Michael Gaismairs Tiroler Landesordnung
Februar / März 1526

I. Textvorlage   ♦   II. Notizen zum Text   ♦   III. Zeittabelle u. Zeitgenossen   ♦   IV. Historiker über Gaismair   ♦   V. Quellen und Literatur   ♦   VI. weitere Verbindungen       


Das ist die Landsordnung, so Michel Gaismair gmacht hat im 1526.Jahr

Anfenglich so werdt ihr geloben und schwörn, Leib und Gut zusammensetzen, voneinander nit weichen, sonder miteinander heben und legen, doch allzeit nach Rat zu handlen, eur furgesetzten Öbrigkeit treu und gehorsam zu sein und in allen Sachen nit eignen Nutz, sonder
zum ersten die Ehr Gottes und darnach den gemeinen Nutz zu suchen, auf daß uns der allmechtig Gott (wie er dann allen denen, so ihm in seinen Geboten gehorsam sein, vielfeltig geheißen hat) Gnad und Beistand tue, darauf wir genzlich vertrauen sollen, dann er ganz wahrhaft ist und niemand betrügt.

Zum andern, daß ihr alle gottlosen Menschen, die das ewig Wort Gottes verfolgen, den gemein armen Mann beschwären und den gemeinen Nutz verhindern, ausreiten und dannen tuen wellet.

Zum dritten, daß ihr daran sein wöllet, und ein ganz christenliche Satzung, die allein in allen Dingen aus dem heiligen Wort Gottes gegründt ist, aufrichten und daran genzlichen geleben wellet.

Zum vierten sollen alle Freiheiten abgetan, dann sie wider das Wort Gottes seind und das Recht fälschen, darin niemand für den andern gevorteilt werden soll.

Zum funften sollen alle Ringmauren an den Stedten, dergleichen alle Geschlösser und Befestigung im Land niederbrochen werden und hinfur nimmer Stedt, sonder Dorfer sein, damit [kein] Unterscheid der Menschen, also daß einer höher oder besser weder der ander sein wölle, werde, daraus dann im ganzen Land Zerruttlichkeit, auch Hoffart und Aufruhr entstehn mag, sonder ein ganze Gleichheit im Land sei.

Zum sechsten sollen alle Bilder, Bildstock, die Kapellen, so nit Pfarrkirchen sein, und die Meß im ganzen Land abgetan werden, dann es ein Greul vor Gott ist und ganz unchristlich ist.

Zum siebenten soll man das Wort Gottes treulich und wahrhaftiglich ins Gaismairs Land allenthalben predigen und alle Sophisterei und Juristerei ausreiten und dieselben Bücher verbrennen.

Zum achten sollen die Gericht allenthalben im Land auf das gelegenlichest, desgleichen die Pfarren ausgezehlt werden, also daß man die mit wenigstem Kosten versehen mag.

Zum neunten soll ein jede ganze Gmein eins jeden Gericht alle Jahr ein Richter und acht Geschworen erwöhlen, die sollen dasselbig Jahr den Gerichtzwang versehen.

Zum zöhenten soll alle Montag Recht gehalten werden und alle Sachen nicht über das ander Recht aufgezogen werden, sonder zu End bracht auf den andern Tag. Sollen die Richter, Geschworn, Schreiber, Redner und Gerichtsleut, Boten, sollen in den Gerichtshändlen von niemand nicht nehmen, sonder vom Land besoldt werden und demnach in ihrem Kosten alle Montag bei der Gerichtsstatt erscheinen und dem Gericht gewertig sein.

Zum einliften soll ein Regiment im Land besetzt werden (darzu Brichsen der gelegentlichst Platz wer, außerdem viel Pfaffenheuser und andere Notdurft und mitten im Land were) und sollten die Regenten aus allen Vierteilen des Lands, auch etlich vom Bergwerk erkiest werden.

Zum zwölften soll die Appellation von stundan für die Regierung und nimmer gen Meran, dann es ein Unkosten und kein Nutz ist darin gebracht worden, und von stundan dasselb erledigt und zu End ohn ferrer Wägerung gehn.

Zum dreizehenten soll an dem Ort, da die Regierung des Lands ist, ein Hohe Schul aufgericht werden, da man allein das Wort Gottes innen lernen soll, und sollen allweg drei gelehrte Männer von der Hohen Schul, die das Wort Gottes kundig und der Göttlichen Geschrift (aus welcher die Gerechtigkeit Gottes allein erleutert werden mag) wohl erfahren sein, in der Regierung sitzen und alle Sachen nach dem Befehl Gottes als christenlich Volk zugehörend richten und urteilen.

Der Zins halben soll ein ganze Landschaft nach Rat miteinander beschließen, ob dieselben von stundan ab sein sollen, oder ob man ein frei Jahr nach dem Gesatz Gottes berufen wölle und die Zins mittlerweil zu gemeiner Landsnotdurft einziehen; dann es ist zu bedenken, daß gmeine Landschaft eins Kriegs Kostung ein Zeitlang brauchen wurd.

Der Zöll halben seh mich dem gmein Mann Nutz sein [für] gut an, man tet dieselben im Land allenthalben ab, aber an Konfinen richtet man sie auf und hielts also, was ins Land ging, das zollet nicht, was aber aus dem Land ging, das zollet.

Zehents halben, den soll jedermann geben nach dem Gebot Gottes und soll also verbracht werden: In jeder Pfarr soll ein Priester sein nach der Lehr Pauli, der das Wort Gottes verkundt; der soll mit ehrbarer Notdurft vom Zehent unterhalten werden, und der übrig Zehent soll armen Leuten geben werden; aber ein solche Ordnung soll mit den Armen gehalten werden, es soll niemand von Haus zu Haus bettlen gehn, damit Lotterei, viel unnutz Volk, das wohl arbeiten mag, abkehrt werd.

Die Klöster und Deutschen Heuser sollen in Spitäler gmacht werden. In etlichen sollen die Kranken beieinander sein, den mit aller Zaff und Erznei wohl gewart werden soll, in den anderen die alten Personen, so Elters halben nimmer arbeiten mugen, und die armen, unerzogen Kinder, die man lernen und zu Ehren ziehen soll. Und wo aber hausarm Leut weren, den soll man nach Rat eins jeden Richters in seiner Verwaltung, da sie am besten erkannt werden, nach Gelegenheit ihrer Notdurft vom Zehent oder Almosen Hilf tun.

Wo aber der Zehent zu Unterhaltung der Pfarrer und Armen nit erklecken möchte, so soll menniglich sein Almosen nach seinem Vermugen treulichen darzugeben, und wo uber das Mangel wer, so sollt vom Einkommen völlige Erstattung geben werden. Und soll in einem jeden Spital ein Spitalmeister sein und darzu ein öbrister Vogt oder Amtmann über alle Spitäler und Armen gesetzt werden, der nicht anders tue, dann fur und fur alle Spitäler bereit und Fursorg uber die Armen trag und ihnen Fursehung tue; darzu ihn alle Richter, ein jeder in seiner Verwaltung, mit einer Hulf der Zehenten und Almosen, auch Anzeigung und Unterrichtung der auch hausarmen Leuten, hülflich sein sollt.

Es sollen auch die Armen nit allein mit Essen und Trinken, sonder mit Kleidung und aller Notdurft versehen werden.

Item, damit gute Ordnung im Land allenthalben in allen Dingen gehalten werde, so sollen auch vier Hauptleut und darzu ein obrister Hauptmann über das ganz Land gesetzt werden, die in Kriegsleufen und allen Dingen fur und fur des Lands Notdurft und Fursorg tragen mit Bereitung des Lands, der Revier, der Päß, Weg, Brücken, Wasser, Beu, Landstraßen und alles handlen, was in dem Land notdurft ist, und dem Land alle Notdurft in allen Dingen treulich zu dienen. Doch sie sollen alle Mängel nach der Besichtigung und Erkundigung zuvor der Regierung anzeigen und nach Rat derselben allweg handien.

Man soll auch Mööser und Auen und andere unfruchtbare Ort im Land fruchtbar machen und den gemein Nutz um etlich eigennutzigen Personen willen nit unterwegen lassen. Man möcht die Mööser von Meran unz gen Trient alle auftrucknen und merklich Vieh und Kuhe und Schaf darauf halten, auch viel mehr Treid an viel Orten zuglen, also das Land mit Fleisch versehen wär.
Man möcht auch an viel Orten Ölbaum setzen, auch Safran zuglen, auch die Bodenweingarten soll man zu Glasuren machen, Rottlagrein darin anlegen und verjehren Wein machen, wie im Welschland, und darzwischen Treid anbauen, dann das Land Mangel an Treid hat. Daraus folget, daß die bösen Dämpf von den Möösern vergingen und das Land frischer wurd. Es wurden viel Krankheiten aufhören, die von den schweren Bodenwein kommen; der Wein und Treid wurd wohlfeil und mit ringer Kostung zu arbeiten. Aber die Bergweingarten, die man mit Korn nicht anbauen, die ließ man bleiben.

Item man soll in jedem Gericht alle Jahr zu gelegener Zeit ein ganze Gmein in den Felden und Gemeinden roboten, dieselbigen raumen und gut Weid machen und also das Land fur und fur besseren.

Es soll im Land niemand Kaufmannschaft treiben, auf daß sich mit der Sünd des Wuchers niemand befleck.
Aber damit in solchem nicht Mangel erschein und gut Ordnung gehalten werd, auch niemand überschätz und betrogen, sunder alle Ding in eim rechten Kauf und gut War gefunden werden mug, so soll anfenglichen ein Ort im Land furgenommen werden (darzu Trient der Wohlfeil halben und inmitten Weg gelegen wäre), dahin man alle Handwerk anrichten und vom Land verlegen solle, als seiden Tuch, Birett, Mössingzeug, Samt, Schuh und anders zu machen, und soll ohngefahr ein Generalamtmann, der alle Ding verreit, darüber gesetzt werden; und was im Land, als Gewürz und ander, nicht erlangt werden mag, das soll außerhalb bestellt werden. Darauf an etlichen Orten der Gelegenheit nach im Land Laden gehalten, darin allerlei feilgehabt, und soll auf nichts kein Gwinn daraufschlahen, sonder allein der Kostung, so darüber geht, darauf gerechnet werden;
damit wurde verhut aller Betrug und Falsch, und man mocht alle Ding im rechten Wert gehaben, und bleibt das Geld im Land und käm dem gemeinen Mann zu gar großem Nutz. Diesen Amtmann über den Handel und seinen Dienern geb man bestimmte Besoldung.

Man soll ein gute schwere Münz, wie bei Herzog Siegmund Zeiten, wiederum aufrichten und die jetzig Münz aus dem Land tuen und vertreiben und ferrer kein auswertig Münz, weder viel noch wenig, nehmen, damit das Geld soll probiert werden und soll valuiert werden und was gegen Landnutz wert ist, also solls genummen werden.

Man soll von allen Kirchen und Gottsheuseren alle Kelch und Kleinod nehmen und vermunzen und zu gemeiner Landnotdurft brauchen.

Man soll auch gute Verständnus zu anstoßenden Länderen machen. Man soll den Zafairen im Land zu hausieren nit gestatten. Man soll hinfuran ein Markt im Etschland und einen im Inntal halten. Man soll ein Waag einellen und einerlei Satzung im ganzen Land haben. Man soll die Konfinen und Päß in guter Verwahrung haben. Man soll ein tapfere Summa Gelds zum Vorrat machen, ob das Land ein unversehener Krieg anfiel. Und der vertrieben Edelleit oder ander Bau Guter soll man zu Unterhaltung des Gerichts Kostung halten.

Des Bergwerks.
Erstlichen sollen alle Schmölzhütten, Teilbergwerk, Erz, Silber, Kupfer und was dazu gehört und im Land betreten werden mag, so dem Adel und auslendischen Kaufleuten und Gesellschaften, als Fuckerisch, Höchstetterisch, Paumgarterisch, Pumblisch und dergleichen zugehört, zu gmein Landshanden einziehen;
dann sie solches billich verwurkt haben, dann sie haben solich ihr Gerechtigkeit mit unrechtem Wucher erlangt, Geld, zu Vergießen menschlichs Bluts; desgleichen gmeinen Mann und Arbeiter mit Betrug und böser War in hohem Geld, zwier mehr weders beschwert gwesen, seins Lidlohns bezahlt; auch das Gewurz und andre War durch ihren Furkauf verteurt und Ursach ringer Münz gwesen, und alle Münzherren, die Silber von ihn kaufen, nach ihm solch erdacht Taten bezahlen müssen, oder die Münz entgegen der Armen genummen, sein Lidlohn auch dem Armen abgebrochen, wo sie mit Schmelzherren in ihrem Erzkauf nicht erstatt.
Aber alle Kaufmannswar, aus dem sies alle in ihre Hend bracht, in einem höheren Kauf gesteigert und also die ganz Welt [mit] ihrem unchristenlichen Wucher beschwert und sich dardurch ihr furstliche Vermugen gericht, das dann billich gestraft und abgestöllt werden sollt.

Demnach soll vom Land ein obrister Faktor über alle Bergwerksachen [gesetzt werden], der alle Ding handl und jahrlichen verreit.

Und soll niemand zu schmölzen gestatt werden, sonder das Land soll durch ihren gesetzten Faktor alle Erz schmölzen lassen, die Erzkeuf der Billichkeit nach bestimmt und dargegen dem Arbeiter alle Raitung mit barem Geld und mit keinem Pfennwert hinfuran Bezahlung tuen, damit furan die Landleut und Bergleut in gutem Frieden beieinander bleiben mugen.

Dergleichen soll im Pfannhaus gute Ordnung gehalten werden und soll dem Land ein ziemlich Einkummen vom Bergwerk machen, dann es am besten geschehen mag; damit die Regierung des Lands mit allen Ämteren und Versicherung darvon unterhalten werden mugen.

Wo aber in sölchem dem Land Mangel erschien und genugsam Einkummen zu Versehung des Lands darin [nicht] mag erlangt werden möcht, so müßt man ein Steur oder ein Zinspfenning auflegen, damit ein gleiche Burd im Land getragen wurd. Man soll auch allen Fleiß darzutuen und die Kostung vom Land daran legen, damit im Land an mehr Orten Bergwerk erweckt und erbaut werden mügen, dann durch die Bergwerk mag das Land ohn menniglich Beschwerung das meist Einkummen erlangen.

aus: DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG
Beschwerden Programme Theoretische Schriften
Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1974
Printed in German Democratic Republic (DDR) 1974
Seite 272 - 278



Notizen zum Text

Über die Kriege der Bauern in Schwaben und am Bodensee sprach sich einiges herum. Mit den Flüchtlingen kamen die Gerüchte und Ideen. So sprang die Reformationsrevolte auch auf die habsburgischen Alpenländer über. Weil die neuen Prediger hier aber härter und bedingungsloser verfolgt wurden, dehnten sich die Kämpfe nach Tirol, nach dem Fürsterzbistum Salzburg und in die Steiermark aus. In jener erregten Zeit machte sich einer durch seine staatstheoretische Arbeit für immer einen Namen: Michael Gaismair. Sein hastiger Entwurf einer Tiroler Landesordnung umfasste alles, was an bisherigen Kampferfahrungen des gemeinen Mannes gesammelt wurde und ein neues Staatswesen ausmachen würde.

Der moderne Staatsbürger
Der erste Punkt des Entwurfs behandelt die Anforderungen an moderne Staatsbürger:
›› Anfenglich so werdt ihr geloben und schwörn, Leib und Gut zusammensetzen, voneinander nit weichen, sonder miteinander heben und legen, doch allzeit nach Rat zu handlen, eur furgesetzten Öbrigkeit treu und gehorsam zu sein und in allen Sachen nit eignen Nutz, sonder
zum ersten die Ehr Gottes und darnach den gemeinen Nutz zu suchen, auf daß uns der allmechtig Gott (wie er dann allen denen, so ihm in seinen Geboten gehorsam sein, vielfeltig geheißen hat) Gnad und Beistand tue, darauf wir genzlich vertrauen sollen, dann er ganz wahrhaft ist und niemand betrügt. ‹‹

Alles zielt auf eine Einhaltung der Disziplin. Man hat nicht ausschließlich nach Eigennutz zu streben sondern die Gesetze (nach den zehn Geboten) einzuhalten und ebenfalls nach christlichem Gebot sich an dem Nutzen für die Gemeinde zu orientieren. Wenn das vertrauenswürdig geschieht, dann wird Gott der Sache beistehen. Um diese Grundsatzanforderung zu verstehen braucht man sich nur den Gegensatz vorstellen: jeder handelt nach Eigennutz, jeder ignoriert die zehn Gebote und jeder mißachtet die Disziplin, die für ein Gemeindeleben notwendig ist - dann hat man genau die Zustände, die später im dreißigjährigen Krieg in den deutschen Landen tatsächlich vorherrschen werden.

Der zweite Punkt ist gekennzeichnet von drei Inhalten:
››... alle gottlosen Menschen, die das ewig Wort Gottes verfolgen, den gemein armen Mann beschwären und den gemeinen Nutz verhindern, ausreiten ...‹‹

Zum einen fordert Gaismaier hier die Einhaltung des Grundsatzes: ein Staat - eine Religion. Diese Forderung ist nicht unzeitgemäß und auch nicht neu! Auch Kaiser Karl V. will in seinem Reich diese Forderung umsetzen, katholisch. Gerade die antikaiserlich gestimmten deutschen Fürsten werden sich später vorbehalten, welche Religion ihre Landeskinder anzubeten haben. Genau genommen steht hier eine Fürstenforderung, nur protestantisch volksverbunden formuliert. Gaismair daraus einen Vorwurf zu machen, bedeutet die Religiösität seiner Zeit nicht zu verstehen. Immerhin arbeitete er lange für einen katholischen Fürsten. Es gilt heute eher das Moderne seiner Formulierung zu beleuchten. Gaismaier verbindet die Religion mit der Aufforderung sich am gemeinen Nutzen zu orientieren, also an dem Nutzen für die Gesellschaft. Das klingt fast wie Thomas Müntzer. Zugleich ergänzt er die Forderung mit einer scharfen Eingrenzung: alle die, die Armut herbeiführen, werden ausgeschlossen! Gaismaier sagt hier nicht: die Reichen werden ausgeschlossen sondern die, die Armut herbeiführen! Und das wird mit dem dritten Inhalt verbunden, mit einer praktischen Maßnahme. Wer die wahre Religion verfolgt, wer Armut produziert und wer den Nutzen für die Gemeinde verhindert, soll außer Landes gehen!
Diese Maßnahme der Ausweisung entspricht ihrer Zeit, Gaismaier kopiert sie gewissermaßen für seinen Entwurf. Auch Stadträte und Fürsten weisen ständig Mißliebige aus. Der Widertäufer Jakob Groß wurde aus Waldshut vertrieben, weil er behauptete, keine Obrigkeit dürfe das Töten eines Menschen befehlen. Strauß und sein geistiger Kompagnon Urbanus Rhegius hatten die Bergsrtadt Hall zu verlassen. So wurde Müntzer aus Allstedt ausgewiesen und später seine tapfere Frau als Witwe mittellos aus Mühlhausen gejagt.

Die dritte und vierte Position ergänzen mehr oder weniger das bisher verfasste, sie verschärfen nur die ersten Sätze. Um allen Mißverständnissen zu begegnen, wird hier eindeutig auf das Christentum orientiert und auf ein Verbot: ein Recht zum Vorteil einiger weniger Gesellschaftsmitglieder wird von vorn herein ausgeschlossen.

Alle Städte zu Dörfern machen?
Über den fünften Punkt wird oft behauptet, Gaismaier wollte aus allen Städten wieder Dörfer machen. Eine etwas weitergehende Betrachtung ist hier also notwendig:
››Zum funften sollen alle Ringmauren an den Stedten, dergleichen alle Geschlösser und Befestigung im Land niederbrochen werden und hinfur nimmer Stedt, sonder Dorfer sein, damit [kein] Unterscheid der Menschen, also daß einer höher oder besser weder der ander sein wölle, werde, daraus dann im ganzen Land Zerruttlichkeit, auch Hoffart und Aufruhr entstehn mag, sonder ein ganze Gleichheit im Land sei.‹‹
Die Formulierung klingt sehr problematisch, auch angesichts der damaligen Losung: Stadtluft macht frei! Der Angelpunkt ist hier jedoch der Wunsch nach Frieden, nach genereller Abrüstung. Der Adel verschanzte sich seit drei Jahrhunderten (Siehe → Bauernrepublik) in Burgen, um sich vor dem Unmut der Landbevölkerung zu schützen, die sich zunehmend belastender Abgabenpraxis erwehren wollte. Zuweilen bildeten sich im Burgen-Umfeld bei günstiger geographischer Lage neue Städte durch fortlaufende Ansiedlung. In den Städten wuchs ein reiches Patriziat heran, das auch Land zu kaufen vermochte. Manchmal kreuzten sich dabei die Interessen der Städter mit denen der Bauern. Die Verworrenheit der Lage um 1525 zeigte sich darin, das manche Städte auf die Seite der Bauern gehen, andere dagegen mehr den Fürsten anhängen. Genau diese Zerruttlichkeit will Gaismaier beenden und er will die Gefährdung der Landbevölkerung durch die Burgherren ausschließen. Zugegebenermaßen erscheint sein Lösungsangebot heute trivial naiv. Es ist aber eine etwas undeutliche Mischung aus einer Forderung nach allgemeiner Abrüstung und der Aufgabenstellung, Unterschiede zwischen Stadt und Land auszugleichen. (F1)

Kirchenausstattung
Die sechste Forderung trägt mitunter die Handschrift Zwinglis. Später wird man es → Bilderstürmerei nennen. Die Zerstörung der inneren Ausstattungen der Kirchen galt eigentlich der ausufernden Geldmacherei durch kommerzialisierte Reliquienverehrungen. Die Empörer wußten jedoch nicht zwischen wirklicher Kunst und verlogenen Kultsymbolen zu unterscheiden. Zuweilen schoß der Zorn weit übers Ziel hinaus und nicht selten mochte er von Kräften angestachelt sein, deren Herkunft und wirklicher Antrieb nicht mehr zu belegen ist. Es gingen dabei auch unersetzbare Kunstschätze für immer verloren. Das manche Historiker darüber Krokodilstränen weinen, kann heute leichter hingenommen werden, weil sich das Wissen über die Grenzwertigkeit mancher Heiligtümer im Zeitalter der Aufklärung verbreiten konnte. (F2)

Eine Justiz-Reform
Es ist einfacher, den siebenten bis zehnten Punkt als eine Geschlossenheit zu betrachten, denn es handelt sich um einen Entwurf, einen handschriftlichen. Man darf vermuten, das Gaismaier eine zusammenfassende Überarbeitung im Auge hatte, als er diese Zeilen niederschrieb. So skizziert er hier die Gedanken zu allen Fragen der Gerichtsbarkeit, der Rechts und der Rechtssprechung. Es galt das völlig aus dem Ruder gelaufene Justizwesen gründlichst zu reformieren. Sophisterei und Juristerei im schlimmsten Wortsinn mußten für eine neue Republik, eine Bauern- und Bergknappenrepublik, ausgemerzt werden. Neue Richter waren von Nöten. Die alten bestechlichen Kritikaster mußten weg! Der Begriff der Bücherverbrennung, in der Gegenwart aus politischer Korrektheit zur allseitig heiklen Frage umdefiniert, betrifft hier die Schriften über Abgaberegelungen und die (zuweilen gefälschten) Verpflichtungen der Leibeigenen und Abhängigen. Auch die von durchtriebenen Autoren verfassten Pseudogesetzlichkeiten, die jedem menschlichen Verstand zuwider Erklärungen darstellten, wie die Abhängigkeiten sowohl religiös als auch gesetzestextlich zu rechtfertigten wären, galt es zu vernichten. Wahres Christentum widerspricht der Leibeigenschaft, widerspricht sozial erzwungener Abhängigkeit, die in die Armut zwingt. Wie kann ein Christ zu einem anderen Menschen sagen: Du bist mein Eigentum? Das wurde schon hundert Jahre zuvor, genau 1439, gefragt in der Reformatio Sigismundi. Außerdem galt es unbedingt die Gemeindeautorität wieder zu stärken. Die Menschen mußten wieder direkter an der Rechtssprechung und Rechtsausübung mit beteiligt werden. Unbestechliche (für heutige Leser noch einmal zur Erklärung: das sind die, die nichts nehmen) können Richter, Geschworn, Schreiber, Redner und Gerichtsleut, Boten werden. Sie sind vom Land zu besolden und von sonst niemandem. Es gilt, schnelle und zuverlässige Urteile zu fällen.
Das alles ist in den vier Punkten kurz umrissen, denn Gaismaier schrieb offensichtlich unter dem Druck der Ereignisse. Die Bauernfähnlein riefen nach ihm, die militärischen Niederlagen zeigten sich bedrückend, taktische Entscheidungen über die Fortsetzung des Kampfes mußten gefällt werden. Wenig Zeit also für strategische Problemuntersuchungen. Alles fast hastig hingeworfen in die Zeilen, umgehend abgeschrieben und als Handschriften an Gleichgesinnte verteilt. Erstmalig gedruckt wurde sie viel später.

Eine Hauptstadt!
Der elfte bis dreizehnte Punkt betrifft die Landesorganisation. Brixen wird die (in der Mitte gelegene) Hauptstadt, und zwar die einzige. Zwei oder mehrere Hauptstädte bringen nur Unkosten. Dahin kommen die Vertreter mit ihren Anliegen aus den Provinzen und Bergwerken. In der Hauptstadt sollen die Entscheidungen ohne Hinauszögern gefällt werden. Eine Hohe Schule mit drei gelehrten Fachleuten dient der Lehre Gottes und der Erleuterung der Göttlichen Gerechtigkeit.

Solides Geld und Währungsreform
Nach dem dreizehnten Punkt fällt jedem Leser auf, das sich die Struktur des Textes ändert, der Entwurfscharakter wird absolut deutlich. Vorher lag jedem Abschnitt gewissermaßen ein Sachproblem zugrunde. Jetzt geht es eher munter durcheinander: Zinsbetrachtung, Zollbestimmungen, Zehntabgaben und Kirchenpraxis, schließlich Bergwerke.

Einer der von den Historikern umstrittenste Punkt ist jener, der die Frage des Handels betrifft. Die Einleitung dafür wird gern zitiert, um ihre scheinbare Unmöglichkeit zu demonstrieren: ›› Es soll im Land niemand Kaufmannschft betreiben... ‹‹. Dabei wird der zweite Satzteil oft unterschlagen, der lautet: ›› ... auf daß sich mit der Sünd des Wuchers niemand befleck. ‹‹
Gaismair will aber schon ein Handelszentrum, Trient schlägt er dafür vor, und es soll eine Art industrielles Zentrum werden. Vielleicht dachte er dabei an die Wirtschaftskraft einer Stadt wie Venedig. Im Land selbst sollen (staatliche) Läden verteilt sein, die ohne (privaten) Gewinn draufzuschlagen die Waren verkaufen. Betrug ist strafbar und verboten, die staatlichen Händler sind unter Kontrolle zu halten. Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen mit allen Tatsachen des realen Sozialismus ganz sicher ein sehr umstrittener Punkt, aber auch diskussionswürdig. In einer Zeit, in der spätestens seit der letzten Jahrtausendwende durch Geld- und Währungsspekulationen sehr viel mehr Geld verdient wird als mit der Produktion von Waren, darf man schon neu darüber nachdenken. Denn so schreibt Gaismaier: ›› ... man mocht alle Ding im rechten Wert gehaben, und bleibt das Geld im Land und käm dem gemeinen Mann zu gar großen Nutz... ‹‹. Also Geld und Handel will Gaismaier nicht abschaffen, nur Wucher und Betrug, das ist so ziemlich die zeitgemäßeste Forderung die angesichts der  →  Münzverschlechterung in seiner Zeit aufgestellt werden konnte. Aber der Wirtschaftstheoretiker in Gaismaier dachte noch weiter: ›› Man soll ein gute schwere Münz... wiederum aufrichten und die jetzig Münz aus dem Land tuen und vertreiben und ferrer kein auswertig Münz, weder viel noch wenig, nehmen, damit das Geld soll probiert werden und soll valuiert werden und was gegen Landnutz wert ist, also solls genummen werden.‹‹, kurz: weg mit den schlechten Münzen, her mit solidem Geld ohne Spekulationen auf Fremdwährungen.(F3)

Die neue Aufgabe eines Staates
Mit dem Satz : ›› Es sollen auch die Armen nit allein mit Essen und Trinken, sonder mit Kleidung und aller Notdurft versehen werden. ‹‹ eröffnet Gaitmair eine neue Staatsfunktion, an die noch kein Fürst je gedacht hatte. Eine soziale Versorgungsaufgabe des Staates, die im deutschen Kaiserreich etwa 360 Jahre später, erstmalig ab 1883, teilweise wargenommen wird. Gaismair handelt den Punkt in verschieden Komplexen ab, einmal im Zusammenhang mit der besseren Nutzung des eingesammelten Zehnten, von dem ein Anteil so an die Armen geleitet werden soll, das ›› niemand von Haus zu Haus betteln gehn ...‹‹ muß. Dabei unterscheidet der ehemalige Diensthabende schon zwischen Armut und ›› Lotterei, viel unnutz Volk, das wohl arbeiten mag... ‹‹. Die Problematik eines bereits existierenden Prekariats, war schon bekannt. Gaismaier wußte um die langfristigen Auswirkungen stillgelegter Bergwerke, er war eben kein träumender Idealist.
Die Klöster sollen zu Krankenhäusern werden, denn so hatte einst Christentum barmherzig begonnen, sie können auch die Arzeneien produzieren. Alte sind zu betreuen und Kinder zu erziehen. Obdachlose sind zu versorgen. Keine Wunschträume, Arbeit gibt es genug: Sümpfe sind trocken zu legen und Straßen in Ordnung zu bringen. Mehr Obstbäume müssen gepflanzt und mehr Getreide muß angebaut werden, außerdem sind viel mehr Kühe und Schafe aufzuziehen. Für die Bauern ein Arbeitsplan ohne Ende.
Dem schloß sich ein neuer Teil, fachmännisch erleutert für die Bergknappen an.

Gegen Monopole und Kirchenadel
Seit 1487 waren die Fugger als Verleger, Erzhändler und als Gewerke in das Bergwerkswesen von Salzburg, Kärnten und Steiermark eingedrungen. Das von ihnen angeeignete tirolische, salzburgische und östereichische Silber wanderte durch die fuggerschen Faktoren zum großen Teil an die Mittelmeerküste zum Export, das Kupfer ging nach Antwerpen. Gemeinsam mit den ungarischen Kaufleuten Hans und Georg Thurzo organisierten sie die Verschlechterung der Münzen und hamsterten sich auf diese Weise unglaublichen Reichtum an. (10 S. 52) Im Verein mit den bestechlichen Kirchenfürsten waren es diese Handelsgesellschaften, die Armut herbei führten. Dem sollte ein Ende gemacht werden durch zeitgenössische "Verstaatlichung": indem alle ››... ausllendischen ... Gesellschaften, ... Fuckerisch, Höchstetterisch, Paumgarterisch, Pumblisch und dergleichen ... zu gmein Landshanden einziehen...‹‹ sind.

Unter den Historikern ist der Begriff der Frühbürgerlichen Revolution umstritten. Manche Autoren bezweifeln sogar, das es sich bei Michael Gaismaier um einen Revolutionär gehandelt habe. Genau genommen eröffnet aber erst die "Verstaatlichungs"-Forderung [besser wäre hier der Begriff Landesbesitz] das Verständnis für die Frühbürgerlichkeit dieser Bauern-und Knappen-Revolte. Denn hier ging es um bürgerliche Interessen eines neu entstandenen Mittelstandes. Die dominierende Stellung des Klerus in allen gesellschaftlich wichtigen Positionen behinderte faktisch nicht nur den Bauernstand sondern auch die erfolgreiche Tätigkeit der mittelgroßen Gewerke des Bergbaus und die Märkte in den Städten. Es galt, diese ewig anmaßende Behinderung umgehend zu beenden, die aus der unsäglichen Verbindung der monopolistischen Großgewerke im Auslandsbesitz mit dem einheimischen kirchlichen Adel resultierte. Mit dieser immer agressiveren Verbindung drohte der Untergang der (mittelgroßen) Bergwerksbetriebe im eigenen Land. Diese Bergwerke, Ergebnis langer, aufwendiger und von hoher Sachkenntnis geprägten Arbeit hatten zugleich ein örtlich funktionierendes Wirtschaftsgefüge entstehen lassen. (F4) Die Forderungen der Aufständischen manifestierten sich in Der von Brichsen peschwarung am 20. Mai 1525 und genau jene Artikel griff der Bauernanführer und Bergwerksmitbesitzer Gaismaier aus klugen bündnistaktischen Erwägungen ein Jahr später auf! (F5) Die Brixener Bewegung bot im Frühjahr 1526 nun die reale Möglichkeit, von starker Position aus, noch einmal den Kampf zu wagen. Die Bürgerlichen wollten mit ziemlicher Gewalt jene Monopolisten außer Landes schaffen, die für das wirtschaftliche Chaos in den Orten verantwortlich waren. Die einheimischen unfähigen Führungsschichten aus Adel und Kirche befanden sich selbst in einer Krise. Nun reichte es nicht mehr aus, nur Forderungen nach einheitlichen Maßeinheiten zu erheben und ein redliches Münzwesen durchzusetzen. Es war notwendig geworden, die ausländischen "... geselschafften wie sy genannt sein, auch alle frembde munß soll ab sein und im landt gemunst werden...", so schrieben die Brixener Bürger im Mai 1525. Und "...diweil uns der bischoff nit wais zu beschirmen...", verlangen sie vom Kaiser einen eigenen Stadthauptmann, also einen weltlichen Oberherrn an der Spitze. (11 S.110) Die Forderungen der Bergbaubesitzer mit denen der Städter und der Bauern zu verbinden in einem Programm, war keineswegs utopisch und auch nicht lokal borniert. Die Antimonopolbewegung reichte weit über die Alpenregion hinaus, allein in den deutschen Landen beispielsweise bis an die Nord- und Ostseeküste. Die Zusammenfassung dieser Forderungen machte den Verfasser zu einem wahren Vertreter der (früh-)bürgerlichen Aufstandspolitik. Michael Gaismaier offenbarte sich als der signifikanteste Vertreter einer neuen sich aus eigner Kraft emporgebrachten Schicht von Beherrschern der damals modernsten Produktivkräfte. Dieser Mann war der Beweis dafür, das aus dem Volk heraus die charismatischen Führungskräfte emporgewachsen waren, die die Zeichen ihrer Zeit begriffen hatten.

Gaismair schrieb die Zeilen im Frühjahr 1526 nach seiner Flucht aus den Kerkern des Erzherzogs. Die aufsässigen Bauern hatten sich im Winter zerstreut, er selbst saß im alpenländischen Klosters und erhielt Mitte März 1526 neue Nachrichten von unruhigen Landleuten, die die Verzögerung der Beschlüsse des Innsbrucker Landtages (Sommer 1525) beklagten. Besonders im Erzbistum Salzburg gärten die Gemüter. Da wollte er hin, da mußte er eingreifen und aktiv werden. Vermutlich brach er um den 25.3.1526 nach Zürich auf. Alles im Text schnell konzipiert, handschriftliche Kopien an Gleichgesinnte abgesendet, selbst beim Abschreiben noch Veränderungen eingefügt. Eine Kopie fand man beim verhafteten Bruder Hans am 4. April 1526. So haben sich Gaismaiers genialen Zeilen über eine neue demokratische Landesordnung ausgerechnet in der trocknen fürstlichen Bürokratie überliefert. Und so muß man dieses historische Exemplar heute lesen als einen Entwurf für eine bevorstehende Diskussion auf einer geplanten Bauern- und Bergknappen-Tagung.




Fußnoten

(F1) Ein Historiker schrieb mitten im 20. Jahrhundert, das die Gedanken Gaismaiers ihm zum Teil gegenwärtig anmuten. Zugleich bemängelte er ihre Utopie und kennzeichnete einige Forderungen als Rückschritt. Mit Recht bestritt er, das das damalige Tirol, ein für seine Zeit modernes Land des Warenhandels unmöglich in einen bäuerlichen Staat zurück verwandelt werden konnte und streng von seinem Nachbarn abzukapseln wäre. (9 S. 159) Dem kann man entgegenhalten, das Gaismair vielleicht sein Augenmerk hier mehr auf den Abrüstungsschwerpunkt und auf den Wunsch nach gleichen Lebensbedingungen in Stadt und Land legte.
Jüngere historische Untersuchungen sind nicht mehr so stark von einer Anbetung industrieller Großtechnik bestimmt. Und eine gewisse verländlichte Urbanität kommt heute nicht mehr so befremdet daher.

(F2) Zu den Merkwürdigkeiten der Reliqiuensammlungen zählen die biologischen Besonderheiten, das z.B. vom heiligen Hilarius 8 Leiber vorhanden sind, vom heiligen Philippus nur 3 aber dafür 18 Schädel usw.(7 S.43)

(F3) Die generellen Wirkungen schlechten Geldes kann man wie folgt zusammenfassen: Preise verlieren ihre Allokationsfunktion, daraus folgen Fehlinvestitionen oder ganz das Ausbleiben von Investitionen. Zugleich sinkende Effizienz im Wirtschaftsprozeß, Transaktionskosten steigen, Behinderung des Wachstumspotentials eines Wirtschaftsgebiets, schließlich Störung des sozialen Friedens und kulturelle sowie institutionelle Instabilität eines Gesellschaftssystems. (8 S. 664)

(F4) Wenn man die wirtschaftlichen Interessen der Bewohner einer Region als ortsgebundene Interessen bezeichnet, und die Interessen eines (z.B. ausländischen) Unternehmens als ortsspezifische Interessen definiert, ist die Problematik schneller erkennbar. Das ortsgebundene Interesse in einer Region besteht z.B. in der Sicherung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse seiner Bewohner, in sozialer Stabilität und Gesundheit für die Gemeinde u.s.w.. Das nicht an diesen Ort gebundene Unternehmen (z.B. mit Sitz im Ausland) wird sein spezifisches Interesse (bezüglich diesen Ortes) durchsetzen wollen, z.B. möglichst geringe Aufwendungen, niedrige Löhne im Werk an diesem Ort u.s.w.. Es ist Gegenstand der Politik, einen relativen Ausgleich zwischen diesen Interessendifferenzen herzustellen. Nach Aufforderung durch den Fuggerkonzern verletzte Kaiser Karl V. im September 1523 stark die ortsgebundenen Interessen der Bewohner seiner deutschen Lande, als er aus dem spanischen Burgos heraus den Prozeß gegen Fugger und Konsorten abwürgte, die wegen Monopolvergehen und Münzverschlechterung vor Gericht stehen sollten. Erstaunlicherweise steht das Aushebeln staatlicher Gerichtsbarkeit gegenüber international fungierenden Firmen auch heute noch auf der Tagesordnung.

(F5) Als Sterzinger Gewerke mußte Gaismaier die finanziellen Folgen dafür tragen, das Kaiser und Kirchenfürsten die zahlosen Beschwerden auf den Landtagsversammlungen ignorierten. Als auch der neue Landesfürst keine Anstalten machte, die (wenigen!) Zusagen des Landtags von 1523 einzuhalten, mußten sich auch die (an tätiger Arbeit vor Ort gewohnten!) Bergwerksleute für Druckausübung entschieden haben.







 



Jahr Ereignis
1525 In Tirol führte die Unzufriedenheit über die Mißwirtschaft der Innsbrucker Regierung und ihrer gegenreformatorischen Maßnahmen von Brixen ausgehend zum Sturm auf Klöster und Schlösser.

 8. Mai Befreiung des lutherischen Predigers Heiterwang durch Bauern

24. Mai Ausbruch des Bauernkrieges als Reaktion auf die ungerechtfertigte Hinrichtung des Bauernsohns Hans Stöckl

27. Mai Salinenstadt Hallein wird von den Aufständischen besetzt

29. Mai Tumulte in der Hauptstadt Salzburg



In Salzburg wütete Erzbischof Matthäus Lang mit seinen Justizverletzungen solange, bis Bauern und Bergknappen die Hauptstadt besetzten. In der Steiermark siegen die Bauern über den Landeshauptmann beim Kampf um Schladming.

3. Juni Die Aufständischen fordern die Abdankung des Erzbischofs.

6. Juni Die Stadt Salzburg öffnet ihre Tore für die Aufständischen.



3. Juli Sieg der Aufständischen bei Schladming, Gefangennahme des steirischen Landeshauptmanns Siegmund von Dietrichstein und seiner Landsknechte. [Sieg vergleichbar mit der Aktion der Bauern bei Weinsberg in Franken.(2 S.233)]


16. August Heer des Schwäbischen Bundes (unter: Herzog Ludwig von Bayern, Georg von Frunsberg) vor den Mauern der Stadt Salzburg.

31. August Waffenstillstand vermittelt. (2 S. 233)



September Erzbischof Matthäus Lang und Herzog Ludwig ziehen in die Stadt ein.
Der Feldhauptmann Michael Gruber legt die Fahnen der Bauern dem Kardinal zu Füßen und wechselt die Seiten.


Oktober Auf Befehl Ferdinands wird das steirische Ennstal verwüstet, die Stadt Schladming zerstört und niedergebrannt. Aufständische Bauern und Schladminger Knappen fliehen in die Salzburger Gebirgsgaue und bilden dort den harten Kern der Partei, die im Folgejahr den Kampf fortsetzt.

(6./7.10.) Gaismair kann aus der Haft entfliehen.

Gaismair plante (Ende 1525?) vermutlich ein großes antihabsburgisches Bündnis mit den eidgenössischen Städten Zürich, Bern, und St. Gallen. Dazu gehören sollten auch Konstanz und Lindau. Weitreichender wäre das Bündnis mit der Republik Venedig und eine Verbindung mit dem König von Frankreich wurde möglicherweise auch einkalkuliert. (5 S. 86)
Im Jahresverlauf 1525 verhandelte Gaismair mit dem Dogen von Venedig und dem Consiglio dei Dieci für eine Aufnahme im venezianischen Heer. Er wurde im Rang eines Capitano aufgenommen. (11 S.114)
1526 Januar Eröffnung des Landtages und statt der Bauernvorschläge werden neue Steuern für den Landesherrn bewilligt.
Im Februar / März arbeitet Gaismair an Entwürfen für eine staatliche Organisationsform Tirols.
März Der Aufstand im Salzburgischen lebt unter Führung Peter Päßlers erneut auf, aber die Stadt Salzburg schließt sich nicht an und die Bergknappen bleiben abseits. In Kämpfen im Pongau und Pinzgau verteidigen sich die Aufständischen noch erfolgreich.
Mai Einige erfolgreiche Gefechte der Bauern unter Michael Gaismair.
9.Mai Der Entwurf einer neuen "Tiroler Landesordnung" entspricht einem christlich-demokratischen Knappen-und Bauernstaat.
Juni Gaismair trifft mit einem Fähnlein im Salzburgischen ein und übernimmt die Führung. Radstadt und der Madlingpaß werden länger umkämpft. Gaismair versucht noch einen Vorstoß in Tirol.
2. Juli Vernichtende Niederlage in der Schlacht bei Radstadt, die Übermacht des Fürstenheeres zwing Gaismair's Einheiten zum Abzug.
Gaismaier entkommt mit einer größeren Schar über die Hohen Tauern nach Lienz, fällt ins Pustertal ein und geht dann auf das Gebiet von Venedig über.
12. Juli Gaismair läßt das immer erfolglosere Unternehmen abbrechen und tritt mit einer kleinen Anhängerschar über die Grenze zur Republik Venedig, wo sie Asyl erhalten.
1532 Ein von Habsburgern gedungener Mörder tötet Gaismair.


Zeitgenossen
Hans Gaismair Bruder des Michael Gaismair. Trug bei seiner Gefangennahme ein handschriftliches Exemplar der von Michael entworfenen Tiroler Landesordnung bei sich, das erwähnte Kanzler Leonhard Eck am 26. April 1526 in einem Brief nach München. (3 S.67)
Michael Gruber Bauernhauptmann, stammte aus Bramberg im Pinzgau (2 S.230)
Eustachius von Heiterwang Die Verhaftung des lutherischen Predigers durch östereichischen Befehl am 15. Juni 1524 führte bei seiner Überstellung nach Salzburg am 8. Mai 1525 zu seiner Befreiung durch revoltierende Bauern. Ein junger Bauerssohn aus Bramberg(in der Nähe von Mittersill), Namens Stöckl, und ein unbekannter Bauernsohn wurden später als Rädelsführer entgegen richterlichen Gutachten in aller Stille auf einer Wiese im Nonnthale enthauptet. Nach dem Beispiel der Bauern an anderen Orten griff man nun im Salzburgischen zu den Waffen. An der Spitze des Aufstandes standen die Gewerke und Bergknappen. Gastein war der Herd des Aufruhrs, bald waren die Bauern im Pongau und Pinzgau gewonnen und das ganze Erzstift dem Aufruhr verfallen. (4) So erzählt Bessert, Beiträge zur Geschichte Tirols (Jahrbuch für Geschichte des Protestantismus in Oesterreich 1885).
Matthäus Lang Erzbischof von Salzburg.
Sanuto Marino (1466-1536) Historiker, siehe unten. Berichtete über die Ermordung Michael Gaismaiers.
Cristel Mullner Ein Spion Habsburgs, der Michael Gaismaier mit Junker oder Junker Michelanredete.
[Q: 11 S.151 Anmerk. 656, mit zusätzl. HW: Zimmermann Nachdruck von 1891 (Ausg. 1975) S.774]
Ottilie Müntzer Gattin des Thomas Müntzer, sie wurde nach der Gefangennahme ihres Mannes und der Übergabe der Stadt Mühlhausen an die fürstlichen Sieger (Mai 1525) aus der Gegend ausgewiesen. →   Ottilie von Gersen
Marx Neufang organisierte die Besoldung der kämpfenden Knappen, Bauern und Knechte, hielt Verbindung der Aufständischen Orte untereinander und leitete die Kundschafterdienste. (in 2 S. 230-231)
Peter Päßler (auch ⇒ Peter Pässler) Südtiroler Bauernführer und Kampfgefährte Michael Gaismaiers. Gemeinsam belagerten sie ⇒ Radstadt, Pässlers Bauernheer verlor bei Zell am See die Schlacht gegen den Schwäbischen Bund.
Kaspar Praßler Obersster Feldhauptmann der Bauern im Pongau u. Pinzgau, hatte Michael Gruber von Bramberg zum Hauptmann ernannt.
Q: → Allgemeine encyklopädie der wissenschaften und künste, Leipzig 1834
Urbanus Rhegius (9 S. 154)
Sebastian Sprenz Seit 1521 Bischof von Brixen. Entstammte einer bürgerlichen Familie in Dinkelsbühl/Schwaben, war mehr politisch als theologisch ambitioniert, reiste viel als Gesandter des Kaisers und dessen Vertrauten, des späteren Erzbischof von Salzburg (Matthäus Lang).
Hans Stöckel Bauernsohn aus Bramberg im Pinzgau. Wurde als Anführer der spontanen Befreiungsaktion des Predigers Heiterwang heimlich und ungesetzlich hingerichtet. In Reaktion darauf beginnt der Bauernkrieg in diesem Gebiet. (2 S.230)
Jacob Strauss (Zimmermann, Volllmerverl. S.128 / Franz S.154)
Martin Zott organisierte die Besoldung der kämpfenden Knappen, Bauern und Knechte, hielt Verbindung der Aufständischen Orte untereinander und leitete die Kundschafterdienste. (in 2 S. 230-231)



Historiker
Sanuto Marino (1466-1536) (auch: ⇒ Marin Sanudo) Historiker und Tagebuchautor, hielt die Ereignisse in der Republik Venedig von 1496-1533 fest. Berichte über die Ermordung Gaismaiers: Nachts von einem Pferdehändler aus dem Bett geholt, soll Gaismaier Goldkette und Silberdolch getragen haben, Kette als Zeichen von Rittern und Doktoren, Dolch als Zeichen höheren militärischen Dienstgrades.
(11 S.96, 151 Anm. 659)
Albert Edwin Johannes Hollaender (1908 - 1989) österreichisch-britischer Historiker, schrieb 1932 über Gaismair, dass der wohl: "die begabteste, umsichtigste und wohl auch gebildetste unter all den Führergestalten, die eine große religiös-soziale Umwälzung am Schlusse des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts im Gebiete der südöstlichen Alpen hervorgebracht hat". (2 S.35) → Hollaender
Fridolin Dörrer (1923-2010) Hofrat, Landesarchivdirektor und Prof. an der Universität Innsbruck, Institut für Geschichte → Herausgeber von Die Bauernkriege und Michael Gaismair
Max Steinmetz (1912-1990) Historiker. "... was Gaismair groß und berühmt machte, ist sein Anteil am Bauernkrieg, ist die ''Landesordnung'' als das großartigste, am meisten durchdachte Dokument des deutschen Bauernkrieges ..." (2 S.148)
Werner Legère schrieb den Roman: Der gefürchtete Gaismair, (Berlin 1976). Charakterisiert M. Gaismair als Humanisten, "...der gegen die Übelstände der Zeit mit den ihm gelegenen Mitteln gekämpft hat ... ohne die in Gefahr zu bringen, für die er eingetreten war: Bauern ... Michael Gaismair der Bauernführer gewesen war, der die von ihm geführten Menschen nicht in Unglück gestürzt, sondern vor der Vernichtung bewahrt hatte." (2 S.129-130)
Franklin Kopitzsch zitiert 1975 einen Theologen (Bernhard Lohse), als er (erstmals?) die interessante Dualität Müntzer-Gaismair aufwirft: "Die Interpretation des Bauernkrieges im Rahmen der These von der frühbürgerlichen Revolution stößt rasch an die Grenzen der Empirie, zumal die Sonderstellung Thomas Müntzers und Michael Gaismaiers anerkannt wird. Müntzer wird immer ein Beispiel dafür bleiben, wie elementar in der damaligen Zeit das Religiöse die Menschen mitbestimmte. Sein Streben nach einer neuen Ordnung war primär religiös motiviert. ›› Aber Münzer ist doch der erste, der nach den politischen und sozialen Konsequenzen des Evangeliums fragt. ‹‹ Gaismairs Landesordnung bedarf dringend einer sozialgeschichtlichen Analyse, da Macek sie zu sehr modernisiert und Angermeier sie nicht intensiv genug in die politische Tradition und Konstellation Tirols einordnet" (6 S.198)





Quellen, Literatur und angeführte Autoren
(1) DOKUMENTE AUS DEM DEUTSCHEN BAUERNKRIEG - Beschwerden Programme Theoretische Schriften
Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1974
(2) Hrg. F. Dörrer, Die Bauernkriege und Michael Gaismair, Insbruck 1982, Protokoll des internationalen Symposions 15.-19. November 1976 in Innsbruck-Vill
Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs, Band 2 Insbruck 1982
(3) Siegfried Hoyer, Die Tiroler Landesordnung des Michael Gaismair - Überlieferung und zeitgenössische Einflüsse, in [(2) S. 67-78]
(4) Dr. CA. Witz, Dr. Th. Haase, Dr. Eug. v.Trauschenfels, herausgegeben von Dr. Georg Loesohe, Gesellschalt für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich. Wien 1900
Internet 28.04.2014
archive.org
(5) Max Steinmetz, Die dritte Etappe der frühbürgerlichen Revolution     in: nyphenburger texte zur wissenschaft, Hrg. Rainer Wohlfeil, München 1975,    Der Bauernkrieg 1524-26   Bauernkrieg und Reformation
Texte von Steinmetz/Fuchs/Endres/Postel/Wunder/Kopitzsch/Elkar/Sperling
(6) Franklin Kopitsch, Bemerkungen zur Sozialgeschichte der Reformation und des Bauernkrieges
in: nyphenburger texte zur wissenschaft, Hrg. Rainer Wohlfeil, München 1975,    Der Bauernkrieg 1524-26   Bauernkrieg und Reformation
Texte von Steinmetz/Fuchs/Endres/Postel/Wunder/Kopitzsch/Elkar/Sperling
(7) Geheimnisse der Religion - Eine Anthologie, Berlin 1958
(8) Philip Robinson Rössner, Deflation-Devaluation-Rebellion   Geld im Zeitalter der Reformation, Franz Steiner Verlag Stutgart 2012
(9) Günther Franz, Der deutsche Bauernkrieg, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1977
(10) Ernst Hering, Die Fugger, Leipzig 1939
(11) Angelika Bischoff-Urack, Michael Gaismair - Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Bauernkrieges, Innsbruck 1983
(-) Joseph Macek, Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, Berlin 1965 [Tyrolská selská válka a Michal Gaismair, Praha 1960] →   Josef Macek
(-) Heinz Angermeier, Die Vorstellung des gemeinen Mannes von Staat und Reich im deutschen Bauernkrieg, 1966





   weitere Links
→   Grosser Deutscher Bauernkrieg
→   Karten zum Deutschen Bauernkrieg
→   Müntzer und Gaismaier
→   Geschichte Gasteins Bauernaufstand 1525/26
→   Geschichte Tirol Rezeption von Michael Gaismair und dem Entwurf seiner Landesordnung


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Notizen zu den Bauernkriegen / Hans Holger Lorenz / beg.11.November 2008 / Stand: 27.10.2015 / WB-To