Der Bauernkrieg unter Jemeljan Pugatschow
Größter Bauernkrieg der russischen Geschichte
1773 - 1775
Verglichen mit 1707 vom Bulawin-Aufstand betroffenem Gebiet weiteten sich die sozialen Kämpfe in Russland weiter nach Südosten. Die räumliche Machtausdehnung zaristischer Gewalt deckte sich mit der Ausbreitung der Leibeigenschaft. Die Entwicklung entsprach auch den Veränderungen im Wirtschaftsgeschehen des Zarenreiches. Eine sich herausbildende Gutsbesitzerklasse passte ihr Ausbeutungsverhalten den neu ausufernden Ware-Geld-Beziehungen an. Geld begann eine viel größere Rolle im Geflecht der Wirtschaftsverbindungen und im Alltag der Menschen zu spielen. Noch Ende vorigen Jahrhunderts hatte Zar Peter I. das englische Münzsystem als östlicher Außenseiter studiert. Erst 1768 begann man in Russland mit der Herausgabe von Banknoten, aber schon ein Jahr später nahm die Zarenregierung Auslandsanleihen auf. Die größten Finanziers kamen dabei aus Holland und dem englischen Königreich. Katharina II., Zarin seit 1762, erweiterte erheblich die Rechte der Adligen, die Freiheit der Landbevölkerung dagegen wurde eingeengt. Gleichzeitig begann die große Landvermessungsaktion. Die geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst erlaubte den Herrschaften, eigenmächtig Bauern zu deportieren und getrennt von deren Familien zu verpfänden oder gar zu versteigern. Leibeigene durften wie Sklaven verkauft werden. In Zeitungen wurden Menschen neben Pferden, Schweinen und Schafen angeboten. Für ein leibeigenes Bauernmädchen zahlte man zehn, für Rassehunde bis zu tausend Rubel. Projekte der jungen Kaiserin für eine Milderung der Leibeigenschaft blieben Makulatur. Katharina ergänzte Despotismus und Gewalt durch die Phrase Alles soll zum Wohl aller und jedes einzelnen geschehen. Es ist nicht verwunderlich, das es daher während der gesamten zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts permanent zu Unruhen auf dem Land kam. Jemeljan Pugatschow (1726 - 1775)
Der Bedarf nach neuzeitlichen Sklaven wuchs mit den ungeheuren Ansprüchen der Herrschaften, die sich mehr und mehr der Ländereien entlang und jenseits der Wolga per Dekret bemächtigten. Die zaristische Regierung hatte es jetzt insbesondere auf die Freiheit der Ural-Kosaken abgesehen. Dort ansässige freie Bauern sollten zu neuen Leibeigenen gemacht werden. Flankierende Maßnahmen bildeten eine gestartete Volkszählung und das Vorantreiben der Landvermessung. Es folgten Abgabeerhöhung durch die neuen Herren in Geld- und/oder Naturalform, schließlich eine Zwangsrekrutierung in die zaristische Armee ab 1769.
Seit der Entthronung Peters III. im Jahr 1762 hielten sich hartnäckig Gerüchte über Bauernbefreiungen. Der nur sechs Monate amtierende Zar hatte durchaus absichtlich Hoffnungen genährt und entsprechende Dekrete erlassen oder erlassen wollen. Sie betrafen die Kirchengüter und die Erhebung der zugehörigen Leibeigenen in den Status von Staatsbauern. Es sollte ein Verbot des Verkaufs von Leibeigenen an Nichtadlige, an Bergwerke und an Fabriken gelten. Mit einer Begnadigung von Altgläubigen und religiösen Schismatikern wollte er die niedere Geistlichkeit an sich ziehen. Und mit einer Befreiung des Adels vom Staatsdienst beabsichtigte er, sich feindliche Klüngel vom Hals zu schaffen. Diese Maßnahmen und Absichten spielten eine gewichtige Rolle bei der sofortigen hohen Akzeptanz, die die Bauern Pugatschow entgegenbrachten, als er behauptete, er sei in Wirklichkeit der abgesetzte Zar Peter III., also jener russische Kaiser, der auf ungeklärte Weise in einem Kerker verschwand.
Inzwischen nahm Pugatschhow Kasan und Saratow ein, konnte sich aber dort nicht halten. Seine Leute drängten ihn in Richtung Moskau. Aber gegen die von der Donau her eintreffende Armee der Zarin bot sich kaum eine Chance. Die im Türkenkrieg gehärteten Berufssoldaten waren keine Bauern mehr, mit denen kam es zu keiner Verbrüderung. Schließlich drängten die Truppen Katharinas II. die Abteilungen der Aufständischen Wolga abwärts. Auch hier ging Pugatschows Rechnung nicht mehr auf. Die erhoffte Unterstützung der Don-Kosaken blieb aus. Jene hatten ihre Kräfte bereits in vorausgegangenen Aufständen zu früh erschöpft. Pugatschow musste bei Zarizyn sogar die Flucht ergreifen. Nach etwa dreihundert Kilometern Verfolgung entkam er nicht mehr der Gefangennahme. Am 19.7.1774 von Verrätern in Ketten gelegt, brachten sie ihn in einem hölzernen Käfig nach Moskau. Dort wurde er gefoltert und ohne Gerichtsverfahren am 10. Januar 1775 auf dem Roten Platz hingerichtet.
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II. Zeittafel |
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Jahr | |
1753 | Endgültige Beseitigung der Binnenzölle.[1 S.425] |
1762 | Peter III. beendet die Dienstpflicht des Adels (Gesetz 18.2.1762) Peter III. schließt die Geheime Kanzlei, die mit Folter die Prozesse wegen Majestätsbeleidigung führte.(Gesetz 21.2.1762) Peter III. ändert den Status der Klosterbauern in Staatsbauern. (Gesetz 21.3.1762) [1 S.397-398] |
1762 bis 1796 Regierung der Zarin Katharina II. | |
1762 | Bei der Thronbesteigung Katharinas II. befanden sich 150 000 Bauern und 49 000 ehemalige Klosterbauern im Ungehorsam.[2 S.715] |
1765 | In Russland beginnt die große Landvermessung.[1 S.427] |
1767 | Die Bauern verlieren das Recht, ihren Gutsherren vor Gericht anzuklagen. Dagegen darf der
Gutsherr den bauern nach Sibirien verbannen oder zu Zuchthausstrafen verurteilen. [1 S.405] |
1768 | Russland beginnt mit der Ausgabe von Banknoten.[1 S.426] |
1769 | Die russische Regierung nimmt erstmalig eine Auslandsanleihe auf. [1 S.426] |
1773 bis 1774 |
17.09.1773:Pugatschow bricht mit 80 Verschworenen auf, um Jaizki Gorodok zu erobern |
1775 | 10. Januar 1775: Pugatschow wird nach Folterungen und ohne Gerichtsverhandlung auf dem Roten Platz in Moskau
hingerichtet. Die letzten Saporoger Kosaken verlieren ihre Kosakenfreiheit.[1 S.405] |
III. Namensverzeichnis |
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Name | |
Bibikow | Zaristischer General, der gegen Pugatschow die Regierungstruppen führte. |
Bulawin | Anführer des → Bauernaufstandes im Dongebiet von 1707-1708 |
Michelson | (I.I. Micheson) Oberst, der gegen Pugatschow Regierungstruppen führte.[2 S.719] ⇒ google-book |
Peter III. | (1728-1762) war nur ein halbes Jahr (1762) Kaiser von Russland. Peter III. erließ eine Amnestie für politische Häftlinge, lockerte das Reiseverbot, schaffte die Salzsteuer ab, führte eine Luxussteuer für den Adel ein und soll die Beendigung der Leibeigenschaft geplant haben. Der russische Kaiser starb im Juli 1762 unter ungeklärten Umständen. Damit entstand die Legende, der sich auch Pugatschow bediente. ⇒ Denkmal |
Potschitalin | Kosak, schrieb das erste Manifest für Pugatschow am 17.9.1773 |
Pugatschow | (um 1742-1775) Jemeljan Iwanowitsch P., Anführer im Bauernkrieg, gab sich als der wunderbar gerettete Zar Peter III. aus. |
Salawat Julajew | Anführer der Baschkiren, die auf Seiten Pugatschows kämpfen. [2 S. 718] |
IV. Links, Literatur, Quellen, Hinweise |
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Nr. | |
[1] | Günther Stöckl, Russische Geschichte, Stuttgart 1990 |
[2] | J.M. Shukow, J.J. Sutis, Weltgeschichte Bd. 5, Berlin 1966 |
- | Peter Scholl-Latour , Rußland im Zangengriff - Putins Imperium zwischen Nato, China und Islam, Propyläen Verlag Berlin 2006 S. 229-231 |
- | Hrg. Heinz-Dietrich Löwe, Von der Zeit der Wirren bis zur grünen Revolution, Forschungen zur Europäischen Geschichte, Osteuropainstitut der FU Berlin Bd. 65, Wiesbaden 2006 |
- | Kirill V. Ĉistov, Der gute Zar und das ferne Land - Russische sozial-utopische Volkslegenden, New York München Berlin 1998 (Moskau 1967) Hrg. Dagmar Burkhard |
- | Anton Seljak, Nicht immer rollte der Rubel - Das russische Geld- und Kreditsystem vom Kiever Reich bis 1897 BoD Norderstedt 2012 ISBN 978-3-8423-5830-0 |
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Notizen russische Bauernkriege / beg.: 27.November 2007 / Stand: 15.12.2016 / Hans Holger Lorenz