Lage der Rebellensiedlung Canudos in Bahia

Der Krieg von Canudos 1896 bis 1897

"Wenn es um die Beurteilung von Ereignissen geht,
übernimmt die Zeit die Rolle des Raumes
bei der Fokussierung von Bildern:
Der Historiker bedarf eines gewissen Abstands
zu den Tableaus, die er betrachtet."
(Euclides da Cunha)


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Der Krieg von Canudos 1896 bis 1897
Bahia hieß eine Provinz der jungen Republik Brasilien. Ihre Flächenausdehnung entsprach der Größe Frankreichs. Dort lebten etwa 1,5 Millionen Menschen. Ungefähr 200 km von der Atlantikküste entfernt breitete sich eine wüste Hochebene aus, das Sertao genannt. Dessen harter dürrer Boden schien wenig geeignet für den Anbau jener Früchte, durch die Brasilien so berühmt geworden war. Hier gediehen kein Zuckerrohr, keine Kaffepflanzen, keine Baumwolle und kein Reis. Eine Chance für Bewässerung bot nur der Fluss Rio Sao Francisco. Im weiten Hinterland, über 1400 km vom Sitz der Zentralregierung entfernt, entstand seit 1893 eine kleine Siedlung. Sie erreichte man nur, wenn man harte Entbehrungen in Kauf nahm. Weshalb sah sich nur drei Jahre später eine Regierung gezwungen, mit ungeheurem Aufwand gegen diese unbedeutende Ortschaft in unzugänglicher Halbwüste militärisch vorzugehen?
Die Weltgeschichte beschreibt, wenn auch selten gerecht, hin und wieder die Ur-Motive jener Menschen, die sich den Gefahren einer Flucht aussetzten um unter unglaublichen Anstrengungen Neuland zu erschließen. Für ihre Freiheit nahmen sie mühseligste Arbeit auf sich. Sie rodeten Wälder oder errichteten Dämme gegen die Wildheit des Meeres. Oft waren es ehemalige Bauern oder Handwerkerfamilien, die drohender Hungersnot auswichen. Nicht selten wollten sie einer mörderischen Ausbeutung entfliehen. Historische Beispiele bieten vergangene Jahrhunderte an der europäischen Nordseeküste mit den freien Bauernrepubliken. Anderen Orts siedelten sich geflohene Leibeigene längs der unbewohnten Ost-Grenzen des weiten Rußlands an. In Südamerika widmeten sich seit dem 16. Jahrhundert flüchtige Plantagensklaven in ihren Quilombos befreiter Arbeit. Dieser zutiefst menschliche Lebenswunsch, der Wunsch nach freier und selbstbestimmter Arbeit (1) bildete auch die Motivation der Siedler von Canudos. Auch hier wollten die Menschen nicht schlechthin frei sein, sie wollten ihr arbeitsames karges Leben selbst gestalten. In der Historie blieben davon hauptsächlich nur Berichte über ihren religiösen Fanatismus.

Mit der Kolonisation Südamerikas fand eine längst überholte Ausbeutungsform erneut Eingang in die Menschheitsgeschichte - die Sklaverei. Mit Gebeten hebelte das Christentum tausendfünfhundert Jahre zuvor die Grundlagen jener Ökonomik des alten Roms aus: Vor Christus sind alle Menschen gleich! Aber diese Religion hatte sich in der frühen Neuzeit gespalten und reformiert. An die Stelle der Gleichheit setzte sich der Begriff Erfolg. Profit schien Gottes Wohlwollen zu beweisen. Wer nicht Erfolg-Reich war, verlor offenbar die Huld des Herrn. Auf moderne Art schien wieder Sklaverei erklärbar. Auffallend wenig Widerstand formierte sich in Europa, als eine bereits moralisch längst abgelehnte soziale Abwegigkeit erneut installiert wurde. Ganz reibungslos ging die Sache innerhalb der Katholischen Kirche nicht durch. Sonderbarerweise zeigten ausgerechnet die Jesuiten aufmüpfige Renitenz und widersetzten sich in der portugiesischen Kolonie. Der wegen Indianer-freundlicher und Sklaverei feindlicher Haltung beliebte Missionar Gabriel Malagrida (1689-1761) wurde 1761 als Ketzer verbrannt.(2) Der Erzfeind der Jesuiten, ein gewisser Marquês de Pombal (1699-1872) in Portugal, von der Historie nur als Fortschrittsverfechter gefeiert, ließ die Sklavenhaltung sanktionieren, der Statthalter Brasiliens war sein Bruder. Ein weiterer Bruder Pombals führte als Vorsitzender der Inquisition die Folter (3) wieder ein. Vielleicht wäre ohne die handstreichartige Beseitigung der Jesuiten (1759) die Sklaverei in Brasilien wesentlich früher beendet. Kirchlichen Strukturen konnten sich im portugiesischen Teil der neuen Welt so nur langsam entwickeln, da es an Priestern mangelte. Die Franziskaner widmeten sich mehr den weißen Siedlern. Laien-Bruderschaften nahmen sich der Kranken, der Waisen und Witwen an. Das erklärt den starken Zuspruch der Armen bei den Predigten selbst ernannter Heiler. Wenn die, von entsetzlicher Armut betroffene Bevölkerung des Sertao eine Form von Bildung aufwies, dann als Rudimente christlicher Mythologien und Riten des Aberglaubens. Verständlicherweise formulierten sie auch ihr Gedankengut in irgendeiner Abart von religiösem Denken. Die sich in verschiedensten Gemeinschaften zusammengefundenen Sekten waren nicht die Verursacher der späteren Unruhen sondern die Folge der Armut und Resultat sich ausbreitender Gesetzlosigkeit. Und sie waren zugleich das Ergebnis der Tatsache, das sich die offizielle katholische Kirche der Realität entzog. Wie die Verdurstenden vor den Dürren des Sertao flohen, so flüchteten die Pfaffen vor den Armen. Deshalb entstanden die krausesten Ideen in den Köpfen der Verhungernden. In der Historie finden sich nur die Berichte über deren religiöse Wahnvorstellungen. Die Aufständischen vermochten ihre Geschichte nicht aufzuschreiben. Und wenn die Jaguncos, so nannte man sie, ihre Sicht der Dinge in Schrift hätten bringen können, wären es vermutlich Heiligen-Geschichten geworden.
Die für die Missionierung der Indianer entstandenen Aldeias-Enklaven der Jesuiten wurden zu Vorbildern für jene, die später mit ihrer eigenen Arbeit Anspruch auf freie unabhängige Siedlungen erhoben und ihn auch mit sektiererischen Ausartungen begründeten. 1874 erschien in einer deutschen Illustrierten der Artikel über die militärische Revolte einer Sekte in Brasilien. Jakobine Maurer (1841-1874), Tochter von emigrierten deutschen Wiedertäufern, hatte sich zur Prophetin erklärt und mehrere Familien um sich scharen können.(4) Bei der brutalen physischen Vernichtung durch das Militär leisteten die Sektenmitglieder ungeheuer heftigen Widerstand. Die Berichterstattung bezog sich ausschließlich auf religiöse Motivationen. Merkwürdige kriminelle Erscheinungen im Hintergrund blieben unerwähnt. Im Kampf um Bodenanteile nutzten reiche Landbesitzer ihre engen Beziehungen zu Polizei und Regierung. Privatarmeen, sogenannte bandeirantes, die oft aus kriminellen Elementen bestanden und die Bevölkerung nicht selten in deren Auftrag drangsalierten, verjagten zuweilen ärmere Siedler. Die einzelne Nachricht, die es über den Ozean nach Europa schaffte, widerspiegelte nur einen Funken der sozialen Brandherde, die entstanden.

Neue stark religiös motivierte Aufrührer stießen in das moralisch unbesetzte Gebiet vor, aus dem sich die Kirche zurückzog. Sie hatte schließlich über zweihundert Jahre lang die entsetzlichen Ausartungen der Sklaverei de facto ignoriert. Erstmalig 1887 sprach sich die offizielle igreja für die Beseitigung der Sklaverei aus. Unter den zahlreichen unbekannten sektiererischen Aufrührern trat ein gewisser Antonio Conselheiro (1830-1897) hervor. Er erreichte mit seinen Predigten und fleißiger Helferarbeit das Gehör vieler Bauern und Landlosen. Seine Sprache verstanden die entflohenen Sklaven und die schlecht bezahlten Handwerker. Wanderprediger gab es in Brasiliens Geschichte schon viele. Aber für wen waren diese Bewegungen gefährlich, aus denen bestenfalls nur magere Dörfer erstanden? Wen sollten diese Menschen unterschiedlichster Rassen bedrohen, die in abgeschiedensten Siedlungen wenn nicht konfliktfrei so doch friedlich miteinander arbeiteten? Wer sah eine Gefahr darin, das sich solche Dörfer in weiter Einöde frei entwickelten? Und das in einem Land fast unendlicher Weite, auf nahezu unbegrenzt vorhandenem Boden, der mit harter Arbeit durchaus fruchtbar gemacht werden konnte? Brasilien zählte zu diesem Zeitpunkt über 14 Millionen Einwohner, die Siedlung Canudos beherbergte vielleicht zwanzigtausend Menschen.

Die junge Republik
Einst hatten Händler, hervorgegangen aus portugiesischen Emigranten, die als Neuchristen von der Inquisition des Mutterlandes verfolgt wurden, in der neuen Kolonie mit Zucker ihre ersten Gewinne gemacht. Reich geworden durch schnelle und umfangreiche Landbesetzung in Verbindung mit hemmungslosem Sklavenbesitz stellten sie schließlich eine Mehrheit in den folgenden Großgrundbesitzer-Generationen.
Und tatsächlich schufteten noch bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts die meisten Sklaven auf ihren Zuckerrohr-Plantagen. Nach dem Ende des Zuckerbooms setzte sich die Sklaverei auf den Bauwollfeldern und Kaffeeplantagen weiter fort. Der Verlauf der Weltgeschichte zeigte, das immer wieder Trader auftauchten, die eine Sklaverei erneut in die moderne Gesellschaft einführen wollten. Die Haltung jedes modernen Staates wird entscheidend sein, ob seine Bürger die absurde Methode des Besitzes an Menschen tolerieren müssen. Als sich herausstellte, eine Befreiung der Sklaven sei wieder an der Zeit, fand diese Bewegung scheinheilige Unterstützung auch im Bürgertum. Einige Großgrundbesitzer hatten durch Versuche festgestellt, das der kostenpflichtige Verleih von Sklaven lukrativer als deren Eigenhaltung sei. Noch gewichtiger zählten gestiegene Investitionsaufwendungen beim Kauf neuer produktionsfähiger Sklaven. In jenen Jahren zeigten sich aufgestiegene Kaffeeplantageneigner flexibler und stellten rechtzeitig auf Lohnarbeitsverhältnisse um. Beginnende Massenfluchten von Sklaven führten der Oberschicht die Grenzen ihrer Herrschaftsverhältnisse vor Augen. In der offiziellen Kirche mehrten sich die Stimmen für ein Verbot der Sklaverei und schließlich unterzeichnete 1888 die Regentin Isabella von Brasilien (1846 1921) das Goldene Gesetz Lei Aurea, mit dem alle Sklaven ohne Entschädigung (!) von ihren Ex-Besitzern befreit wurden. Jetzt stießen die verschiedenen Interessenlagen innerhalb der Elite hart aufeinander. Der Monarch verlor die Unterstützung einer Oligarchie, die Lohnarbeit nicht akzeptieren konnte und der die Sklaven abhanden gingen. Der zwangsläufige schnelle Putsch gegen das Kaiserreich in Brasilien verlief unblutig, man rief eine Republik aus - es konstituierte sich ein Staat der Großgrundbesitzer und Neureichen, der bald die Anerkennung ausländischer Diplomaten fand.
Das beachtenswerte Tempo internationaler Anerkennung schien bestimmt zu sein von den sich anbietenden neuen Möglichkeiten der Erschließung lukrativer Naturschätze. Neben großen Viehherden und weiten Zuckerplantagen breiteten sich neue Kaffeefelder aus. Gold und Kautschuk waren begehrter denn je. Eine schwache Republik, in viele Parteien zersplittert, bot ausgezeichnete Bedingungen für ausländische Unternehmen, die neu und immer massiver in Südamerika in Erscheinung traten.

Auswärtige Interessen
In Europa nahm in jener Zeit die Aufrüstungsspirale an Fahrt auf. Gleichzeitig stritten Industrieriesen um Großaufträge im Eisenbahnbau. Die amerikanische Stahlindustrie dagegen machte sich mehr und mehr selbständig und begann die Weltmärkte neu aufzuteilen. Das bisherige Eisenbahngeschäft ging an die einheimische Industrie der USA über. Die europäischen Hersteller Whitworth und Armstrong in England, Schneider in Frankreich und Krupp in Deutschland waren die Verlierer und retteten sich in die Massenproduktion von Rüstungsgütern.
Portugal, das Mutterland Brasiliens, unterhielt Jahrhunderte lang enge Verbindungen mit dem britischen Imperium. Es kam daher auch in den 1890er nicht aus seiner wirtschaftlichen Rückständigkeit heraus. Die Abhängigkeit von englischen Gläubigern nahm spektakuläre Züge an. Ein ausgeglichener Staatshaushalt stand nicht einmal langfristig in Aussicht. 1891 meldete die Bank von Portugal ihre Goldreserven für aufgebraucht. Papiergeld wurde zeitweilig nicht mehr in Edelmetall umgetauscht. Zehn Jahre nach einem britischen Ultimatum kam es zu einem Abkommen, das die Bezahlung von Auslandsschulden durch Zolleinnahmen Portugals sicherte.

Die neuen aufstrebenden Schichten Brasiliens zeigten sich keineswegs damit einverstanden, laufend die Kosten für das wirtschaftliche Versagen des Mutterlandes tragen zu müssen. Auch ein Gegensatz zwischen reichen Vieherdenbesitzern mit ihren Kumpanen auf den Zuckerplantagen einerseits und den neureichen Kaffeplantagenbesitzern andererseits spitzte sich politisch zu. Die einen richteten ihren Blick rückwärts auf die Wiederherstellung der Monarchie und Wiedereinrichtung der Sklaverei. Dabei setzten sie auf englische Unterstützung. Obwohl britische Außenpolitik vollmundig Sklaverei ablehnte bevorzugte sie die Erhaltung von Monarchien in Amerika. Andere Brasilianer folgten den Erkenntnissen aus der freien Lohnarbeit in den USA und hofften auf Unterstützung der Vereinigten Staaten. Die neu aufragenden Industriekonzerne, die sich im Norden Amerikas bereits durchgesetzt hatten, versuchten in Südamerika weitere Märkte zu übernehmen. Mit amerikanischem Geld kamen moderne Maschinen und Fahrzeuge als deutlich sichtbarer Fortschritt für die brasilianischen Republikaner. Der Konkurrenzkampf zwischen der alten Industriemacht England und der neuen Industrie aus den USA begann sich auch in Portugals ehemaliger Kolonie auszutoben. Er bekam zusätzlichen Drive durch die Eigeninteressen französischer und anderer ausländischer Kapitalgeber. Für die Bewohner des Sertao war das alles überhaupt nicht zu durchschauen, für sie blieb nur bitterste Armut.

Die Provinzler-Gruppierung der Plantagenbesitzer Bahias ließ sich bestenfalls mit einer auf Eigenständigkeit orientierten Richtung verbinden. Im Hintergrund stand selbstverständlich der Wunsch zur Rückkehr der Monarchie, wirtschaftlich hieß ihr Hauptziel: Beibehaltung der Sklaverei. Man ging nicht mit allen Besitzern der großen Viehherden darin konform. Die moderneren Kaffeplantagenbesitzer lebten bereits in den größeren Städten und gruppierten sich mit den Kaufleuten und dem Kleinbürgertum enger um die Republik, die sich auf die Armee stützte. In der fanden Bürgersöhne eher eine Existenz. Über moderne Fleischverarbeitung verbanden sich manche Interessen mit den Viehhaltern. Die Politik trug daher bald den Namen: cafe com leite (Kaffe und Milch). Gegensätze machten sich in städtischen Revolten sichtbar, wenn Bürgerdemonstrationen zur Verteidigung der Republik auf ehemalige Monarchisten losgingen. In der Zeit des War of Canudos nahmen diese Gewalttätigkeiten zu. Die Republikaner unterstellten den Kaisertreuen ein Zusammengehen mit den Jaguncos und ein illegales Bündnis mit Großbritannien. Staatliche Behörden gaben sich revolutionär und propagierten den jungen Offizieren das Vorbild der französischen republikanischen Armee. Die gegen königstreue Bauern 1794 kämpfenden colonnen infernales in der Vendée galten als nachahmenswert. Zwar hatten die Monarchisten Brasiliens keineswegs ein gemeinsames Interesse mit den Jaguncos, aber deren katholischer Fanatismus war jedermann offensichtlich. Natürlich mochte ein schadenfrohes Lächeln über das Gesicht jedes Monarchisten gehen, wenn die Nachrichten über die Niederlagen der republikanischen Streitkräfte eingingen - aber es gab keine Sympathie mit Canudos: die allzu deutliche Ablehnung der Sklaverei ließ jeden Verbindungsgedanken absurd erscheinen.

Der Conselheiro - ein Ratgeber
Wer war der Kerl, um den sich nach Ansicht der Oberschichten der Abschaum der Gesellschaft scharrte? 1893 vor der Polizei geflohen und in einem Nest am Ende der Welt untergetaucht soll er sein. Schuf der Asket dort eine Sozialstation? Ein gewisses Charisma musste er ausgestrahlt haben, auch in Sanftmut gebettete Lebensklugheit. Das seine Aussagen so erfolgreich an die Bibelgeschichten anknüpften, verdankte er dem Wissensstand der Unterschichten. Im Grunde genommen predigte er eine Rückkehr zu einer Wirtschaftsform, die einst im 12. Jahrhundert in Europa existierte. Seine Anhänger versuchten es mit einer Art Markgenossenschaft ohne Kenntnis darüber zu haben. Vielleicht hatte sich ihnen etwas von den 1767 zerstörten Reduktionen der Jesuiten überliefert. Das waren Indianerdörfer, von engagierten Ordensbrüdern eingerichtet, in der ein Agrarkollektivismus herrschte bei gleichzeitiger Duldung von einfachem Privateigentum. Zwei Jahrhunderte vor Canudos hatten über 100 000 Indianer in solchen Reduktionen friedlich gelebt, gearbeitet und ihre Waren getauscht ohne Geld. Der größte Teil des Bodens war Gemeindeland und wurde an zwei bis drei Tagen der Woche gemeinsam bewirtschaftet. Es galt ein 6-Stundentag, die freie Zeit diente der Ausbildung und dem Beten. Die erwirtschafteten Überschüsse gingen als Tributzahlungen an die Krone Portugals und sicherten die Versorgung der Waisen, Witwen und Arbeitsunfähigen. So zu relativem Wohlstand gekommene Siedlungen stachelten den Neid und die Plünderwut weltlicher Kolonisten an. Bandeiranten, besonders berüchtigt wurden die Paulistaner, überfielen gern diese Dörfer. Erbeutete gut ausgebildete Indianer brachten auf dem Sklavenmarkt hohe Profite. Die Interessen der Sklavenhalter stießen zwangsläufig auf den Widerstand der Jesuiten. Wurden die beherzten Mönche deswegen im 18. Jahrhundert Opfer staatlicher Verfolgungen? In der katholischen Geschichte der Neuzeit ein einzigartiger Vorgang, der kaum Interesse sich fortschrittlich gebender Historiker fand. Mit dem Namen Jesus verband der Antônio Conselheiro (1830-1897), die Leute nannten ihn den Ratgeber, ein friedliches Leben in freier Arbeit ohne Gewinnstreben, gesichert und organisiert in einer örtlich begrenzten Landwirtschaft. In Canudos versuchten die Einwohner ohne Geld zu wirtschaften. Große Mühen verwendeten sie darauf, die unfruchtbare Gesteinswüste zu erschließen. Da wurden Kanäle gezogen, als sie versuchten, den Boden zu bewässern und zu düngen. Bohnen und Mais sollten wachsen, Zuckerrohr und Melonen gedeihen. Pferde, Schafe und Ziegen begann man aufzuziehen. Kollektives Schuften beim Aufbau einer Kirche. Auf dem zugestandenen Feldstück galt individuelles Schindern. Das pauschale Jedem gehört alles ist die typische Unterstellung späterer Schreiber. Wirklich verboten war die Bereicherung an den Gütern des Nachbarn, das Glücksspiel und der Alkohol. Die christlichen Gebote galten absolut. Auch die ausschließliche Anerkennung der Ehe, verbindlich geschlossen nur durch die Kirche. So lauteten die (ungeschrieben gebliebenen) Gesetze. Die staatliche Eheschließung der neuen Republik wurde abgestritten. Sie galt als Teufelswerk wie die Steuern auch. Abgaben, von denen man nicht wußte, wer sie wofür verwenden würde, konnte nur Luzifer erdacht haben. Genauso harsch galt die merkwürdige Ablehnung dem Dezimalsystem. Die Vermutung der Jaguncos, das es der Steuererfassung dienen würde, lag nicht falsch. Sie befürchteten damit auch eine erneute Einführung der Sklaverei. Nach ihrer Ansicht war es die gestürzte Monarchie, die die Sklaverei abschaffte, die Regentin Isabel unterschrieb das Goldene Gesetz! Allen 700 000 Sklaven schenkte sie damit die Freiheit ohne auch nur einen Cent Entschädigung für die Plantagenbesitzer. Erst die Republik führte eine Religionskontrolle ein und danach den berüchtigten Hexenparagrafen. Erst die Republik forderte Personalangaben über Hautfarbe und Rassenzugehörigkeit. Jeder Farbige musste also damit rechnen, als ehemaliger Sklave erkannt zu werden. Vielleicht drohte seine Rückgabe? Der Ratgeber predigte glaubwürdig und gab seinen Hörern Zukunftsgewissheit. Sicher fanden nicht nur Gutmenschen nach Canudos. Die Bewohner der Siedlung verlangten daher von jedem Neuankömmling ein Bekenntnis zu ihrem harten Katholizismus. Andersgläubige zwang man zu gehen. Die Frage nach religiöser Toleranz beantworteten die Menschen nur unter gesicherten sozialen Bedingungen gutmütig. Unter Verhältnissen immer unerträglicher werdender Armut breitete sich viel zu oft religiöse Raserei aus. Die Viehzüchter unter den Aufständischen wussten es aus Erfahrung. Sie sagten dazu: Wenn die Krippen leer sind, beißen sich die Pferde!

Die Strafexpeditionen der republikanischen Armee
In den Städten kursierten Gerüchte, das Monarchisten die aufmüpfigen Jaguncos mit Lebensmitteln und Waffen versorgten. Aber selbst kaisertreuen Gutshöfe in der Umgebung von Canudos fackelten ab. Wie in anderen Bauernkriegen auch, gerieten immer die Güter der schlimmsten Ausbeuter zuerst in Flammen. Die Presse bezeichnete es als Raubmord der Messianisten. Doch genau jene Brände führten den ewig Hungernden vor Augen, das die Macht ihrer Beherrscher nicht unantastbar blieb. Religiös bedeutete es, das mit diesen Feuern nicht nur der Teufel sondern auch die Habgier der Reichen ausgetilgt werden konnte. Kam deswegen der erste Überfall auf das freie Canudos zustande?

Die Flucht der ersten Strafexpedition
Die Siedlung war noch fast unbekannt und völlig bedeutungslos. In ganz Brasilien herrschte Unordnung, eigentlich regierte nur das Gesetz bewaffneter Banditen. In fast jeder Provinz bestimmten statt der Zentralregierung lokale Clanführer. Zuweilen waren das lumpige Räuberhaufen, die ihre Gesetze selbst durchsetzten, nicht selten mit Mord. Aufstände und Unruhen allenthalben, die Beseitigung der Kaisermacht und die folgenden Diktaturregime der Präsidenten führten nicht zu einer politischen Stabilität. In Bahia waren die straflosen Übergriffe der Ortstyrannen besonders zahllos und heftig. Die absichtliche Lässigkeit der Justiz verschlimmerte die Zustände. Jeder einfachen Siedlung blieb nichts anderes übrig, als sich darauf einzustellen. Auch die Bewohner von Canudos taten das. Auch sie benutzten zuweilen Waffen, um der lästigen Kriminellen Herr zu werden. Das war keine Besonderheit in der neuen Republik. Neu waren die geltenden Gesetze in Canudos. Verbrechen duldeten die Jaguncos nicht. Diebstahl wurde geahndet, Alkohol verboten und Prostitution verhindert. Das Geld der Republik erkannten sie nicht an und eigenes Geld druckten sie nicht. Ihre Erfolge sprachen sich herum. Das erzeugte bei den einen Anerkennung und bei anderen Missgunst. In ganz Brasilien fanden sich Sachspender für Canudos. In ihrem erstarkten Selbstbewusstsein forderten eines Tages die Jaguncos eine vertraglich zugesagte Holzlieferung ein. Vielleicht etwas zu grob, aber sofort schrie die Lokalregierung um Hilfe. Allein aus Angst, als republikfeindliche Separatisten zu gelten, stellte die Behörden eine bewaffnete Truppe zusammen. Die lokalen Honoratioren fürchteten, das die Zentralregierung eigene Militäreinheiten entsenden könnte. Das wäre das Ende ihrer Krähwinkel-Autokratie. Tatsächlich hegten einige Politikaster unrealistische Hoffnungen auf einen Separatstaat Bahia. Und so stolperte die eingekaufte Soldateska ziemlich hemdsärmelig in ihr Verhängnis. Aber sie kam gar nicht bis Canudos.

Nach einem unzureichend vorbereiteten Marsch durch den von der Dürre am schlimmsten verwüsteten Teil des Sertao nahm man am 19. November 1896 Quartier im Dorf Uaua, das von den Canudos zuvor aufgegeben wurde. Noch in Unterhosen lümmelnd sahen die Soldaten, wie am Morgen des 21. November eine lange Menschenschlange auf sie zu demonstrierte, betend unter heiligen Gesängen und Marienbilder tragend. Die Presse wird es später als Überfall bezeichnen, denn die Jaguncos waren mit alten Flinten, Hirtenspießen und Sicheln bewaffnet. Vielleicht hofften die Gläubigen so auf einen Abzug der Soldaten. Diese schossen schließlich belustigt in die Menge. Das gab den Anstoß zum Überrennen der Schützen, zum Kampf Mann gegen Mann. Auf einen getöteten Soldaten kamen wohl 16 tote Jaguncos. Der Kampf war ungleich, die Opfer der Jaguncos sehr hoch. Ihre Überlebenden flüchteten in die Weiten des Sertao. Aber die Hitze der Wüste vollzog die Rache der Canudos. Nach vier Tagen, von rauer Natur zerlumpt und zerrissen traf der Rest der Truppe im Städtchen Juazzeiro ein, von wo man mit lockeren Sprüchen gestartet war. Das jammervolle Bild flößte den Bürgern derart Ängste ein, das sie umgehend flüchteten und in überfüllten Zügen bis an die Küste fuhren um von furchtbaren Greueltaten der Hinterwäldler berichten zu können.

Die zweite Strafexpedition
Um diese Schlappe nicht allzu publik werden zu lassen, bekam der zweite Überfall auf Canudos die Bezeichnung der ersten regulären Expedition. Das Korps bildeten etwa 550 Mann, davon 200 Polizisten, eine Artillerieeinheit mit zwei Kanonen und zwei Mitrailleusen. Ab 25. November 1896 begannen die Truppen zu marschieren. Inzwischen glühten die Telegrafendrähte. Allerorten entstanden und widersprachen sich Nachrichten über die Ungeheuer von Canudos und über die Stärke der Expeditionstruppen. Erfahrungen der vorausgegangenen Aktion blieben ungehört. Man hatte keinen Plan und dafür undeutliche Zuständigkeiten. Es schien nicht nötig, da man nur gegen Halbwilde vorging. Die Jaguncos machten sich inzwischen eine Partisanentaktik zu eigen. In kleinen Trupps gruppiert, nutzten sie alle Gegebenheiten des Geländes, griffen die Kolonen aus dem Hinterhalt an, zogen sich scheinbar zurück um an anderer Stelle neue Schießereien zu entfachen. Nach und nach wurden die Soldaten demoralisiert. Die Staatsmacht war sich nicht rechtzeitig bewusst, das der Widerstand gegen die Duldung um sich greifender Gesetzlosigkeit nun eine andere Gestalt annahm. Jetzt verteidigte die Armee korrumpierte und kriminelle Behörden, während die Einwohner Canudos die Gesetze friedlichen Zusammenlebens zu schützen versuchten. Der Krieg bekam scheinbar etwas Unlogisches. Erst am 17. Januar 1897 erreichte das Expeditionskorps sein eigentliches Zielgebiet. Moralischer Verschleiß, zerstörte Transportmittel und fehlender Proviant brachte die Truppe zum Halt noch vor Canudos. Ende Januar und Anfang März kam es zu mehreren Treffen zwischen regierungstreuen Angreifern und revoltierenden Verteidigern. Infolge der schlechten Bewaffnung der Aufständischen nahmen die Jaguncos hohe Verluste hin. Auf einen getöteten Soldaten kamen etwa 100 tote Verteidiger der Siedlung. Aber das Militär verzeichnete selbst viele Verwundete. Wegen schlechter Versorgung hungerten die einfachen Soldaten während der Kämpfe. Im Lager der Canudos schien man Auflösungserscheinungen beobachten zu können und entschied sich daher zum Rückzug. Man vermeinte gesiegt zu haben. Den Jaguncos erschien der Abmarsch des Militärs wie ein Wunder. Der Bevölkerung von Monte Santo kam der Einmarschzug der scheinbaren Sieger eher wie ein verlorener Haufen vor. Zerlumpt, waffenlos und vor Hunger schwankend, eine Unzahl von Verletzten mitschleppend, trotteten die Soldaten in die sichere Kleinstadt ein, aus der sie Wochen zuvor mit Marschmusik gegen Halbwilde gezogen waren.

Die dritte Strafexpedition
Sie begann mit dem Seetransport von kampferprobten Truppen aus dem Süden Brasiliens an die Küste Bahias. Am 8. Februar 1897 waren 1300 Militärs in Queimadas stationiert, am 20. Februar stand das Kommando in Monte Santos bereit zum entscheidenden Schlag. Der Anführer war ein Offizier, der bei der Niederschlagung von monarchistischen Militärunruhen berüchtigt wurde, nicht durch Heldentum sondern durch die entsetzliche Grausamkeit beim Befehl zum Töten von Gefangenen. Erst während der Kämpfe wurde sichtbar, das dieser Oberst im Unterschied zu seinem religiösen Gegenspieler wirklich verrückt war. Während die geifernde Presse dem aufständischen Conselheiro eine Wahnkrankheit unterstellte, litt dieser Mann tatsächlich an einem Nervenfieber. In keinem seiner Befehle berücksichtigte er die bisher gemachten Erfahrungen des spezifischen Kampfes im Sertao. Das sollten viele seiner Soldaten mit dem Leben bezahlen. Der Ruf, der diesem Oberst vorausging, führte zu einem eigenartigen Vorgang in der Siedlung der Aufständischen. Fast schien die Widerstandskraft zu erlahmen, und jene grobschlächtigen Zombies, die sich aus Abenteuerlust dort mal einfanden, verkrümelten sich jetzt stillschweigend, solange Canudos nicht eingeschlossen wurde. Für die entschlossenen Kämpfer ein Vorteil. Biedere Rinderhirten, einfältige arme Bauern, hungernde Landstreicher, abgerackerte Familienmütter und ehemalige Prostituierte bildeten nun die Bewohnerschaft. Sie hatten etwas zu verteidigen. Ihre Zahl wuchs infolge der Zuwanderung von Pilgern ständig. Auch Kranke, Alte, Lahme, Blinde, Aussätzige und alle jene, die Wunder erhofften, zog es zu einem für sie legendären Ort der Sicherheit .
Die Soldaten vermuteten, mit solchen Leuten leicht fertig zu werden. Und tatsächlich rissen die einschlagenden Granaten der Kanonen riesige Löcher in der Siedlung der 5000 Hütten. Da waren keine Festungswälle sondern nur Buden, mit Reisig, Stroh und Erde bedeckt, der Natur des Sertao entsprechend errichtet. Nach den Artilleriesalven marschierten die Bataillone in breiten Fronten in die Siedlung. Zwischen den vielen kleinen Gässchen immer vereinzelter randalierend, schossen die Soldaten alles nieder, was sich ihnen entgegen stellte. Bald waren ihre Patronen aufgebraucht, ein Rückweg nicht erkennbar. Die Canudos ließen die Wütenden nahezu widerstandslos in ihre Katen und dort traf sie dann die erschreckendste Rache. Die Verteidiger hatten sich in den Hütten vergraben, sie mit unterirdischen Gängen verbunden. Und nun half keine Artillerie mehr und kein Salvenfeuer, jetzt kämpfte wieder Mann gegen Mann. Der verrückte Oberst, erfüllt von bösen Ahnungen, führte noch eine Kavallerietruppe in das Gefecht und kam dabei um. Das rettete vielleicht seine Ehre aber nicht das Leben seiner Leute. Was danach kam, war kein Rückzug, sondern eine ungeordnete Flucht. Die Jaguncos verfolgten die Zersprengten und fanden massenhaft Waffen. Nach einem dermaßen sichtbaren Sieg glaubten sie, zukünftig in Ruhe gelassen zu werden. Sie sollten sich täuschen.

Die Vierte Strafexpedition
In Brasilien tobten die Medien, die Presse witterte ausländische Spione und fand falsche oder richtige britische Agenten unter den aufständischen Wilden. Man vermutete, die Jaguncos wären niemals allein zu solchen Siegen fähig. Man präsentierte Canudos den Republikanern jetzt als Hort der reaktionärsten Gegenrevolution. Konterrevolutionäre Kräfte des portugiesischen Kaiserreiches wären die eigentlichen Drahtzieher und Versorger der furchtbaren Banditen des Sertao. Noch mehr Truppen wurden unter Beibehaltung alter Fehler in den Kampf geschickt. Folgerichtig fuhr sich auch dieser Angriff fest und gleich zwei Marschsäulen blieben vor Canudos liegen. Die Soldaten standen völlig abgeschnitten und eine weitere Katastrophe deutete sich an. Im Gegensatz dazu weiteten die Rebellen ihre Überfälle aus und eroberten sogar das Städtchen Vila de Santana do Brejo. Jetzt entliefen der Armee Deserteure, die selbst ohne Nahrung eigene Leute überfielen. Am 10. August 1897 setzten sich weitere 1000 Soldaten nach Canudos in Bewegung. Manchen Transport eroberten die Jaguncos und sicherten damit den Eingeschlossenen nicht nur die Munition. Ein Soldatentrupp führte über einhundert Rinder mit sich für die Versorgung der Belagerer, nur zwölf lahme Tiere erreichten ihr Ziel. Die Jaguncos verfügten über ein ausgezeichnetes Nachrichtensystem, das ihnen jede Kolonne, jeden Marschweg, jede Kampfstärke übermittelte. Viele Bewohner des Sertao hegten unausgesprochene Sympathie für die Aufständischen.

Aber die Einteilung in Reiche und Arme zeigte sich in Brasilien nicht so eindeutig wie in Europa. Zu den Ärmsten gehörten viele Landbewohner. Doch auch in den Städten gab es Arme und von denen wuchsen der Armee die Kräfte zu. Hier lebten vorrangig die Nachkommen der frei gewordenen Sklaven, verständlicherweise Anhänger der Republik. Die Armee hatte schon im Krieg gegen Uruguay Sklaven frei gekauft, um sie als Soldaten einstellen zu können. Zur Vielfältigkeit trugen die neu ankommenden Aussiedler aus Europa in überraschender Weise bei. Die Grundbesitzer, die schnell für ein Gesetz sorgten, das diese Massen nicht mehr in Bodenbesitz kamen, hofften, die colonos als Lohnarbeiter an die Stelle der Sklaven setzen zu können. Die bevölkerten jedoch lieber die Städte an der Küste als sich den unwürdigen Bedingungen auf den Plantagen auszuliefern. Den neuen Arbeitern war der Jagunco des Sertao in seinem Wesen völlig fremd.

Die Lage für die Armee änderte sich erst im Spätsommer 1897, als die Regierung die Sache selbst in die Hand nahm. In Monte Santo errichtete sie ein ungeheurer großes Versorgungslager. Fast täglich trafen Eisenbahnzüge mit neuen Bataillonen ein. Jeden Tag gingen Transporte in Richtung Canudos ab, und gleichermaßen wurde Rücktransporte der Verwundeten eingerichtet. Jetzt war das Zehnfache an Kanonen im Einsatz und etwa 8 000 Mann um Canudos stationiert. Auf den verschiedensten Waffentypen konnte man Namen lesen von Nordenfelt, Mannlicher, Whitworth, Armstrong, Comblain und Krupp. Der September brachte den Militärs endlich die Entscheidung.

Das Abschlachten
Canudos hat sich nie ergeben. Selbst als am 1. Oktober 1897 ein fast einstündiges Artilleriefeuer aus zwanzig Kanonen, eine gleichzeitige Zündung von 90 gelegten Dynamitbomben und der massenhafte Feuereinsatz mit Benzin das bereits verheerte Canudos zur Unterwerfung zwingen sollte, kam der anschließende Sturmangriff erneut zum erliegen. Die Armee hatte schon am Mittag dreihundert Verwundete zu beklagen. In den ständig unter Artilleriebeschuss liegenden Ruinen der aufständischen Siedlung herrschten seit September nicht nur Hunger und Durst. Mangel an reinem Wasser ließ eine Seuche ausbrechen. Von ihr blieb auch der Conselheiro nicht verschont und er starb vermutlich am 22. September nach Kirche von Canudos 1897 langen Qualen infolge der Ruhrerkrankung inmitten seiner Anhänger. Danach hielten die Barrikaden der Aufständischen noch 12 Tage stand. Schließlich fielen die letzten vier Kämpfer unter dem Geschoßhagel vom 5. Oktober in der Ruine der selbst erbauten kleinen Kirche.
Ein solcher Sieg über völlig ausgemergelte und verblutende Gestalten schrieb kein Heldenepos in die Geschichte. Die Verhöhnung der Anführer von gescheiterten sozialen Bewegungen durch die Sieger gehört bis heute in das politische Vokabular. Doch auch hier spricht es für den Conselheiro, das er alle Gefahren seiner Anhänger teilte. Nach ihren Sieg töteten die Soldaten in unglaublicher Raserei bestialisch ihre Opfer. Aber für den Historiker retteten die Medizinstudenten, die im akademischen Bataillon am Feldzug teilnahmen und in den Lazaretten als Freiwillige arbeiteten, die Ehre der Republikaner. Sie waren die ersten, die gegen das stattfindende Niedermetzeln der gefangenen Verwundeten protestierten. Von den 20 000 Jaguncos überlebte kein männlicher Einwohner der Siedlung. Auch Frauen und Kinder hatten auf den Barrikaden gekämpft, die vom wilden Morden davon übrig gebliebenen etwa 400 Ausgemergelten gab man als Geschenke weg oder verkaufte sie gewinnbringend in die Sklaverei! Das allerdings brannte sich für immer in die Geschichte der ersten Republik Brasiliens ein.

Die republikanische Armee verlor in den Kämpfen 1100 Tote und etwa 4000 Mann wurden verwundet. Die Regierung hatte mit insgesamt 12 000 Soldaten die Hälfte ihrer Armee gegen die Jaguncos eingesetzt. Die jungen Soldaten der Republik wurden Opfer einer grandios geheuchelten Fortschrittsgläubigkeit. Das war wirklich neu, das konnte Muster für das neue Jahrhundert abgeben, ein Lehrstück für die Kriegspropaganda kommender Weltkriege. Das Schicksal der im selben Jahr in Europa Geborenen wird durch den bis dahin größten Vernichtungskrieg auf der Erde bestimmt sein. Es schien, das niemand diese Entwicklung der Welt je voraus ahnen könnte.(5) Nur ein gewisser Friedrich Engels (1820-1895) beschrieb 1895 in einer Ausgabe der Neuen Zeit die totale Umwälzung des ganzen Kriegswesens und die Bedrohlichkeit eines Weltkrieges von unerhörter Greuelhaftigkeit und von absolut unberechenbarem Ausgang.





Fußnoten:

(1) Im Jahr 1853 hielt der Russe Tschernyschewskij in seiner Dissertation fest, das ein gutes Leben für Bauern darin bestehe, sich satt essen zu können, in einem soliden Haus zu wohnen und hinreichend schlafen zu dürfen. Beim Bauern gehöre zum Begriff Leben stets der Begriff Arbeit, weil man nach Erfahrung ohne Arbeit nicht leben könne.

(2) In der Frühen Neuzeit begann bereits die Auseinandersetzung innerhalb der Kirche zum Umgang mit Menschen, die anderen Kulturkreisen angehörten. So hatte schon der Jesuit Matteo Ricci 1610 durch seine fortschrittlichen Ansichten über China den sogenannten Ritenstreit ausgelöst, der 1742 durch päpstliche Entscheidungen zuungunsten der Jesuiten beendet wurde.
Der wegen seiner Indianerfreundlichen und Sklavereifeindlichen Haltung beliebte Missionar Gabriel Malagrida SJ wurde 1761 als Ketzer verbrannt.

(3) Seit der letzten Jahrtausendwende etabliert sich die Anwendung der Folter erneut in der westlichen Gesellschaft faktisch ohne Widerstand, obwohl das Zeitalter der Aufklärung längst eine andere moralische Ansicht darüber gesellschaftlich durchgesetzt hatte.

(4) Im Heft 40 der Gartenlaube von 1874 erschien der Artikel über eine Jakobine Maurer, Tochter von Wiedertäufern in Brasilien.

(5) Das bedarf einer Ergänzung: Die Sozialisten in Deutschland führten bereits die Diskussion über die mögliche Gefahr eines Weltkrieges und erörterten, was dagegen zu unternehmen sei. 1887 hoffte der Politologe Friedrich Engels (1820-1895) noch, das die Unberechenbarkeit eines Weltbrandes die europäischen Armeeführungen daran hindern würde, einen lokalen Krieg zu beginnen. (Brief an Frau Bebel aus London am 12. März - MEW 36 S.628) Acht Jahre später beschreibt Engels in einer Ausgabe der Neuen Zeit (1895) eine totale Umwälzung des ganzen Kriegswesens und die Bedrohlichkeit eines Weltkrieges von unerhörter Greuelhaftigkeit und von absolut unberechenbarem Ausgang.(MEW 22 S.517) Der Brite Henry Noel Brailsford (1873-1958), ein scharfer Kritiker der Rüstungsindustrie, hielt noch 1913 einen Krieg zwischen den Großmächten für unmöglich. (L13 S.264)








Zeittabelle

Jahr ausgewählte Ereignisse 1500 bis 1700 Hinweise und Quellen
1549 Die Jesuiten beginnen in Brasilien zu missionieren und gründen Missionsdörfer (Aldeias) für die Indios. In den Aldeias versuchten sich die Einwohner gegen Übergriffe weißer Siedler zu wehren, blieben aber gegen den bewaffneten Zugriff von Sklavenjäger-Banden nahezu ungeschützt.
1587 Die Portugiesische Krone bestätigt das Aldeias-Konzept der Jesuiten.
1596 Die Portugiesische Krone bestimmt die Jesuiten als Hauptträger der Indianerpolitik.
1693 Entdeckung der ergiebigen Goldlagerstätten von Minas Gerais.
1695 Der berühmte Quilombo von Palmares in der Serra da Barriga im Alagoas Gebiet im Süden der Kapitanie Pernambuco, eine Bauernrepublik aus tausenden entlaufenen Sklaven, Indios und landlosen Weißen, wird nach hundertjährigem Bestehen von den Potugiesen erstürmt und zerstört. (L3 S. 123)
Jahr ausgewählte Ereignisse 1830 bis 1888 Hinweise und Quellen
1831 Revolte ⇒ Setembrisada in Rio de Janeiro, Pernambuco. Ceara, Bahia und Maranhao ⇒ Setembrada (L6 S.74)
1832 Revolte in Rio de Janeiro, Pernambuco ⇒ Abrilada, Piaui und Bahia (L6 S.74)
1833 Revolten in Bahia und Minas Gerais (L6 S.74)
1834 Revolte in Mato Grosso (L6 S.74)
1834 bis 1839 Revolte in Para Cabanos (L6 S.74)
1835 Sklavenaufstand der Male im Nordosten (L6 S.74)
1835 bis 1846 Revolte ( Krieg der Lumpen) in Rio Grande do Sol Farrapos. Guiseppe Garibaldi war einer der Führer der Bewegung zur Gründung einer separatistischen Republik. (L6 S.74)
1836 Revolte mit einer messianischen Bewegung in Pernambuco (L6 S.74)
1837 Revolte in Bahia, die Sabinada (L6 S.74)
1838 Revolte in Maranhao (L6 S.74)
1842 liberale Revolten in Sao Paulo und in Minas Gerais (L6 S.75)
1847 liberale Revolte in Pernambuco Praieira (L6 S.75)
1850 Auf Betreiben der Großgrundbesitzer soll eine neue Ordnung des Bodenrechts den Zugang zu Landeigentum für neue Immigranten erschweren und die einwandernden Neuankömmlinge indirekt zwingen, auf den Plantagen zu arbeiten. (L7 S.190)
1851 bis 1854 Unruhen gegen ein Volkszählungsgesetz im Hinterland von Paraiba, Pernambuco, Alagoas, Ceará e Sergipe. Die Regierung benötigte die Daten angeblich zur Modernisierung, in Wahrheit, um die Zahl möglicher Soldatenpotentiale in Erfahrung zu bringten. In der Bevölkerung bestand zugleich die Sorge vor Sklaverei. Die Ausschreitungen wurden als Bienensummen (Ronco da Abelha) benannt. (L4 S.103) und Wikipedia
1871 Die neu geboreren Kinder von Sklavinnen wurden per Gesetz (Lei do ventre livre = Gesetz des freien Leibes) für frei erklärt. Bis dahin galt das Lex Ventri, das jedes Kind einer Sklavin zum lebenslangen Sklaven bestimmte. Die Ähnlichkeit des bis dahin gültigen Kindersklavengesetzes mit den Hörigen-Gesetzen des Mittelalters ist auffällig. ( z.B. 1525 in den deutschen Landen. Siehe Ratgeb) (L6 S.78)
1874 und 1875 Aufstand in Paraiba (Quebra-Quilos Aufstand). Richtete sich gegen die Einführung des metrischen Systems. Das metrische System diente als Grundlage zur Messung des Bodenbesitzes und des Eigentums, des Vermögens u.s.w. der Siedler. Genau genommen galt der Widerstand nicht dem Maßsystem sondern der sich vermutlich anschließenden Steuererhebung. (L4 S.103)
1874 Mucker-Aufstand in Rio Grande do Sul
Jakobine Maurer, die deutsche ⇒ Christusin Teil I gründet eine eigene Sekte, deren Widerstand brutal militärisch niedergeschlagen wird.   ⇒ Wikipedia Teil II
1877 Das Klima des Sertao ist von wiederholten Dürren gekennzeichnet. In diesem Jahr ist sie von außergewöhnlicher Tödlichkeit und entvölkert die wenigen Siedlungen auf Jahre.
1886 Massenfluchten der Sklaven von den Kaffee-Plantagen. Viele von ihnen gründen Quilombos (u.a. den Quilombo von Jabaquara bei Santos), Zuweilen werden von dort aus die Plantagenbesitzer bedroht.
1887 Die Kirche setzt sich erst spät ebenfalls für die Sklaven-Befreiung ein.
1888 Die Regentin Isabel unterzeichnet das Goldene Gesetz Lei Aurea, mit dem alle noch vorhandenen Sklaven (etwa 700 000 Menschen) ohne "Entschädigung" für die Pflanzer befreit werden.
Jahr ausgewählte Ereignisse ab 1889 Hinweise und Quellen
1889 Der Putsch von General Manoel Deodoro de Fonseca erzwingt die Abdankung Kaiser Pedro II.
Durch eine Schuldenspirale, die 1824 begann, ist das Kaiserreich mit 30,3 Mio £ verschuldet (1825: 5 Mio £). Durch die seit 1825 fortlaufenden Anleihen bei britischen Banken geriet Brasilien in starke Abhängigkeit von Großbritannien, ähnlich wie Jahrhunderte zuvor das Mutterland Portugal. (L4 S.99)

Beginn des Kautschukbooms in Brasilien.
(L4)
1890 Aufnahme eines Hexerei-Pragraphen in den gesetzlichen Strafkodex. Androhung von polizeilichen Repressionen und Kontrolle religiöser Formen, insbesondere von ehemaligen Sklaven.
5,1 Mio Sack (Sack=60kg) Kaffee werden in das Ausland verkauft. In der ersten Republik wurde Kaffee das wichtigste Exportgut.
(L8 S. 4)
(L4 S. 124-125)
1891 Platzen einer Spekulationsblase (Crise do encilhamento), Abwertung der Währung, Bankenpleite. (L4 S. 123)
1893 Antonio Vicente Mendes Maciel verbirgt sich mit einigen Getreuen in der Facenda Canudos. Wikipedia Canudos
1896 November   Beginn der 1. Strafexpedition (unter Pires Ferreira), damit beginnt der Krieg von Canudos.
1897 Januar   2. Strafexpedition unter Major Febrônio de Brito (600 Soldaten mit Kanonen)
März:   3. Strafexpedition unter Antônio Moreira César (1300 Soldaten)
  Da Cunha veröffentlicht seinen ersten Bericht Unsere Vendee nach der Niederlage der 3. Strafexpedition gegen Canudos.
18.7. Der Sturmangriff der 4. Strafexpedition unter General Oscar auf die Jaguncos scheitert.
7.8. Da Cunha trifft im Gefolge des Kriegsministers in der Haupstadt des brasilianischen Staates Bahia, Salvador da Bahia ein.
1.9. Da Cunha erreicht Queimadas, Bahnhof und Telegrafenstation 150 km von Canudos entfernt.
7.9. Da Cunha ist auf seiner Reise als Kriegsberichterstatter nach Canudos in Monte Santo (60 km von Canudos) eingetroffen, dem wichtigsten Stützpunkt der Armee.
16.9. Da Cunha hält sich bei der Belagerungsarmee vor Canudos auf. (bis 5.10.)
22.9. Der Ratgeber (Conselheiro) stirbt an der Ruhrseuche, die im Lager der Aufständischen herrscht.
5.10.:   Endgültige Niederlage der Jaguncos. Ende des Krieges gegen Canudos.
Gefangene Canudos-Rebellen nach der Niederlage, im Bildhintergrund ihre Bewacher. Zur Zeit der Erstürmung der Rebellen-Siedlung lebten in den selbst errichtetet 5000 Gebäuden c.a. 20000 Einwohner. Eine eigene Kirche befand sich im Aufbau.

Vossische Zeitung 8.10.1897:
''Die sogenannte Fanatikerbande gefährdete ernstlich die Republik, sie stand mit der monarchistischen Partei in engen Beziehungen.'' (L10 S. 757)
Original in Wikipedia
Bild Canudos
1910 bis 1916 Bewegung von Contestado Franz Höllinger: Religiöse Kultur in Brasilien
google-buch




Stichwörter Quellen
Aldeias Missionsdörfer (Reduktionen) der Jesuiten für die Indios. Die Jesuiten studierten Lebensformen, Kultur und Religion der einheimischen Bevölkerung, erlernen dabei die Tupi-Sprache, die sich als weit verbreiteste Indiosprache als allgemeine Sprache anbot. Pater Jose de Anchieta schrieb die Sprache und Gramatik auf: Arte de Grammatica da lingua mais usada na costa do Brasil. Aus dieser Sprache sind im Deutschen z.B. angekommen: Ananas, Maracuja, Jaguar, Piranha, Tapir. (L3 S.115-116)
bandeirantes (bandeira=Fahne)Bewaffnete Einheiten und oft von reichen Siedlern als Privatarmee gedungene Banditen (darunter viele Mischlinge - mamelucos), die als Sklavenjäger agierten, auch als Goldräuber usw., berühmt wurde z.B. die Paulistaner bandeirantes, die von Sao Paulo aus operierte. Sie überfielen oft jesuitische Missionssiedlungen und verkauften Tausende Indianer in die Sklaverei. (L3 S.116-117)
bocais So wurden brasilianische Sklaven genannt, die noch in Afrika geboren wurden und nicht christianisiert waren. Sie galten in der sozialen Hirarchie als ganz unten klassifiziert. (Siehe auch: ladino und crioulos) (L4 S.33)
cafe com leite Kaffee und Milch. Begriff für die Kombination der Politik, die bestimmt wurde von der Lobby aus Sao Paulo (Kaffeplantagenbesitzer) und den Rinderherdenbesitzer (Milch)von Minas Gerais. cafe com leite politics
colonos eigtl. Pächter, Siedler. In Realität Landarbeiter ohne Bodenbesitz.
In der Gegenwart ist ein neuer Begriff entstanden: Orange, gilt für einen Strohmann, der als scheinbarer Siedler lebt, dessen Land in Wirklichkeit einem Großgrundbesitzer gehört, der wiederum nicht in Erscheinung tritt und dem nichts nachzuweisen ist.
(L12 S.111) u.a.
Conselheiro (Ratgeber) Siehe Antonio Vicente Mendes Maciel Wiki Conselheiro
Coroados missionierte Kaingang-Indios Prutsch,Moura S. 99
caboclos Mischlinge  
crioulos Brasilianische Sklaven gemischter Herkunft. (L4 S.33)
Elite Aus einer privilegierten Stellung heraus glaubt eine besonders ausgewählte Schicht die Massen führen können. Diese Auserlesenen leiten ihre tragende Funktion nach ihrer eigenen Selbstsicht aus ihrer hohen Bildung und ihren sittlichen und moralischen Qualitäten her ab.
Die dafür entwickelte Elitetheorie gewinnt z.B. in den Medien immer dann Bedeutung, wenn eine (u.U. unfähige) Herrschaftsschicht sich bedroht fühlt und sie ihre Macht gegenüber dem Volk rechtfertigen muß.
Bedeutende Vertreter der Elitetheorie: Nietsche, Treischke, Jaspers, Pius XII., Le Bon, Bloch und durch soziologische Zeitdiagnose → Ortega y Gasset .
Jaguncos (genauer: jagunços ) Die Bewohner im Sertao mit negativer Bedeutung: Schläger, Bandit. Im Rahmen der (später sogar weltweiten) Pressekampagne gegen die Aufständischen als Beschimpfung der Aufständischen Canudos benutzt. Aber das politisch unerwünschte Gegenteil trat ein als es von den armen Schichten Brasiliens als Sympathieausdruck benutzt wurde.
Jakobiner Eigentlich der radikale (kleinbürgerliche) Flügel der Französischen Revolution von 1789. In Brasilien dagegen eine übertragene Bezeichnung für die auf die Zentralregierung orientierten kleinbürgerlichen Republikaner, Anhänger des Floriano Peixotos. Stellten sich für den Fortschritt durch Industrialisierung und zuweilen gegen die traditionellen Großgrundbesitzer, die jedoch ab 1894 erneut erstarkten. Durch den Krieg gegen Canudos glaubten die Republikaner wieder an Einfluß gewinnen zu können. Politisch verglich man Robespierre mit Floriano Peixoto. (L10 S.731-732)
ladino Brasilianische Sklaven, die den christlichen Glauben angenommen hatten. (L4 S.33)
matuto Bauerntölpel, Dörfler, Hinterwäldler (L10 S.749)
Minas Gerais (deutsch: allesamt Minen), in diesem Gebiet im Südosten Brasiliens wurden im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts große Goldvorkommen entdeckt, vermutlich 1675 als erstes bei einer Expedition unter ⇒ Laurenco Castanho Taques. Seit dem transportierten Schiffe bis etwa 1790 große Mengen Gold von Brasilien nach Portugal. Diese potentiellen Kapitalmengen brachten der portugiesische Bevölkerung keine Vorteile. Das Gold nutzte eine kleine Feudalkaste, um die Importe des Mutterlandes zu finanzieren. Portugal führte vorrangig Manufakturprodukte aus England ein und bezahlte mit brasilianischem Gold indirekt die frühe Industrialisierung Englands. Die Rolle der englischen Banken, über die das Gold transferiert wurde, ist noch wenig erforscht. Der fortlaufende Werteverfall der portugiesischen Währung im Verhältnis zum Pfund begleitete nicht nur diese Vorgänge, sondern trieb sie verstärkend an. Die Landbevölkerung des portugiesischen Königreiches und die Sklaven in den brasilianischen Goldminen hatten das Nachsehen. Zugleich ist eine gewisse historische Parallele zur Preisrevolution, die sich in langen Jahrzehnten zuvor in Europa vollzog, erkennbar.
Siehe auch: ⇒ Fugger-Zeitalter und ⇒ Die sogenannte Preisrevolution und zur Geldentwicklung im Königreich Portugal
u.a. (L6 S. 44)
Mutterland Im vorliegenden Text wird aus Gründen der Vereinfachung und Kürze der Begriff Mutterland für den Namen und Begriff Königreich Portugal verwendet. Der Verfasser verzichtet auf politische Korrektheit. Es ist historisch allgemein bekannt, das es sich beim Begriff Mutterland um einen Begriff der Kolonialherren handelt. Die massenhafte Einwanderung aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt nach Brasilien erlaubt ohnehin nur noch historisierend die Verwendung des Begriffes.
Positivismus Die Anhänger des Positivismus gehen davon aus, das der Fortschritt in der Wissenschaft den gesellschaftlichen Fortschritt mit sich bringt. Religionen und Kulte werden überwunden mit naturwissenschaftlicher Bildung. Die Anwendung moderner Technik garantiert die soziale Sicherung der Bevölkerung. Der Teil der sich als Elite führenden Schicht in Brasilien, der sich dem technischen Fortschritt verpflichtet fühlte, neigte zum Positivismus, der andere oft zum Katholizismus. Die jungen Offiziere der brasilianischen Armee waren im Sinne des Positivismus erzogen und sehr gut ausgebildet.
Sebastianiten Zu den schlimmsten Niederlagen zählt für die Portugiesen die Schlacht von 1578 gegen die Mauren. Dabei fand der König Dom Sebastiao den Tod ohne das man seinen Leichnam fand. Spätere messianische Bewegungen in Portugal und in Brasilien widerspiegelten den Wunsch der "unteren" Volksschichten nach der Widerauferstehung des Königs zur nationalen Befreiung. Auch in Canudos waren Anhänger des Sebastianismus geduldet, der Conselheiro selbst vertrat diese Idee nicht und gab sich auch nicht als Prophet aus. (L10 S. 718-719)
Tupi-Guarani Eine verbreitete Sprache der Indios, die im 16. u. 17. Jahrhundert die Lingua franca Brasiliens blieb. Sie wurde von den Jesuiten studiert und aufgeschrieben. mußte zeitweilig dem Portugiesischen weichen.
Lima Barreto votiert 1911 in einem Buch für die Einführung von Tupi-Guarani als Amtssprache, weil Sprache die höchste geistige Offenbarung eines Volkes ist und weil die facettenreiche Ausdruckskraft der Indios die Schönheiten Brasiliens besser in Worte setzten kann.
Seit neuerem drucken in Rio Grande do Sul Verlage Ausgaben in Guarani.
(L4 S.26 u. L2 S.100, 224 )







Notizen über Zeitgenossen Hinweise
Antonio Vicente Mendes Maciel
(1830-1897)
Wurde von den Jaguncos Der Conselheiro (Ratgeber) genannt. Gründete die Kommune Canudos. Von der Katholischen Kirche, die auf Seiten der Großgrundbesitzer stand, als Häretiker diffamiert.
Vermutlich am 13.03.1830 (nicht wie oft vermutet 1828) in der Kleinstadt Quixeramobim (Provinz Ceara) geboren, Sohn eines Händlers, der Viehzüchterkreisen nahe stand. Erhielt eine für die Provinz unübliche hohe Schulbildung, u.a. Unterricht in Latein, Französich und Portugiesisch. Verheiratet, zwei Kinder, ging nach Verlust des Geschäftes vom Vater auf Wanderschaft. Soll in Blutfehdengeschichten verwickelt gewesen sein.
Seine Predigten, seit 1874 nachweisbar, zeigten erste Erfolge z.B. in der Stadt Itapicuru. Er widmete sich mit seinen ersten wenigen Anhängern der Instandsetzung verfallener Kirchen und Friedhöfe. 1875 verbot ein Erzbischof dem Laien, der Bildnisse des Jesus und der Jungfrau Maria mit sich trug, jegliche Predigertätigkeit. Maciel segnete auf Hochzeiten und nahm Beichten ab. Schenkungen nahm er nicht an, war deswegen bei Dorfbewohnern, auch bei niederen Geistlichen beliebt. Seit 1882 zog er so durch den Sertao, wurde 1888 von der Polizei vertrieben, kannte aber Pfarrer, die ihn beherbergten. Der spätere Abgeordnete Agripino Borges soll ihn unterstützt haben. 1893 geraten die Bauern der Provinz in Schwierigkeiten wegen zu hoher Steuerabgaben. Das ihnen noch wenig bekannte Metrische System wird oft benutzt, um sie zu betrügen. Steuerplakate werden in Tumulten (z.B. in Soure, Amparo, Bom Jesus) herunter gerissen. Die Hetz-Presse macht daraus Plünderbanden und aus dem daran unbeteiligten Prediger einen Chef der Plünderbanden. Maciel hatte nur die unwürdige Behandlung einer alten Bäuerin durch Steuereinnehmer in seiner Predigt mit aufgenommen. Sie hatte Standgebühren auf dem Markt zu bezahlen, die höher waren als der Wert ihrer angebotenen Waren, die darauf hin allesamt eingezogen wurden.
Als zwischen den Jaguncos und dem Militär die Kampfhandlungen ausbrachen, bediente sich die Presse der fortan bis in das 20. Jahrhundert zu ihrem Werkzeug gehörenden berüchtigten Variante der Täter-Opfer-Umkehr.
Entweder bei Kämpfen Mitte September 1897 gefallen oder an der in der Siedlung herrschenden Seuche gestorben.
Der Conselheiro gilt als Symbol eines selbstbestimmten Christentums der ländlichen Armen. Aus einer Gemeinde von Monte Santo ging in den 1980er Jahren eine religiöse Bewegung hervor, die für eine Landreform streitete. Ein Vorreiter dieser Bewegung ist der Prister Padre Enoque Jose de Oliveira.
(L14 S. 35-51)

→ Padre Enoque Jose de Oliveira
Pajeu Anführer der Jaguncos in Canudos. Im Kampf gefallen. (L10 S. 320,403,437,439,529,530)
Joao Grande Anführer der Jaguncos in Canudos. (L10 S. 309-310, 317)
Joao Abade Anführer der Jaguncos in Canudos. (L10 S. 350, 404)
Antonio Beatinho genannt Der Gottselige Ministrant und Gehilfe des Ratgebers, Anführer der Jaguncos in Canudos, Mulatte. Rettete in einer beispiellosen Täuschungsaktion gemeinsam mit de Carvalho dreihundert verhungernde Frauen, Kinder und Greise aus Canudos. Wurde anschließend von Soldaten ermordet. Von ihm stammt die Aussage, das der Ratgeber am 22.9.1897 an der Ruhr gestorben sei. (L10 S. 673,675-680))
Bernabe Jose de Carvalho Ein untergeordneter Anführer der Jaguncos in Canudos. Nachkomme von Holländern, Weißer. Führte mit Beatinho die Rettungsaktion der Dreihundert durch, von Soldaten ermordet. (L10 S.675 )
Antonio Vila-Nova auch: Vilanowa, Anführer der Jaguncos, organisierte die Versorgung mit Waffen und Lebensmitteln. (L10 S.651 )
Joaquim Macambira Anführer der Jaguncos, Sohn eines gleichnamigen Anführers. Beim Versuch, die größte Kanone der Republikaner, eine 32er Whitworth-Kanone, zu zerstören, gefallen. Die Kanone wurde von den Aufständischen Die Schlächterin genannt, weil sie in die ungeschützte Hüttenansammlung von Canudos hineinschoß. (L10 S. 491)
Antonio Fogueteiro Anführer der Jaguncos im Sertao. Erstürmte mit seinen Leuten die Stadt Vila de Santana do Brejo. Weitete die Verteidigungsgebiete der Jaguncos aus. Verteidigte die Hänge des Caipa und die Hügel um Varzea da Ema. (L10 S. 550)
Euclides da Cunha Kriegs-Chronist von Canudos. Begleiter des Marschalls Bittencourt. (Siehe unten)
Hinweis: Bezeichnete den Kautschukhandel als besonders kriminelle Form der Lohnarbeit.
(L2 S.95)
Barao de Jeremoabo eigentl. Dr. Cicero Dantas Martins, Großgrundbesitzer und Abgeordneter Bahias (1869-1875). In der Überlieferung bekanntester (reaktionärster) politischer Gegner der Canudos-Bewegung. (L10 S.723)
Oliveira Martins (1845-1894), portugiesischer Politiker, Journalist in Brasilien (Jornal do Comercio), Historiker. Mitglied der Königlich Spanischen Akademie für Geschichte und der Akademie der Wissenschaften in Lissabon. Veröffentlichungen über Kultur- und Religionsgeschichte. Vertreter linksliberaler und sozialistischer Ideen. (L10 S.718)

Wikipedia
Nina Rodrigues Rassentheoretiker, untersuchte den abgetrennten Schädel des Conselheiro nach Degenerationsmerkmalen und konnte keine nachweisen. (L2 S. 93)
Hermes da Fonseca (1855-1923) Brasilianischer Militär und Politiker. Der Neffe des Deodoro da Fonseca, des ersten brasilianischen Präsidenten. Kriegsminister 1906, 1910 der 8. Präsident Brasiliens. Während seiner Präsidentschaft gab es die Chibata Revolte (Aufstand der Lash) und den Contestado-Krieg . Wikipedia
Carlos Machado de Bittencourt (1840-1897) Marschall der Brasilianischen Armee, Kriegsminister. Organisierte erfolgreich die Versorgung der Truppen vor Canudos bis zum Sieg der Republikaner. Da Cunha wirft dem Marschall schuldhafte Gleichgültigkeit bei den Verbrechen der Sieger vor. Bittencourt starb bei einem Attentat auf den Präsidenten Morais durch den radikalen Jakobiner Marcelino Bispo de Melo während der Siegesparade am 5. November 1897 in Rio de Janeiro. (L10 S.739)






Notizen über Bankiers und Spekulanten Quellen/Literatur
Baring Brothers Ein führendes Londoner Bankhaus im 19. Jahrhundert, das umfangreiche Geschäfte mit der englischen, der französischen und der russischen Regierung tätigte. Seit 1880 vergab die Bank Anleihen an südamerikanische Staaten. Ein Konkurrent der Rothschilds.
Nach der Panik von 1890, die von Brasilien nach Argentinien und Uruguay ausgriff, (engl. ⇒ Baring crisis) organisierte ⇒ William Lidderdale gemeinsam mit Rothschild Maßnahmen zur Rettung der Bank und so gründete sich die Baring Brothers & Co. Ltd. als Aktiengesellschaft neu.
Baring Brothers Wiki engl.
Antony Gibbs & Sons Siehe auch: ⇒ Henry Hucks Gibbs, Direktor der Bank of England von 1853 bis 1901. Gibbs und Sons Wiki engl.
Rothschild Das Londoner Bankhaus N M Rothschild konnte sein Kapital von 5,9 Mio £ im Jahr 1875 auf 7 Mio £ im Jahr 1897 erhöhen. Seit 1812 erhielt Rothschild direkte Goldlieferungen aus den brasilianischen Minen, die Geschäfte wurden über britische und portugiesische Verbindungsleute getätigt. N M Rothschild handelte auch mit Baumwolle, Tabak und Zucker (aus Übersee), mit Kupfer (aus Rußland) und Quecksilber (aus Spanien), auch mit Eisenerz und Wolle.
Anleihengeschäfte (einschl. Staatsanleihen) tätigte Rothschild mit: Großbritannien, Frankreich, Preußen, Belgien, Rußland, Österreich, Portugal, Brasilien, Holland, Griechenland, Dänemark und Neapel.
(L11)
Percival Farquhar Amerikanischer Geschäftsmann mit umfangreichen Interessen in Lateinamerika und Russland. Wikipedia
Notizen über im Canudos-Krieg eingesetzte Waffen und deren Erfinder Quellen/Literatur
Nordenfelt eigtl. Ernst Thorsten Nordenfelt (1842-1920), Waffenkonstrukteur und Waffenhändler. 1875 handelte er in England mit Machinengewehren. Seine Mitrailleusen wurden in der britischen Marine eingesetzt. Die Produktionen für verschiedene Armeen erfolgten in Schweden, in England und in Spanien. In Frankreich entwickelte Nordenfelt die erste Schnellfeuerkanone. Nordenfelts Firma schloß sich 1888 unter Druck von ⇒ Rothschild und Vickers mit der amerikanischen Maxim Gun Company, zur Maxim-Nordenfeldt Guns and Ammunition Company Limited mit Sitz in London zusammen, die später in Vickers aufging. Es entstand das berühmte ⇒ Maxim-Maschinengewehr. Nordenfelt
Comblain Infanteriegewehr belgischer Produktion. Nach Aussagen von Aufständischen war das Comblain für den Kampf nicht so tauglich wie das Mannlicher, weil es zu wenig Durchschlagskraft habe. (L10 S.585) Comblain Gewehr
Mannlicher eigtl. Ferdinand Ritter von Mannlicher (1848-1904), Erfinder und Waffenkonstrukteur. Vermutlich handelte es sich in den Sertao-Kämpfen um das Infanteriegewehr Steyr M1895, auch als Steyr-Mannlicher M95 Gewehr mit geradem Zug, das von Mannlicher konstruiert wurde. Hergestellt auf der Grundlage seiner bisherigen M1890 Konstruktion in den staatlichen Waffenfabriken in Steyr (Österreich) und Budapest (Ungarn). Mehr als 3 Millionen von M95 Gewehre wurden zwischen 1895 und 1918 produziert. (noch prüfen!)
Joseph Werndl entwickelte mit Karl Holub den Verschluss für den Hinterlader der k.u.k. Armee gegen den Konkurrenten Remington. Die 1864 gegründete ⇒ Österreichische Waffenfabriksgesellschaft OEWG (mit Werndl als GD und Mannlicher als Teilhaber) produzierte etwa 8000 Gewehre pro Woche und beteiligte sich später massiv an der Rüstungsproduktion für den Ersten Weltkrieg.
Ferdinand Ritter von Mannlicher Q: http://world.guns.ru/rifle/repeating-rifle/at/steyr-mannlicher-m95-e.html
Krupp eigtl. Alfred Krupp(1812-1887), Industrieller und Erfinder. Entwickelte seit 1857 Kanonen, machte seinen Aufstieg aber durch Stahlreifenlieferungen an Eisenbahngesellschaften der USA. Ab den 1880er Jahren wurde die Konkurrenz der amerikanischen Stahlindustrie erdrückend. Die Fa. Krupp verlor den amerikanischen Markt. Fortan konzentrierte sie sich auf die Rüstungsproduktion. Gleiches galt für die größten europäischen Konkurrenten: den Engländer William Armstrong und den Franzosen ⇒ Henri Schneider. Diese drei Firmen lieferten das Gros der Waffen für die europäische Rüstungsspirale. Daraus gingen die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs hervor, deren Greuel der Politologe Friedrich Engels voraussah.  
Whitworth eigtl. Sir Joseph Whitworth (1803-1887), englischer Fabrikant und Erfinder auf dem Gebiet der Waffentechnik. Seine Produktion wurde 1897 von Konkurrenten Armstrong übernommen.
Die 32pfünder Kanone findet Erwähnung in der New-York Daily Tribune vom 5. Mai 1860 als Schiffsgeschütz in einem Artikel von Engels. (MEW 15/37) Da Cunha beschreibt das Geschütz so: ''Des weiteren hemmte ihren Schritt der Stahlkoloß eines 32pfünders, eines Whitworth, das 1700 Kilogramm wog! Das entsetzliche Gerät, für unverrückbare Seefestungen gedacht, verstopfte den Weg, verlangsamte den Vormarsch...'' (L10 S. 425)
Friedrich Engels, Über gezogene Kanonen, New-York Daily Tribune Nr.5926 v. 21.4.1860 u. Nr. 5938 v. 5.5.1860
(MEW 15/35, 37, 739) viele Angaben
Da Cunha, Krieg im Sertao ...(L10, S.425)
Oscar Canstatt, Brasilien - Land und Leute, 1910 S. 302
Whitworth dt
Whitworth eng
Armstrong eigtl. Wiliam George Armstron Baron of Cragside (1810-1900), englischer Erfinder, insbesondere bei Geschützrohren.
Erfinder der ersten industriell hergestellten Hinterladerkanonen, die von der britischen Marine eingesetzt wurden. Konkurrent in der Waffentechnik von Joseph Whitworth und Alfred Krupp. Armstrong gründete 1897 mit dem Werk von Whitworth die ⇒ Armstrong Whitworth. Die wurde später (1927) in den britischen ⇒ Vickers-Konzern übernommen. 1900 war das Unternehmen eines der größten Imperien der Viktorianischen Zeit.
MEW 15/713 viele Angaben

Armstron dt

Armstron eng

Die berühmte Vermutung Friedrich Engels (1820-1895) zur modernen Weltkriegsgefahr: (F. Engels, Was Europa bevorsteht, Sozialdemokrat 15.1.1888)
Das Zitat lautet: »... endlich ist kein anderer Krieg mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen ... Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre ... Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen ... absolute Unmöglichkeit, vorherzusehen, wie das alles enden ...wird...« [MEW 21/350-351]
Weitere Äußerungen Engels zur Weltkriegsgefahr finden sich u.a. in [MEW 22/371], [MEW 22/517] und [MEW 36/628]
[Hinweis: MEW 22/517 bedeutet: Karl Marx·Friedrich Engels·Werke·Band 22 Seite 517]










Zeitgenossen, Autoren, Historiker und Künstler zum Thema Canudos Quellen
Euclides da Cunha
(1866-1909)
Augenzeuge des Krieges. Verfasser von Os Sertoes (1902) deutsch: Krieg im Sertao. Militäringenieur aus Sao Paulo, glaubte als Evolutionist an die Überlegenheit der weißen Brasilianer, kam durch die Kämpfe mit den Aufständischen zu dem Schluß, das die caboclos der starke Kern des werdenden Brasiliens sind. Hielt die Niederschlagung des Aufstandes für ein Verbrechen: ''Jener Feldzug mutet an wie ein Rückfall in die Vergangenheit. Und er war im vollsten Sinne des Wortes - ein Verbrechen.'' (L2 S. 91)
Da Cunha hielt die Militäraktionen gegen Canudos für den ''größten Skandal unserer Geschichte''. (L10 S.589)
Im Buch deutet da Cunha an, das die Presse eine herausragende Rolle spielte beim Aufeinderhetzen der Brasilianer gegen Brasilianer, er beschreibt es als Jaguncos gegen Jaguncos. Er drückt seine Skepsis darüber aus, das die Geschichtsschreibung sich der Wahrheit über die Vorgänge widmen wird. Und auch das wird im kommenden Jahrhundert zu einer tragischen Erfahrung werden: aus dem einstigen Werkzeug der Aufklärung wird die Presse zu einem Hetzorgan degenerieren. Im Europa von 1914 wird der erste Beweis dafür geliefert.
Euclides da Cunha
Krieg im Sertao
suhrkamp taschenbuch 3093
Frankfurt a.M. 1994
Übersetzung und Nachwort: Berthold Zilly
S.589
Henrique Duque-Estrada de Maceo Soares Veröffentlichte ebenfalls 1902 sein Buch A Guerra de Canudos. Gilt als eine weitere wichtige Geschichtsquelle, die aber die Ermordung der Gefangenen verschweigt. Politische Korrektheit ist keine neue Erfindung. (L10 S.739)
Charles A. Gauld "Das Genie der Farquhar lag mehr in seiner Vision und die Fähigkeit, Geld zu erweitern als in der effizienten Verwaltung oder Kostenkontrolle in seiner 38-Unternehmen zu erhöhen." Wikipedia
Pedro Sinzig (1876-1952) Franziskaner, kam 1893 nach Brasilien, begleitete die letzte Strafaktion als Diakon und Krankenpfleger. Bezeichnete die Aufständischen als religiöse Fanatiker. Schriftsteller, Journalist im katholischen Pressewesen, Kirchenkomponist.
Veröffentlichte ein Tagebuch über seine Arbeit in Cansanção. In: Brasilien Dialog, Jg. 2002, Heft 3/4, S. 29-32. (über Canudos). 1922 erschienen seine Erinnerungen Reminiscências de um Frade, deutsch 1925 - Mönch und Welt: Erinnerungen eines rheinischen Franziskaners in Brasilien, in 2. Auflage unter dem Titel Lebendig begraben?.
(L10 S.588,739)
Lima Barreto Von ihm erschien 1911 Das traurige Ende des Policarpo Quaresma (O triste fim do Policarpo Quaresma). Lima Barreto: Das traurige Ende des Policarpo Quaresma, Zürich Ammann Verlag 2001 - Übersetzung von Berthold Zilly) (L2 S.100-101)
Mario Vargas Llosa La guerra del fin del mundo (Roman, 1981); Der Krieg am Ende der Welt, dt. Anneliese Botond (1982)

Die Haltung des Autors erscheint zwiespältig. Einerseits ist seine Sympathie für die Jaguncos unverkenbar, andererseits erhält die fiktive Gestalt des aus Europa stammenden Revolutionärs Galileo Gall die Züge eines modernen Don Quichotte. Dennoch läßt Llosa seine erfundene Romanfigur folgende Worte finden: ''Ich kann mir denken, daß ... viele Leser... vermuten, Canudos sei eine ebenso rückständige, von Pfaffen inspirierte Bewegung wie die Bauern in der Vendee zur Zeit der Französischen Revolution. So einfach ... ist die Sache nicht.'' (L9)
Aufstand in der Vendee
Der Krieg am Ende der Welt
Verlag Volk und Welt
Berlin 1984
Oscar Canstatt Oscar Canstatt verbrachte um die Jahrhundertwende viele Jahre in Brasilien. In seinem Buch Brasilien - Land und Leute nimmt er den Leser mit in das Brasilien um 1900. Canstatt sieht Sklaverei, Kolonialisierung, Lebensbedingungen der Brasilianer aus der Perspektive eines Zeitgenossen Hamburg 2013
Adir Botelho Adir Botelho é carioca, gravador, pintor, ilustrador, artista gráfico, desenhista e professor.
Holzschnitt Canudos, 1987 aus der Série Canudos [120 xilogravuras] Xilogravura - 54 x 38,8cm - Coleção do Artista
Bild
centrovirtualgoeldi
Martin Hein Der Kampf um Canudos: Bereits vor hundert Jahren wurde der Aufstand der Landlosen gewaltsam unterdrückt - bis heute ist der Sertao das größte Armenhaus Brasiliens Zeit-Artikel





Quellen, Literatur und Links
(L1) Rüdiger Zoller, Präsidenten-Diktatoren-Erlöser: Das lange 20. Jahrhundert
in: Eine kleine Geschichte Brasiliens, Suhrkamp Frankfurt a.M. 2000, S. 220-221
(L2) Ursula Prutsch,Enrique Rodrigues-Moura, Brasilien - Eine Kulturgeschichte, Bielefeld 2013
(L3) Hans-Joachim König, Geschichte Brasiliens, Reclam 2014, R.Bibliothek Nr. 19207
(L4) Stefan Rinke, Frederik Schulze, Kleine Geschichte Brasiliens, C.H. Beck München 2013
(L5) Jakobine Maurer, die deutsche „Christusin“ in Brasilien in Die Gartenlaube, Heft 40 S.643–645 Leipzig 1874Wikipedia I und ⇒ Wikipedia II
(L6) Manfred Wöhlcke, 500 Jahre Brasilien - Die Entstehung einer Nation, Vier-Viertel-Verlag, Strasshof 2000
(L7) Walther L. Bernecker, Horst Pietschmann, Rüdiger Zoller, Eine kleine Geschichte Brasiliens, Suhrkamp Frankfurt a.M. 2000
(L8) Ursula Prutsch, Brasilien 1889 - 1985, www.lateinamerika-studien.at
(L9) Mario Vargas Llosa, Der Krieg am Ende der Welt, Verlag Volk und Welt, Berlin 1984 S.114
(L10) Euclides da Cunha, Krieg im Sertao, suhrkamp taschenbuch 3093, Frankfurt a.M. 1994
Übersetzung und Nachwort: Berthold Zilly
(L11) Rainer Liedtke, N M Rothschild & Sons: Kommunikationswege im europäischen Bankenwesen im 19. Jahrhundert, Köln 2006
(L12) Gustavo Beyhaut, Süd- und Mittelamerika II, Von der Unabhängigkeit bis zur Krise der Gegenwart, Fischer Frankfurt Main 1965
(L13) Niall Ferguson, Der Aufstieg des Geldes, Bonn 2012
(L14) Dawid Danilo Bartelt, Nation gegen Hinterland / Der Krieg von Canudos in Brasilien: ein diskursives Ereignis (1874-1903), Franz Steiner Verlag Stuttgart 2003
() A.A. Guber u.a., Weltgeschichte Bd. 7, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1969 S. prüfen
() Stefan Zweig: Brasilien - Kapitel 3 → Gutenberg-Projekt
(Karten) Kartenausschnitt Brasilien erstellt mit google-maps
Karte Canudos erstellt mit google-maps
() Lateinamerikastudien der Uni Wien im Internet:
Kaffeanbau Brasilien vor 1888
Colonos-System
Auslandskapital im Kaffeekomplex Lateinamerikas

www.bauernkriege.de

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Der Krieg von Canudos / © Hans Holger Lorenz / beg. 03.09.2014 / Stand: 15. März 2018 / WB-To