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Von der Sehnsucht der arbeitenden Menschen nach gütiger Gerechtigkeit im Alltag und nach Hilfe
eines mildtätigen Gottes ist in der Geschichtsschreibung nur die
Berichterstattung über Massenhysterien stupiden Mobs übrig. Die Beschreibungen
der Walfahrten von vierzigtausend Bauern 1476 zum Pfeiffer von Niklashausen
legen davon beredtes Zeugnis ab. Dabei hatte sich ein Hans Böheim
auf die Milde der Jungfrau Maria berufen, als er um etwas weniger Ungerechtigkeit bat.
Er wurde als Ketzer verbrannt.
Aber die Bewegungen der Reformation und schließlich die im Bauernkrieg explodierende
Unzufriedenheit über alltäglich erduldete Drangsale waren nicht die Hysterien blinder Menge gewesen
sondern man möchte fast sagen: gesetzmäßige Reaktionen der Menschen auf sich häufende Unerträglichkeiten.
Künstler vom Format eines Grünewald spürten das eher intuitiv als
vernünftig und deswegen sehen wir in seinen Bildern Geheimnis und Anklage
zugleich.
Grünewalds Mystik wird bestimmt durch die Farben und ganz besonders
durch das Licht, dessen Herkunft bis auf eine Ausnahme (in der Auferstehung)
unklar bleibt. Mit der Anklage verhält es sich komplizierter und manche
Kunsttheoretiker negieren sie heute vollständig. Aber wahr ist es schon, das
die zerrissenen Kleider seiner Heiligen auf einen niederen Stand verweisen,
das sie eher Bauern gleichen. Dagegen tragen seine römischen Schergen mit abstoßender
Häßlichkeit das Pupur der päpstlichen Macht. Die fast zeitgleiche Arbeiten
Dürers beweisen uns,
das die Bauern Fetzen tragen mußten, aber Dürer stellte Bauern definitiv als Bauern
dar - Dürer war deutlicher und direkt.
Das überzeugenste Argument für Grünewalds Anschuldigungen ist seine
Jesusdarstellung selbst. Dieser Gottessohn hat wirklich gelitten, sein Sterben
ist genau genommen eine Anklage auf diesen entarteten Klerus, der
täglich und immer aufs Neue eine Schuld auf sich lädt. Diese Darstellung von Tod
ist nicht schlechthin Naturalismus. Wenn die Welt so wäre, wie sie Grünewald zu
sehen bekommt, wäre Gott wirklich tod! Und der Maler arbeitet vorrangig im
Kreis von Hofleuten, von Schranzen! Und so treibt ihn dieses Erleben
in die Darstellung des Häßlichen, das er nur wenige Male zu überwinden vermag.
Man muß schon bei der offenkundigen Tatsache bleiben - Grünewald scheint das Häßliche
zu bevorzugen - als Mittel zum Zweck, aber er sehnt sich nach Schönheit! Doch in
seinem Lebensumfeld ist sie schwer zu finden. Anders bei Dürer.
Dürer: ein freier Mann! Er konnte Schönheit sehen und zeigt sie uns
auch in wunderbaren Porträts starker Persönlichkeiten. Dürer
geht in seiner direkten Suche nach einer Formel für Schönheit sogar viel weiter:
er findet sie nicht selten in der leichten Abweichung von der Norm. Dagegen versucht es
Grünewald mit strahlendem Licht - mit einer nicht uninteressanten
Aureole.
Dafür wählte Matthias Farben, die heute oft und damals kaum verwendet wurden.
Manches könnte aus moderner Zeit sein - auch das Häßliche.
Vielleicht wurde er deswegen im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts
kommerziell entdeckt, als die Neon-Reclamen massenhaft aufzugrellen begannen.
Selbstverständlich gibt es Bösartiges auf der Welt. Wenn Kunst eine Form der Wahrheitsfindung ist,
und Kunst vermag Das Böse darzustellen,
dann ist offenbar eben dieses Böse durchaus ein Teil der Wahrheit, die uns
Grünewald nicht verschwieg. Er schien uns sagen zu wollen:
eine Abbildung des Bösen ist darstellbar, also ist es existentiell.
Nun ist es gerade aber diese Bösartigkeit, die ein gewisses Pendel praktiziert.
In der Kunst handtiert sie damit, wie sie es benötigt:
einerseits die unerhört zugespitzte naturalistische Darstellung des Häßlichen und andererseits
das generelle Darstellungsverbot. Damit hätte das Häßliche immer
siegen können, denn beide Richtungen schließen unbemerkt und unerwähnt die Darstellung des Schönen aus.
Aber das Häßliche leidet unter einer gravierenden Schwäche. Es unterliegt stets der Gewohnheit
und verbraucht sich bis zum Ekel und dessen natürlicher Abstoßungskraft.
Die Aufgabe des Pendels zeigt sich dann, wenn sich das Häßliche in den Wahrnehmungen endlich verbraucht hat.
Genau dann soll das Pendel zum Darstellungsverbot hin aushieven. Es scheint nur wie eine
Gesundung. Diese Auswege suchten z.B. die Zisterzienser, aber auch
die wilden Bilderstürmer Karlstadts. Beide Richtungen leiteten erfolgreich in die Irre.
In der Realität scheint das Böse klare Vorteile zu genießen, wenn die Darstellung des
Schönen, und vor allen Dingen der Krönung des Schönen - des Menschen,
nicht mehr erlaubt wird. Ein generelles Bilderverbot schließt in seiner Diktatur
sogar ein Verbot der Darstellung des Schönen ein.
Menschlicher Fortschritt und das Erkennen menschlicher Gaben wird unsichtbar gemacht.
Bei einem Bilderverbot ist es nicht so, das die gedankliche Schwingung zwischen dem natürlichen
→ Häßlich oder Schön
pendelt - wie es rationale Vernunft und emotionale Betrachtung entwickeln,
sondern sie darf sich nur zwischen Häßlich oder Abstrakt bewegen. Vielleicht könnten die Menschen sonst leichter begreifen,
das Kunst etwas anderes ist als die bezahlte und angeheuerte Widergabe des Häßlichen.
Jede Negation des Menschlichen ist letztendlich hässlich.
Weil das ein Grünwald gerade am Erahnen ist, ist er so wichtig in der Darstellung des
(auch häßlichen) Menschen und weil er gerade am Begreifen ist, es ist noch nicht das Erkennen selbst,
kann er die Kraft eines Dürers nicht finden.
Beim dem Holzschnitzer → Riemenschneider
gleicht die menschliche Schönheitsgabe gar einem Göttergeschenk.
Schönheit liegt im Wesen des Menschen - deswegen haben wir eine unstillbare Sehnsucht danach und deswegen hat uns die Natur
auch mit der Gabe ausgestattet, zuweilen besagtes Negativ-Pendel anzuhalten und zur menschlichen Ansicht
der Welt zurückzukehren.
So verläßt im Gegensatz zu Grünewald der jüngere Hans Holbein die Mystik,
nachdem er sich mit ihr in seinem Holzschnittzyklus »Der Totentanz« (entstanden 1526)
ausgiebig beschäftigt hatte und er verläßt das durch die Niederschlagung der
Bauernbewegung erstarrte Deutschland. Holbein widmet sich den Porträts der
modernen englischen Hofgesellschaft, kühl wie diese, mit klarem nüchternen Urteil.
Das ist wahrer Naturalismus, ruhig, leidenschaftslos und genau. Wer
von seinen Modellen hochmütig ist, wird so wider gegeben, Zyniker sind zynisch und
Selbstzufriedene eben selbstzufrieden. Aber es sind alles Menschen - keine Heiligen,
keine Götter und keine Genies, auch ein Erasmus nicht. Das Vertrauen zu den Menschen,
das einen Dürer immer wieder beflügelte, ging dem Holbein verloren - das Menschliche nicht!
Nach Ende des Bauernkrieges wurde Grünewald aus dem Hofdienst entlassen,
war er doch als Lutheranhänger dem Gericht verfallen. 1526 erhielt er
die letzte Zahlung aus der fürstlichen Kammer in Mainz. Er ging
über Frankfurt a.M. nach Halle. Der Künstler versuchte sich noch als
Wasserbaumeister, Seifensieder und Farbenhändler.
Als im Oktober 1528 eine Kommission den Nachlaß des Mathis Gothart-Nithart
inventarisierte, fand sie die gedruckten
→ Zwölf Artikel der
aufrührerischen Bauern.
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