Johann Georg August WirthAnwalt, Demokrat und Organisator des Hambacher Festes 1832Notizen zur Lage der deutschen Bauern im Vormärz |
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Kleine Werke-Auswahl ♦ Quellen und Literatur ♦ Repristinationsdilemma in den modernen Medien | |
Es ist nicht sonderlich gerecht, jenen aufrührerischen Kleinbürgern eine historische Bedeutung abzusprechen,
die weit vor 1848 versuchten, aus den vielen deutschen Partikularstaaten eine einheitliche deutsche
Republik zusammen zu bringen. Es ist eher peinlich, wenn moderne Historiker deren Fehler
und Irrtümer aufzählen, ohne auch nur im Geringsten die Bedeutung der ersten demokratischen Gehversuche von
republikanisch gesinnten Bürgern zu würdigen, die noch unter Fürstenwillkür zu leiden hatten. In jedem Fall brachten die
Vormärzaktivisten mehr Mut und eigenständiges Denken auf als jene Schreiber, die politische Korrektheit mit klarem Verstand verwechseln.
Einer von den damals beherzten Kämpfern, der mit geradezu demokratischer Naivität selbst schlimmste
Haftstrafen auf sich nahm, nur um die Rechtmäßigkeit seiner politischen Gesinnung zu beweisen, war
Johann Georg August Wirth. Aus dem Gefängnis heraus schrieb der aufrechte Demokrat:
Aber ist darum die Idee des Jahrhunderts verloren, weil ihre Gegner siegreich über ihr stehen, weil die Mehrzahl ihrer Anhänger trostlos verzagt? Welcher Kenner der Geschichte wollte dies glauben? Laßt sie immer schlummern und ruhen im Schoße der Zeit; sie wird still fortwirken, wachsen und treiben, und wieder erscheinen, wenn ihre Stunde gekommen ist. Das eigentlich Bedeutsame an der politischen Tätigkeit Wirths ist sein unbeirrbarer Kampf um die Pressefreiheit, um die Schaffung einer wahren Volkszeitung und sein theoretisches und praktisches Ringen für die Entstehung einer liberalen (klein-)bürgerlichen Partei, deren politisches Ziel an erster Stelle die deutsche nationale Einheit nannte. Wie wir heute wissen, hieß ein grundsätzliches Ziel der europäischen Großmächte nach dem Sieg über Napoleon die politische Landkarte Deutschlands so buntscheckig wie möglich zu erhalten. Die deutsche Bevölkerung hatte nach erfolgreichem Befreiungskampf ihre Ideale zu begraben und sollte der unverantwortlichen Politikasterei ihrer Kleinfürsten tatenlos zuschauen. Selbst ein Goethe zeigte sich 1826 pessimistisch, als er gegenüber Eckermann gestand, das die ganze jetzige Zeit eine rückschreitende ist. Und dennoch fanden sich Demokraten wie eben August Wirth, die ihr politisches Wirken den ´´kleinen´´ Leuten und insbesondere den Bauern widmeten. Wirth, lange Jahre als Jurist in Bayreuth tätig, war kein Anwalt der Bauern, aber er lernte durch sein Wirken in der Behörde die Sorgen und Nöte der Bauern kennen. Beispielgebend ist seine ausdauernde Behandlung des Falls der Bayreuther Landleute, an die eine Zahlung von 30.000 Gulden für Lebensmittellieferungen aus dem Kriegsjahr 1806 offen blieb, eine nicht unübliche Vorgehensweise gegenüber den Produzenten von Versorgungsgütern in Kriegszeiten. Es fand sich keiner, der den Bauern das zurückzahlen wollte, was ihnen im Krieg genommen worden war. Wirth erreichte nach achtzehn Jahren und bis hin in den Frankfurter Bundestag hinein wirkend, das diese Schulden doch noch bezahlt werden mußten! Die moderne Geschichtsschreibung behandelt die Jahre nach den Befreiungskriegen recht einseitig und widmet sich dafür intensiv der Industriealisierung, die in Wahrheit jedoch erst später einsetzte. Die oft unterschlagene Verzögerung der wirtschaftlichen Entwicklung hatte nicht nur mit den Zerstörungen aus den Napoleonischen Kriegen und der bis zur Befreiung wirkenden Kontinentalsperre zu tun. Die weiter fortgeschrittene Industrie Englands überschüttete nach 1815 den für sie frei gewordenen Markt der deutschen Kleinstaaten derart mit Waren, so das immerhin die Wirtschaftskrise von 1816/1817 und in deren Folge die erste Auswanderungswelle der Kleinbauern aus dem Südwesten Deutschlands historisch erwähnt werden müssen. Die von ihrem Boden befreiten Bauern flohen vor dem Verhungern nach Amerika. Während sich die deutsche Wirtschaft durch den staatlichen Partikularismus der fürstlicher Hoheiten nicht durch Zollerhebungen gegen die ausländische Warenflut wehren konnte, besaß die englische Ökonomik unglaubliches Hinterland. Zu den bisherigen Kolonien Kanada, Australien und Indien kamen die okkupierten niederländischen Besitzungen Südafrika, Malaka mit Singapur und die ehemaligen französischen Kolonien Mauritius, Seyschellen und Malediven hinzu. Mit Helgoland und Malta erhielt es strategische Positionen in Nordsee und Mittelmeer. Nicht zu vergessen der gewachsene Einfluß des britischen Empire in Lateinamerika. Gegen diese Weltmarktpositionen wirkt ein Vergleich mit deutscher Kleinstaaterei lächerlich - weniger lächerlich ist dagegen die unbegrenzte Habgier der deutschen Landesfürstlichkeiten, die durch Steuererhebungen, in Reformen verpackte Rechtsbrüche und Bodenumverteilungen zu ihren Gunsten die eigenen Untertanen auspreßten. Während der Hungerjahre 1816/1817 liessen sie sogar Getreide nach England exportieren. Das dabei ein Neureichtum entstand, insbesondere im Finanzwesen, das längst international (global) agierte, hat mit den politischen Umbrüchen nach der Französischen Revolution und ihrem Einfluß auf Mitteleuropa zu tun. Doch selbst diese Neureichen fühlten sich in den dreißiger Jahren durch die fürstliche Staatsführung schließlich eingeengt und behindert. Wirth, der wie alle Kleinbürger erst einmal an das Gute von Regierungen glaubte, dachte mit seinen Petitionen und Denkschriften auf die hoffnungslose Lage aufmerksam zu machen und so Verbesserungen zu erreichen. Er beklagte, das Rechtsstreitigkeiten durch die Justiz über lange Jahre verzögert wurden, das dadurch das ohnehin schon existierende wirtschaftliche Elend verstärkt werde und das viele kleine Geschäftsleute daran bankrott gingen. Es könne sich kein wirtschaftlicher Aufschwung ergeben, weil eine gewisse Rechtsunsicherheit herrsche und weil das Volk garnicht sein Recht in Anspruch nehmen könne. Es ist nicht dazu in der Lage, die Rechtssprechung zu bezahlen. Er kennt Bauernschiksale, die besagen, das sie ihre letzte Habe verkaufen mußten, nur um anschließend Recht gesprochen zu bekommen, das ihnen jedoch nichts mehr wird nützen können, da sie ruiniert sind. Mit Bitterkeit mußte er feststellen, das es sich nicht um einzelne Ausnahmen handelte und er hoffte auf Reformen durch die Regierungen. Vorerst warnte er jedoch die Bauern vor teuren Rechtswegen und Prozeßverschleppungen. Eine Vielzahl von unübersichtlichen Gerichtsgebühren, Tagfahrgelder und real zu befürchtenden Rechtsbrüche brachten die Landleute zusätzlich in die Gefahr des Ruins. Gleichzeitig erkannte Wirth zunehmend seine Ohnmacht, den Menschen als juristischer Anwalt dienen zu können. Die Lage der Bauern war prekär. Aber nicht nur deren Situation. Auch die allerersten Aufschwünge brachen wieder ein. Während Hüttenwerke, Stabhämmer, erste Hochöfen, Alaunwerke, Eisengruben und Webereinen stillgelegt wurden, machte sich Kriminalität breit. Die Polizei bot den Bürgern keinen Schutz, aber dafür Willkür, Spitzeltum, Schikanen und Ausweisungen. Jedes freie Wort wurde abgelauscht und verklagt. Dafür pries man den Menschen im wachsenden Ausmaß Glücks- und Lotteriespiele an. Die Bürger belasteten Steuern, Zölle, Taxen und Mieten. Die Bevölkerung bedrückten Abgaben und Akzisen auf Brot, Fleisch, Bier und anderen Lebensmitteln. Es waren Mahlsteuern zu zahlen und Steuern für das Schlachten. Unerträglich wurden immer neue Brücken-, Chaussee- und Wachgelder. Die Pracht der Fürsten und der Neurreichen demoralisierte zunehmend die Bevölkerung. Wer sich damit nicht zufrieden gab, ging ins Ausland oder revoltierte. Die Justizanstalten füllten sich nicht nur mit Steuerschuldnern. In Gefangenschaft gingen vorzugsweise aufmüpfige Burschenschaftler, randalierende Handwerker und pöbelnde Bauern. Denunziation und politische Verfolgung erzwingen von vielen den Rückzug in das Privatleben, die Historie verschleiert das gern durch Beschreibungen wie die Goldenen Jahre der Biedermeierzeit". Nur solche Kerle wie Wirth konnten sich damit nicht abfinden. Die Julirevolution von 1830 in Frankreich gab auch ein Signal für den Ausbruch der Unzufriedenheit in den deutschen Landen. Eine zweite Welle des Widerstandes der fortschrittlichen bürgerlichen Bewegung setzte ein. Auch der Jurist Wirth änderte sein privates Lebensprogramm: von nun an würde er als politischer Publizist um die demokratischen Grundrechte und um eine freie Volkspresse kämpfen. Sein Schiksal dabei wird Höhen und Tiefen bestimmen, auch politische Irrtümer und wissenschaftliche Fehlschläge, aber ein Bidermeiertum wird man ihm nicht nachsagen können. Im Gegenteil, protestantische Prediger und Zeitgenossen zogen Traditionslinien von Luther und dem Bauernkrieg zu Wirth und seinem Kampf um eine freie Volkspresse, ein Vergleich, der heute vielleicht ein wenig zu hoch gegriffen erscheint, aber die damalige Situation kennzeichnete. Wirths erster großer politischer Erfolg war das Hambacher Fest. Im Jahr 1832 demonstrierten mit den 30.000 Kleinbürgern, Handwerkern und Studenten auch Bauern auf das Homburger Schloß. Die Dürkheimer Winzer trugen ein schwarzes Transparent mit weißer Schrift: "Die Weinbauern müssen trauern". Winzernot, Hungerjahre, Mißernten, Zwangsversteigerungen, Teuerungen und durch bittere Not erzwungene Massenauswanderung waren ihnen nur zu gut bekannt. Von da an sind noch sechzehn Jahre bis zu den Revolutionen in den europäischen Hauptstädten zu zählen... |
Werke von J.G. August Wirth | ||
Aus Haft und Exil : Briefe d. Publizisten u. Vormärzpolitikers aus d. Jahren 1833 bis 1837 / Johann Georg August Wirth | Deutsche Nationalbibliothek | |
J.G. August Wirth Walderode, eine historische Novelle aus der neueren Zeit Emmishofen 1845 |
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J.G. August Wirth Deutschlands Pflichten Aufruf vom 3.Februar 1832 |
veröffentlicht in der "Deutschen Tribüne" und in 50.000 sonderdrucken | |
J.G. August Wirth An die Volksfreunde in Deutschland 21.April 1832 |
Aufruf Wirths politisches Programm |
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Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach Hambacher Fest 1832 - Neustadt an d. Weinstrasse : Meininger, 1981, Nachdr. d. Orig.-Ausg. Neustadt a/H., Christmann, 1832 |
Deutsche Nationalbibliothek | |
Die Rechte des deutschen Volkes Wirth, Johann Georg August. - Potsdam : Verl. für Berlin-Brandenburg, 1998, 1. Aufl., [Nachdr. der Ausg.] Nancy 1833 / mit einer Einf. von Michail Krausnick |
Deutsche Nationalbibliothek |
Literatur und Quellen | Hinweise / Bemerkungen | |
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Eberhard Weis Weltbild Geschichte Europas Bd.4 Der Durchbruch des Bürgertums 1776 - 1847 Propyläen Verlag Berlin 1998 S.393-395 |
ISBN 3-8289-0786-5 |
Hrg.: K.Obermann, H.Scheel, H.Stoecker, B.Töpfer, G.Zschäbitz Biographisches Lexikon zur Deutschen Geschichte VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1967 S. 507 - 508 |
1.Auflage | |
Deutsche Geschichte in drei Bänden Band 2 von 1789 bis 1917 VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1965 S. 169 ff |
3.Kapitel: Die zweite Welle der fortschrittlichen bürgerlichen Bewegung in den Dreissiger Jahren | |
Helmut Bock Nationalfest bei Hambach Deutsche Republik und europäischer Völkerbund |
in: Unzeit des Biedermeiers Historische Miniaturen zum Deutschen Vormärz 1830 bis 1848 Urania-Verlag Leipzig Jena Berlin 1985 S. 81 ff |
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R.Rürupp, H.U.Wehler, G.Schulz Deutsche Geschichte Band 3 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1985 S. 116 ff |
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Grosser Atlas zur Deutschen Geschichte Isis Verlag Chur / Schweiz 1994 S.124-129 |
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Golo Mann Politische Entwicklung Europas und Amerikas 1815 - 1871 |
in: Propyläen Weltgeschichte Eine Universalgeschichte herausgegeben von Golo Mann Achter Band Propyläen Verlag Berlin - Frankfurt am Main 1960 bis 1964 S. 387 ff |
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Weltgeschichte in zehn Bänden Band 6 VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1969 |
S. 156 ff: Deutschland und Östereich von 1815 bis 1830 und S. 217 ff: Kapitalismus und Arbeiterbewegung in Westeuropa in den 20er und 40er Jahren des 19.Jahrhunderts |
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Goethes Gespräche mit Eckermann Aufbau-Verlag Berlin 1955 S. 224 |
Aufzeichnung von Eckermann am 29. Januar 1826 | |
Verweise Web-Seiten | ||
175 Jahre Hambacher Fest Eine neue Ausstellung auf dem Hambacher Schloss |
Demokratiegeschichte | |
Die Vormärz-Sammlung der Siebenpfeiffer-Stiftung | hier | |
"Freiheit, Einheit und Europa" Rede von Bundesminister Steinmeier zum Festbankett der Siebenpfeiffer-Stiftung am 27. Januar 2008 in Homburg |
aus dem Internet www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Infoservice/Presse/Reden/2008/080127-SteinmeierHambacherFest.html am 30.6.2008 | |
175 Jahre Hambacher Fest | Internet www.burschenschaft.de/175-Jahre-Hambacher-Fest/ der Deutschen Burschenschaft |
Als politischer Publizist sah August Wirth das Problem heutiger Privat-Medien voraus: seiner Ansicht nach sollte Presse sich niemals in Privatbesitz befinden. Proftgier und Selbstsucht könnten sich so über das allgemeine Interesse stellen. Vielleicht hätte August Wirth das Dilemma gegenwärtiger Medien so beschrieben:
www.bauernkriege.de | globale Zeittafel | Bauernrevolten in Europa | Reformen und Pauperismus | Demagogenverfolgung | Hambacher Fest | Wilhelm Zimmermann |