Erster großer Bauernaufstand in der Geschichte Rußlands
unter Bolotnikow 1606 - 1607
Für das Ende des sechzehnten Jahrhunderts konstatieren die Historiker im Osten Europas eine tiefe Krise. In den ländlichen Gebieten Mittelrußlands verarmten die Städte und durch eine Massenflucht der Bauern entvölkerten sich die Dörfer. Kuriose Gesetze zwangen Kaufleute und Bauern ihren Wohnsitz beizubehalten während zunehmende Verschuldung und ständig steigende Abgaben sie zur Aufgabe ihrer wirtschaftlichen Existenzen nötigten. Kein Steuerpflichtiger kannte auf ihm zukommende alte oder neue angeblich gesetzliche Zahlungspflichten. Zuständige gerichtliche Instanzen schienen nicht zu existieren. Vor allem die Bauern, die nichts mehr zu verlieren hatten, entschlossen sich zur Flucht in die abgelegenen Wälder des weiten Rußlands oder zogen zu den Kosaken an die Reichsgrenze.
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Zeittafel |
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Jahr | |
1581 | Weil viele Bauern von den ruinierten Wirtschaften fliehen, wird das Gesetz über die "verbotenen Jahre" erlassen:
das besagt, das Bauern für diese Jahre ihren Herren nicht wechseln dürfen! In den achtzigen und neunziger Jahren werden "Grundbücher" eingeführt, die die "Rechte" des Grundherren über die auf seinem Besitz lebenden Bauern fixieren. |
1597 | Boris Godunow erläßt Gesetz zur Bauernverfolgung: nach flüchtigen Bauern, die nach dem Jahr 1592 geflohen waren, hat die Fahndung zu erfolgen! Dieses Gesetz machte auch freie Menschen, die bei ihrem Herrn lebten, ohne das der vorher ein Recht auf sie besaß, feudal abhängig! |
1594 und 1595 | Bauernrevolten auf den Gütern des Jossif-Wolokolamski-Kloster |
1601 bis 1603 | Mißernten und Hungersnot in Rußland Getreidespekulationen der Grundherren und der Kaufleute verschärfen die katastrophale Situation. Menschen verhungern in aller Öffentlichkeit, auch in der Haupstadt. Ganze Dörfer werden von den Bauern verlassen. |
1603 | Zentralrußland wird von einem Bauernaufstand erfaßt: der
Aufstand Chlopkos. Der Aufstand war direkte Folge der Hungersnot. Die Bauern rechnen mit ihren Herren ab und schlagen die Strafabteilungen Boris Godunows in die Flucht! Die Aufständischen ziehen in Richtung Hauptstadt, werden aber in der Nähe von Moskau geschlagen. Ein Teil der Überlebenden flieht in die Nordukraine, in der später der Aufstand Bolotnikows ausbrechen wird. |
Oktober 1604 | Der Falsche Dimitri I. beginnt mit seinen militärischen Operationen in der Ukraine und bewegt sich auf Moskau zu. |
April 1605 | Plötzlicher Tod des Bojarenzaren Boris Godunow. |
20.Juni 1605 | Der Falsche Dimitri I. zieht an der Spitze eines polnischen Heeres in Moskau ein. In den kämpferischen Wirren in der Stadt kommen alle Godunows um's Leben. |
21.Juli 1605 | Der Falsche Dimitri wird zum Zaren gekrönt als Grigori Otrepjew Dmitri I. Die Bojaren, die am Sturz der Godunows interessiert waren, beenden ihre Unterstützung für Dimitri und schwenken zur Gegenseite, als der neue Zar kleine und mittlere Dworjanen mit Land belohnt. |
7.Januar 1606 | Ein Gesetz verschärft die Bestimmungen des Gesetzes von 1597. Die Lage für die Bauern verschlimmert sich! |
1.Februar 1606 | Ein Gesetz dehnt die Frist der Verfolgung entflohener Bauern auf die Zunkunft (für die Dauer von 5 Jahren) aus! Damit besteht für die Bauernschaft praktisch keine Rechtmäßigkeit mehr. Diese Leibeigenschaftsgetzgebung wird tragische Folgen für Jahrhunderte in Rußland haben! |
1606 | Im Interesse der Dworjanen (kleinere und mittlere Grundbesitzer) entzieht der neue Zar den Klöstern Teile ihrer Ländereien und belegt die Kirche mit hohen Geldabgaben. Damit schwenken die Priester ebenfalls auf die Seite seiner Gegner. |
2.Mai 1606 | Maryna Mniszek, die künftige Zarenbraut trifft mit 2000 bewaffneten Adligen in Moskau ein. |
8.Mai 1606 | Hochzeit des Zarenpaares. Die Feierlichkeiten arten aus in Plünderungen und Übergriffen gegen die Moskauer Bevölkerung. |
17.Mai 1606 | Bei einem Aufstand in der Hauptstadt wird der Falsche Dimitri I. getötet. |
19.Mai 1606 | Der Fürst Wassili Iwanowitsch Schuiski wird von Bojaren zum Zaren ausgerufen. |
1.Juni 1606 | Schuiski wird zum Zaren gekrönt. In Moskau verbreiten sich Gerüchte über eine angebliche Rettung des Falschen Dimitri I. |
Juni / Juli 1606 | Aufstände in Astrachan und in der südwestlichen Ukraine. Ein sogenannter "Zarewitsch" Peter, der sich
als Sohn des Zaren Fjodor ausgab, zieht gegen die Truppen Schuiskis. |
Juli 1606 |
Beginn des Bauernaufstandes in der Sewersker Ukraine unter Bolotnikow. Bauern in der bereits von Godunow zerstörten Gegend erheben sich gegen Schuiski. Mit den Leibeigenen kämpfen Kosaken, Possadbewohner, Strelitzen der Grenzstädte. Der russischen Bauernschaft schlossen sich die unteren Volksschichten der aus vielen Nationalitäten bestehenden Bevölkerung des mittleren Wolgagebietes an: der Mordwinen, der Tataren, der Mari und der Tschuwaschen. |
Handelnde Personen / Namensverzeichnis |
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Iwan Issajewitsch Bolotnikow | Anführer des bedeutenden Bauernaufstandes in Rußland und der Ukraine gegen die Leibeigenschaft. Ehemaliger Kriegscholop des Fürsten Teltjatewski, floh zu den Kosaken in die freie Steppe und geriet dort bei Kämpfen gegen die Tataren in Gefangenschaft. Als Galeerensklave in der Türkei verkauft, konnte er sich bei einer Seeschlacht der Türken gegen Venedig befreien und reiste über Deutschland nach Polen. Er schloß sich der Aufstandsbewegung in der Sewersker Ukraine an und bewies sich als begabter und tapferer Heerführer im Bauernkrieg. |
Chlopko | Über den Anführer des Bauernaufstandes von 1603 ist nur sehr wenig bekannt. Der Aufstand Chlopkos entwickelte sich infolge der Hungersnot und erfaßte Zentralrußland. In einer Schlacht bei Moskau wurden die Aufständischen geschlagen. |
Wassili Iwanowitsch Schuiski | Zar (von 1606-1610) Wasili IV. (1552 - 1612). Parteigänger der Bojaren gegen Godunow, zeitweise auf Seiten des Falschen Dimitri I. Mit schwedischer Hilfe gelang es ihm, sich mehrere Jahre auf dem Thron zu halten. Durch Verrat konnten die Aufständischen Bolotnikows vor Moskau geschlagen werden. Später ließ er erfolgreich den Falschen Dimitri II. vertreiben, wurde aber 1610 gestürzt, als Mönch ins Tschudow-Kloster verbannt und ist später in Masowien als Gefangener in polnischer Haft auf der Burg Gostynin gestorben. |
Maryna Mniszek | auch: Mniszech (um 1588 - um 1614); Tochter des hohen polnischen Adligen. Die
schöne Katholikin wurde vom Erzbischof von Rjasan zur Zarin gekrönt. Ihr erster Gatte, Zar Grigori Otrepjew Dmitri I., wurde während der "Zarenhochzeit" getötet. Sie erkannte auch den zweiten falschen Dimitri als Zaren an und heiratete ihn. |
Grigori Otrepjew Dmitri I. | der Falsche Dimitri I. , auch: der Falsche Demetrius I. |
Boris Fjodorowitsch Godunow | (1552-13.4.1605), Zar Boris I. ab 1598, setzte sich in Intrigenkämpfen gegen die Moskauer Bojaren durch. Ging als Günstling Iwan IV. und ehem. Opritschnik aus dem Dienstadel hervor und war somit Gegener des Uradels. Heiratete die Tochter eines Metropolitenmörders. Godunow wird der ungeklärte Tod des jüngsten Sohnes Iwan IV. (1591) angelastet. Versuchte die Massenflucht der Bauern per drakonischer Gesetzgebung zu verhindern. Militärische Interventionen Polens und Schwedens, Machtkämpfe mit dem Hochadel, Massenhungersnot und Bauernkriege sind mit seiner Amtszeit verknüpft. Er starb plötzlich und unerwartet 1605. |
Grigori Otrepjew | (siehe: der Falsche Dimitri I.); entflohener Mönch, Abenteurer |
"Zarewitsch" Peter | gab sich als Sohn des Zaren Fjodor aus, zog gegen die Truppen Schuiskis. |
Quellenangaben / Bildnachweise / Links | |
Geoffrey Hosking Russland Nation und Imperium 1552 - 1917 Siedler Verlag Berlin 2000 S.91 |
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Lehrbuch für den Geschichtsunterricht Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin 1952 S.383 |
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Erich Donnert Alt-Russisches Kultur-Lexikon VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1985 |
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Lothar Rühl Aufstieg und Niedergang des Russischen Reiches Der Weg eines tausendjährigen Staates Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgar 1992 ISBN 3-421-06534-9 |
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Heiko Haumann Geschichte Russlands |
Piper München Zürich 1996 ISBN 3-492-03192-7 |
Friedrich Schiller Demetrius in: Friedrich Schiller, Werke in vier Bänden Band 4 Dramen und Unterhaltungsschriften Xenos Verlagsgesellschaft Hamburg 1986 |
Link dazu: Demetrius |
Weltgeschichte in zehn Bänden
Band 4 Redaktion: J.M.Shukow, M.M.Smirin u.a. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1964 S. 579 ff |
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Link zu : Iwan Issajewitsch Bolotnikow |
in Wikipedia |
Link zu: Chlopko |
google
Buchsuche Kirill V. Cistov, Dagmar Burkhart, Gesine Damijan Der gute Zar und das Ferne Land Russische sozial-utopische Volkslegenden des 17.-19. Jahrhunderts Waxmann Verlag 1998 ISBN 3893255567, 9783893255566 |
Link zu: Vasily Shuisky (Bojarenzar 1606 - 1610) |
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Notizen russische Bauernkriege / begonnen: 27.November 2007 / letzte Änderung: 29. Dezember 2016 / Hans H. Lorenz / WB-To III