Wenn die Babisten-Aufstände in Geschichtsbüchern überhaupt Erwähnung finden,
dann nur als religiöse Revolten von Sektenanhängern. Diese Geringschätzung ähnelt
jener, die den →
Sikhs-Aufständen
(1710-1715) in Indien entgegengebracht wird oder den →
Aufständischen der Taiping
(1841-1864) in China.
Das Persien der 1830er und 1840er Jahre zeigte sich geprägt von einem völlig desolatem
und korruptem Staatswesen, von einem erpresserischem Steuersystem, das sich anschickte, die Naturalsteuern
in eine Geldsteuern umzuwandeln, und von militärischen Niederlagen langwieriger Kriege mit dem Ausland.
Eine verlogene Priesterkaste diente dem Schah oder den örtlichen
Feudalherren und diese wiederum revoltierten fortlaufend gegen die Zentralgewalt.
Die Kadscharen-Dynastie, 1786 an Persiens Spitze des Staates gelangt, benutzte ein klassisches Steuersystem des Orients, das
bereits im Osmanischen Reich seine negativen Auswirkungen auf die Landesbewohner gezeigt hatte.
Die Machthaber versteigerten die Regierungsposten an Meistbietende. Diese wiederum versteigerten
ihrerseits die untergeordneten Stellen bis hin zum letzten Steuer- und Zollaufseher. Jeder Funktionsinhaber war
durch die zeitliche Begrenztheit seines Amtes gezwungen, soviel wie möglich an Summen aus der
Bevölkerung heraus zu pressen. Die Auswirkungen bekamen vor allem die Bauern zu spüren.
Unterschiede in der Produktivität der Landwirtschaft zwischen dem wasserreicheren Norden und dem
an Wassermangel leidenden Süden verschärften die Situation.
Mit Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts verschärfte sich die Lage der Bauern auf
besondere Art zusätzlich. Kaufleute und Grundbesitzer, die mit europäischen Ländern Handel trieben, fanden
zunehmend Interesse am massenhaften Anbau sehr spezieller Exportkulturen. Sie nutzten die
neuen Möglichkeiten, Boden zu erwerben und kauften
ehemalige Lehnsländereien als Privateigentum. Es entwickelte sich eine neue Schicht von Grundbesitzern, die
die Ausbeutung der Arbeit der Bauernschaft weiter voran trieb. Die Anwendung von Pachtzins führte zu
Abgaben in Höhen von zwei Drittel bis vier Fünftel des Ernteertrags.(L1)
Anders als in Indien 130 Jahre zuvor standen die neuen Kolonialherren nicht mehr wartend vor den Grenzen,
sondern sicherten sich nach militärischen Niederlagen Persiens mit Verträgen direkten Einfluß auf das Land.
Um 1800 mußten die Kadscharen Georgien an Rußland abtreten, 1813 Teile Armeniens und Aserbaidschans.
1801 schickten die Engländer den Vertreter der Ostindien-Kompanie John Malcolm vor, um militärische Bündnisse
abzuschließen und Handelsprivilegien zu sichern. Das Bündnis richtet sich auch gegen französische Ambitionen.
Kriege gegen Rußland und zahlreiche Aufstände örtlicher Feudalherren gegen die Zentralgewalt
ruinierten das Land. Neu hinzu kam der Zustrom englischer Waren und das Eindringen britischen Kapitals.
Ein schleichender Niedergang persischen Handwerks begann.
Vorerst verhinderte die besondere Rivalität zwischen den Mächten Rußland und
Großbritannien eine direkte Besetzung Persiens. (F1)
Hatte sich Persien bis dahin "als Zentrum der Welt und und als einer der sieben Erdteile erachtet" büßte es
mit dem
⇒ Frieden von Torkmanchei
1828 immer mehr an Souveränität ein.
Der Schah erkannte in Selbstironie, wann immer er in den Süden seines Landes
reisen wolle, protestiere der Botschafter des Zaren. Möchte er den Norden besuchen,
protestiert der englische Botschafter ebenso. Ausländer unterlagen für Straftaten nicht mehr der
persischen Gerichtsbarkeit. Der Armee fehlte moderne Ausrüstung, sie blieb altertümlicher Tradition verhaftet.
Unter den Bauern, die erfolgreiche Landwirtschaft mit den im Ausland gefragten Produkten (Opium und Baumwolle)
betrieben, wuchs dennoch die Unzufriedenheit. Ihre Abgaben überschritten jedes erträgliche Maß und mit
den Veränderungen der Bodenbesitzverhältnisse verloren sie ihre alten Rechte.
Schließlich herrschte in allen Schichten der Bevölkerung Unmut - die städtischen Bürger waren unzufrieden,
auch in der Geistlichkeit und im Militär breitete sich Mißbehagen gegen das Aufgeben jeglicher staatlichen Autorität
aus.
So kam es, das zwischen 1847 und 1852 zahlreiche "religiöse" Unruhen das Land erschütterten.
Die Aufstände der Babisten wurden vor allem von den unteren Volksschichten getragen, allerdings nicht allein von Bauern.
Der ungehemmte Zustrom englischer Waren und das Eindringen britischen Kapitals
in die Wirtschaft drückten die einheimische Produktion in den Städten nieder,
die Umwandlung der Naturalsteuer in die Geldsteuer ließ die Bauern verelenden.
Die soziale Differenzierung des Klerus spiegelte die Situation der Bevölkerung wider.
Die unteren Schichten der muslimischen Geistlichkeit, deren Lebensbedingungen sich kaum von denen der einfachen Leute
unterschieden, stellten sich in Opposition. Aus ihren Reihen traten die
Ideologen der neuen Aufstandsbewegung hervor. Sie sind historisch durchaus vergleichbar mit einem
⇒ Segareli um 1300 in Italien, einem
→ Jan Hus um 1410 in Böhmen,
einem
→ Thomas Müntzer
von 1525 in Deutschland oder dem
→ Singh Bahadur
1710 in Indien.
In Persien hieß 1844 der Held Sayyid Ali Muhammad.
Die religiöse Situation schien ähnlich geprägt wie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Europa.
Während dort die Apokalypse das Reich Gottes bringen würde für die Auserwählten, erwarteten hier in
Persien die Religionsgruppen des Islam (Ismailiten und Scheichiten u.a.) die bevorstehende Ankunft eines
neuen Messias. Die Schiiten insbesondere hofften darauf, das der Imam Mahdi, der ihrer
Überlieferung nach vor Tausend Jahren im Unsichtbaren verschwand, wiederkehren
oder wenigsten Zeichen geben würde, um die Welt zurück in eine Ordnung zu bringen,
die nicht durch Ungerechtigkeit gestört sei. Hinzu kamen Gerüchte und Wünsche, die
besagten, das es immer einen Menschen auf Erden gäbe, der mit dem unsichtbaren Imam in geheimen Kontakt stünde und
dessen Wille kenne.
Als diesen Mann gab sich am 23. Mai 1844 ein junger Geistlicher aus. Ali Muhammad
behauptete von sich, er sei dieser Auserwählte für die gegenwärtige
Zeit und führte von nun an den Namen Bab, das übersetzt etwa bedeutet: Pforte zum Wort Gottes.
Die Predigten, die der Bab hielt, sind den Inhalten der christlichen Revoltierer
von 1525 ebenbürtig. Der Bab rechnete mit den obersten muslimischen Pfaffen ab, hieß sie
käuflich und machtgierig und warf ihnen Untreue am Glauben vor. Während sie
Abgaben der Bauern zusammenrafften, hielten sie die Menschen für Sklaven. Aber die Geduld der
rechtgläubigen Untertanen sei erschöpft und die Zeit der Ankunft des Mahdi sei
gekommen. Mit ihm würde das Reich der Gerechtigkeit errichtet werden, in dem es keine
Willkür und Gewalt mehr geben würde. Männer und Frauen seien gleich.
Radikalere religiöse Mitstreiter forderten Ungehorsam gegen die Obrigkeit und Verweigerung der
Steuer- und Abgabenzahlungen. Es gäbe gegenüber den bisherigen Herren keine Verpflichtungen mehr!
Alle, die bisher groß und bedeutend schienen, würden erniedrigt und alle, die niedrig waren, würden erhöht werden.
Wer privates Eigentum besitze, nehme anderen Menschen die Möglichkeit, es nutzbringend
anzuwenden. Daher werde es kein privates Eigentum mehr in der Welt geben.
Bereits 1847 wurde der Bab verhaftet und in der Festung Maku gefangen gehalten.
In der Gefangenschaft schrieb er eine neue religiöse Vorschrift Bejan, der er größere Bedeutung als dem Koran zuschrieb.
Vielleicht waren es die Haftbedingungen, die ihn erklären ließen er selbst sei der erwartete Imam Mahdi.
Jedenfalls brachte der Kerker dem Bab unerwartet breiteste Sympathien im Volk, und in
mehreren Provinzen bewaffneten sich die Bauern. Die Truppen des Schah Nasir ad Din schlugen diese Erhebungen blutig nieder.
Sayyid Ali Muhammad kam vor Gericht, die Anklage gestaltete sich ziemlich einfach:
seine Verkündung, ein Werk gleichsam dem Koran zu schreiben, klang schon
ketzerisch genug! Sich selbst auch noch als Prophet auszugeben, der die ewige
Wahrheit verkündet, war tödlich. Am 9. Juli 1850 richteten die Häscher in Täbris den Bab hin.(F2)
Aufstandsgebiete in Persien 1850
Insbesondere die Kämpfe um die Festung Scheich-Tabersi (auch ⇒
Sheikh Tabersi )
brachte den Babisten den Ruf
von entschlossenen und mutigen Kämpfern. Schlecht bewaffnet widerstanden bis zum Frühjahr 1849 wenige
Verteidiger den 10 000 Mann der Regierungstruppen.
Die feierlichen Versprechungen, sich ergebenden Aufständischen die Freiheit zu gewähren, brachen die Herrscher
ohne Skrupel. Alle Gefangenen brachte man um, Die Anführer wurden nach grausamen Folterungen öffentlich
hingerichtet. (F3)
Doch der Tod des Bab, statt die Lage zu beruhigen, fachte nur neue Erhebungen an.
Erst im Dezember 1850 konnte die Regierung, mit nunmehr 30 000 Soldaten in die Stadt
Sendschan eindringen. Wie in Scheich-Tabersi brachte man auch hier die Babisten, die
sich auf Gnade ergeben hatten, grausam um.
Von einem definitiven Bauernaufstand weiß die Geschichte in Niris. Anfangs hatten
die Regierungstruppen die Festung der Babisten nach harten Kämpfen erstürmt und alle
Verteidiger getötet. Für die mit den Babisten sympathiesierenden Landbewohnern wirkte es wie ein
letztes Signal für eine unweigerliche Erhebung. Erneut begannen
heftige hartnäckiger Kämpfe. Spontan und schlecht organisiert,
ein deutliches Charakteristikum von Bauernrevolten, wurde auch diese
Erhebung niedergeschlagen. Fast wie im Aufstand des ⇒ Dolcino in Italien
(1304 bis 1307) zwang die militärische Übermacht der Herrschenden die Bauern zur
Flucht in die Berge. Von dort aus führten sie noch einen langen Partisanenkampf gegen die
Truppen des Schahs. Nach ihrer letzten Niederlage wurden die Gefangenen verbrannt oder
erschossen, ihre Hauptleute nach schlimmen Foltern öffentlich hingerichtet.
Dieser Aufstand in Niris blieb offenbar der letzte große Kampf der Babisten, obwohl noch
bis 1852 immer wieder erneute Gefechte aufflammten.
Von den Verfolgern gejagte Anführer der Bewegung verübten noch im August 1852 ein Attentat auf den Schah,
welcher dabei leicht verletzt wurde. Dieser Versuch einer Abrechnung erreichte jedoch das Gegenteil seiner vermutlichen Absicht.
Die Attentäter konnten verhaftet werden und wurden nach grauenhaften Folterungen hingerichtet.
Das Attentat selbst wurde zum Anlaß genommen, eine Massenverfolgung ohne Beispiel einzuleiten.
Wer auch nur in Verdacht geriet, ein Sympathiesant zu sein, mußte sterben.
Während dieser Todesorgie des Mobs tötete man die Dichterin Kurrat-ul-ain. Der Schah
zwang seine Untergebenen, selbst an den Massakern teilzunehmen, weil er die Verantwortung
der Massentötungen auf sie abzuwälzen hoffte. Dieses Vorgehen läßt durchaus die
Vermutung zu, das der Anschlag nicht allein den Babisten zuzuschreiben war. Andere Vermutungen richten
sich auf einen nicht zurechnungsfähigen Einzeltäter.
Nach Niederschlagung der Aufstände sank Persien in den Rang einer Kolonie herab, um die
sich die Großmächte Rußland und England permanent stritten. Die Bemühungen
des Armeeführers und Großwesirs Mirza Chan Amir Khabir um Reformen, der zuvor mit unglaublicher Brutalität die
Aufständischen niederwerfen ließ, scheiterten an den Interessen der ausländischen Kapitalgeber und deren
willfährigen feudalen Hilfskräften. Seine Versuche um eine Reorganisation der Armee und der Verwaltung
endeten mit seiner Hinrichtung im Jahr 1852. Nachfolger wurde ein Mann, der insgeheim die britische Staatsbürgerschaft besaß.
Alte und neue feudale Großgrundbesitzer, die fast allen Boden in ihren
Besitz gebracht hatten, forcierten den Anbau weniger Kulturen, die von den Kolonialmächten
gefordert wurden: Baumwolle und Mohn. Dieser Mohn diente ausschließlich der
massenhaften Rauschgiftproduktion an Opium, das eine besondere Rolle in den
folgenden nach ihm benannten Kriegen um eine Kolonialherrschaft in China spielte.
Aber auch dort erhoben sich schließlich Bauern, die tapfer ihre Würde verteidigten.
Ihr Aufstand ging als → Taipingtianguo in die Geschichte ein.
Fußnoten
(F1) Die militärische Besetzung Persiens erfolgte 1909 durch Truppen beider europäischer Staaten.
(F2) Für außen stehende Atheisten muß diese Auslegungen des Bab wie ein Versuch erscheinen, die Religion des Islam zu reformieren.
Das dieser Versuch scheiterte, konnte durchaus im Interesse der neuen kolonialen Mächte gelegen haben. Ein schwacher
Herrscher in Persien sollte jedoch so stark bleiben, das er den Wünschen der europäischen Mächte entsprechen konnte.
(F3) Auch diese Phase des Kampfes ist beispielhaft vergleichbar mit den Racheaktionen der siegenden Feudalherren
im deutschen Bauernkrieg 1525 bis 1526.
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