Im weiten Rußland des Jahres 1603 war noch keine Legende vom falschen Zaren verbreitet, sie stand unmittelbar bevor aber andere Geschehnisse sollten erst Geschichte machen. In Zentralrußland herrschte seit zwei Jahren eine unglaubliche Hungersnot. Das eine Revolte endlich losbrach, wird von vielen Historikern als Folge der Missernten und Wetterkapriolen angesehen. An diesen Tatsachen sind auch keine Zweifel zu hegen, als alleinige Ursachen für den Aufstand des Chlopko kann man sie nicht gelten lassen.
Chlopko, auch: Chlopka, gebrauchten vermutlich die Leibeigenen unter den Aufständischen als Kose-Namen für ihren Anführer. Chlopka könnte mit Schlag oder kräftiger Handschlag eventuell übersetzt werden. Über seine Person ist sonst nichts bekannt. Chlopkos Haufen bestanden aus Bauern, entflohenen Leibeigenen, Cholopen, Dienstknechten und Deserteuren. Nach ihrer Niederlage konnten viele der Aufständischen an die Südgrenzen fliehen. Wer in Gefangenschaft geriet, wurde hingerichtet und so vermutlich auch Chlopko selbst. Alle weitere Nachricht über ihn ging verloren.
Der Name könnte aber auch eine verkürzte umgangssprachliche Version von Cholope sein, nach der Herkunft des Anführers. Ein Cholope war eine unfreie Person, dem Sklaven ähnelnd. Dieser Stand existierte etwa seit 900 u.Z. Als besitzloser Knecht für alle Dienste zuständig, war der Cholope vorwiegend im Ackerbau tätig. Cholopen beteiligten sich an vielen sozialen Erhebungen. Bolotnikow, der später selbst einen Aufstand anführte, soll ebenfalls ein Cholope gewesen sein.
In den 70er und 80er Jahren des 16. Jahrhunderts herrschte im Zarenreich eine wirtschaftliche Krise, die sich in Verödung ganzer Landstriche und im Rückgang der Bevölkerungszahl offenbarte. Der Feldzug gegen Kasan und der Livländische Krieg hatten dazu beigetragen ebenso wie die feindlichen Einfälle der Krimtataren in südliche und zentrale Gebiete Russlands. Deren schlimmsten Auswirkungen waren aber um die Jahrhundertwende noch nicht beseitigt. Die Herrschenden des Reiches verstrickten sich in eigene Machtkämpfe. Vorerst konnte der Kleinadlige Boris Godunow diese Auseinandersetzungen für sich entscheiden, aber die Moskauer Bojaren bezichtigten ihn weiterhin des Mordes an dem Sohn Iwans des Schrecklichen. Die Landadligen waren anderweitig beschäftigt. Sie handelten mit bäuerlichen Arbeitskräften und verschoben sie wechselseitig an verschiedene Güter. Immer mehr Cholopen reagierten auf die sich verschärfende Feudalabhängigkeit mit Ausbruchversuchen. 1597 erließ Boris Godunow ein Gesetz zur Bauernverfolgung. Nach flüchtigen Bauern, die seit dem Jahr 1593 geflohen waren, hatte eine Fahndung zu erfolgen. Dieses Gesetz machte selbst freie Menschen, die bei ihrem Herrn lebten, nachträglich feudal abhängig. Bereits in den achtziger und neunziger Jahren wurden "Grundbücher" eingeführt, die die "Rechte" des Grundherren über die auf seinem Besitz lebenden Bauernfamilien fixierten und nun als Grundlage für die Verfolgungsaktionen adliger Privatpolizei-Einheiten dienten. Hungersnöte, die 1601 bis 1603 in ganz Rußland grassierten, bildeten die Anlässe für die spontanen Aufruhr-Aktionen, die sich schnell ausbreiteten. Die Besitzungen der Adligen wurden angegriffen und geplündert. Missernten und Getreidespekulationen der Grundherren und der Kaufleute hatten die Lage unerträglich verschärft, die Menschen verhungerten in aller Öffentlichkeit, auch in der Hauptstadt. In Moskau sollen täglich bis zu 300 Tote von den Straßen gesammelt worden sein. Ganze Dörfer wurden von den Bauern verlassen. Zuweilen vertrieben die Gutsherren aus Mangel an Nahrungsmitteln selbst ihre Cholopen. Dabei erhielten die Heimatlosen keine Freilassungspapiere und galten für andere als flüchtig. Völlig mittellos und ohne Perspektive auf eine Arbeit, um sich mit Lebensmittel versorgen zu können, blieb diesen Menschen nichts anderes als Raub. Die sich daher sammelnden Banden überfielen mit Lebensmitteln beladene Handelszüge der reichen Kaufleute. Chlopko muss es verstanden haben, viele dieser ungeordneten Haufen zu sammeln und zum Kampf zu motivieren. Die Bauern rechneten mit ihren Herren ab und setzten deren Schlösser und Häuser in Brand. Schließlich gelang es den Rebellen, sogar einige Strafabteilungen Boris Godunows in die Flucht zu jagen. Zehntausende Revoltierer eroberten Klöster, Adelssitze, Kirchengüter und einige Krondomänen des Zaren. Die Rebellen hielten sich nicht für Banditen, sie fühlten sich eher mit Recht als Opfer menschenunwürdiger Verhältnisse, aus denen sie keinen anderen Ausweg fanden. Ermutigt von ihren Erfolgen zogen ihre Abteilungen in Richtung Hauptstadt. Im Sommer bedrohten die bewaffneten Haufen der Aufständischen Moskau. Ein adliges Verteidigungsheer konnte von den Revoltierenden noch geschlagen werden wobei sie den Kommandeur der fürstlichen Truppen töteten. Aber den nachrückenden überlegenen Zarenregimentern gelang die Unterdrückung des Aufstandes. Viele der revoltierenden Bauern und Cholopen flüchteten darauf hin in die Grenzregionen Rußlands. Wer in Gefangenschaft geriet, wurde hingerichtet. Es ist zu vermuten, dass dabei auch der Anführer Chlopko umkam. Einem Teil der Überlebenden gelang es schließlich, sich in die Nordukraine abzusetzen. Die folgenden Massenhinrichtungen trafen viele unschuldige Landbewohner, aber im April 1605 unterbrach der plötzliche Tod des Usurpators Godunow vorerst die Rache-Exzesse der Herrschenden.
Zuweilen übersehen moderne Historiker gern in historischen Abläufen die ersten Anzeichen einer Entwicklung zur blutigen Revolte. Tragischer für die Zeitgenossen wirkten gleichartig ignorierende Trugschlüsse, die das Handeln der damaligen Oberschicht bestimmten. Bereits in den Jahren 1594 und 1595 kam es auf den Ländereien des Klosters Jossifo-Wolokolamski zu Unruhen. Die Bauern verweigerten den Klosterbrüdern den Gehorsam, die daraufhin Bojaren um Militärhilfe baten. Im Belosersker Gebiet töteten Landleute Angehörige einer Klosterverwaltung. In diesem Streit ging es um freien Zugang zu Wald und Wiesen. Zu weitere Auseinandersetzungen dieser Art kam es auch im Norden des Landes. Und dennoch wurde 1597 das Gesetz zur Verfolgung flüchtiger Bauern erlassen. Die Not der hungernden Massen in den darauf folgenden Jahren musste sich schließlich Bahn brechen in den Revolten. Es gibt soziale Gesetzmäßigkeiten, die objektiv wirken und sich genau dann scheinbar spontan durchsetzen, wenn sie trotz offensichtlicher Anzeichen durch eine unfähige Oberschicht überheblich ignoriert werden.
Noch aber hatte es anscheinend nicht genug Unheil gegeben. Die sich gegenseitig bekämpfenden Fraktionen der Oberschicht fühlten sich nach der Niederlage Chlopkos vielleicht zu sicher. Schon am 7. Januar 1606 verschärfte man die Bestimmungen des Gesetzes von 1597. Die Lage für die Bauern verschlimmert sich noch einmal. Somit brach im Juli des gleichen Jahres der große Aufstand unter Iwan Issajewitsch Bolotnikow in aller Wucht los.
Die Massenerhebungen, die 1603 im westlichen und südlichen Teilen Rußlands ausbrachen,
kann man heute durchaus als historisches Vorspiel zum Bauernkrieg unter →
Bolotnikow
betrachten.
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