direkter Verbindung zum Twerer Sowjet der Arbeiterdeputierten (bis Mitte Dezember 1905) |
November 1905 | Registrierung von 796 Bauernaufständen. |
Dezember 1905 | Die Revolution erreicht ihren Höhepunkt. Nach der Niederschlagung des bewaffneten Aufstandes ebbten die Aktionen allmählich ab. Registrierung von 575 Bauernrevolten. |
Die Jahre 1906 und 1907 | |
Sommer 1906 | Anlaß für die neue Welle der Revolten ist das Scheitern der Bemühungen in der Duma
die Enteignung der Großgrundbesitzer durchzusetzen. Die ziegerichteten Brandstiftungen der adligen Landsitze verbindet sich jetzt mit gewaltsamen Übergriffen gegen die Gutsbesitzer. Die Regierung setzt die aus dem russ.-japanischen. Krieg zurück kehrenden Truppen gegen die Bauern ein. Englische Schiffe brachten die Mandschurische Armee (aus japan. der Kriegsgefangenschaft entlassen) nach Rußland zurück. Die britische Regierung erwog gleichzeitig die Entsendung von Flotteneinheiten zum Schutz des Zaren. (1 S.364) |
Juni 1907 | Staatsstreich durch P.A.Stolypin. Stolypin löste am 3.Juni die Duma auf, ließ die sozialdemokratische Fraktion verhaften und ein neues Wahlgesetz verabschieden. Das Wahlgesetz garantierte nur Vertretern der herrschenden Klassen in der Duma politische Aktivität. Das Wahlrecht wurde zugunsten der Gutsbesitzer und der russischen Nationalität geändert.(2 S.467 ff.) |
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Notizen Bauern in der Russischen Revolution 1905 / © Hans Holger Lorenz / Stand: 13.01.2017 / beg. 11-2008 / WB-To