Die Bauernrevolte in Nassau 1848



Im Unterschied zu vielen Ereignisse von 1848 charakterisierte die Revolte im Herzogtum Nassau eine ausgeprägt bäuerliche Massenbeteiligung.
Vertreter der liberale Intelligenz mit dem Advokaten August Hergenhahn an der Spitze begannen eine Volksversammlung zu organisieren, die die politischen Forderungen jener Tage zum Ausdruck bringen sollte. Reitende Boten verbreiteten Aufrufe in den umliegenden Dörfern und Gemeinden.
Die Resonanz übertraf jedoch alle Erwartungen (1). Mit einer derart starken Beteiligung der Bauernschaft hatte man nicht gerechnet. Und so kam es zu einer der ersten großen Massenaktionen in Deutschland innerhalb des Frühjahrs von 1848.

Am 4.März versammelten sich etwa 30.000 Bauern in Wiesbaden und hatten die Stadt defacto unter ihrer Kontrolle (2). Teilweise bewaffnet und mit Lebensmittelvorräten versehen, belagerten sie Behörden und das Schloß. Sie bildeten damit den Rückhalt für die Forderungen der bürgerlichen Liberalen und der knapp fünftausend zählenden Proletarierschaft der Stadt.
Als sich das Gerücht verbreitete, der Fürst käme mit fremden Militär, um die Aufruhr niederzuschlagen, wurden nassauische Fahnen zerrissen und der Schloßbesatzung mit Brandstiftung gedroht: "Schwefelt die Dachse aus !", "Kein Fürst, kein Graf, kein Edelmann soll mehr existieren!" soll die Menge skandiert haben.

Die bürgerlichen Anführer der Bewegung hörten diese Losungen und die Forderungen der Bauern nur sehr ungern. Die Bauern dagegen wollten die herrschaftlichen Domänen aufgeteilt sehen. Die Wälder sollten wieder öffentliches Eigentum sein! Die Landbevölkerung hoffte insbesondere auf eine Befreiung von allen Pacht-und Zinslasten!
Tatsächlich zwangen die Massen den Herzog Adolf dazu, eine Bewilligung aller Forderungen zu verkünden! Der Advokat Hergenhahn trat an die Spitze eines sogen. "Märzministeriums". Solche Einrichtungen entstanden auch in Bayern, in Baden und in Württemberg, in Sachsen und in Hannover. (3) Die hessischen Bauern konnten ihre zeitweilig gewonnenen Einflußmöglichkeiten nutzen, um die ungerechte Gemeindeverfassung abzuschaffen. Die von der alten Regierung eingesetzten Schultheiße wurden abgesetzt, unbeliebte Förster davongejagt und die Jagdfreiheit neu verkündet. Außerdem stellte man die Steuer- und Pachtzahlungen vorläufig ein.
Eigene Sicherheitsausschüsse in den Dörfern und Gemeinden überwachten die Einhaltung der errungenen Freiheiten(4).

Ein Flugblatt vom 4.April 1848 ist heute, in der Zeit des grassierenden Neoliberalismus, besonders interessant.
Hier erscheinen in beachtlicher Weise die Forderungen liberalen Bürgertums, die der Arbeiter und die der Bauern als gemeinsamer Katalog!
Nicht zu übersehen ist die Vorstellung, "Mißverständnisse zwischen Kapital und Arbeit" (5) überwinden zu können. Noch ist von Hebung der Industrie und des Ackerbaus die Rede! Kein Wort vom "notwendigen Abbau der Arbeitsplätze" oder vom "Export der Produktionskapazitäten". 1848 waren Kapitalisten tatsächlich noch liberal!
Die Aufgabenstellung eines neu zu schaffenden "Arbeitsministeriums" formuliert auch das Ziel des neuen Staates, der neuen Republik: Wirtschaftswachstum.



Flugblatt über "Die wichtigsten Fragen der Gegenwart"
vom "Comité der Republikanischen Gesellschaft" in Wiesbaden veröffentlicht


Hierin wird gefordert:

- die Abschaffung mancher drückenden Abgaben, als: der Binnenzölle, der Schifffahrtsabgaben, Zehnten, Gilten, Chausseegelder, Gewerbesteuer, Akzisen und Erbleien, wofür dann eine verhältnismäßige Einkommens- und Vermögenssteuer in der Art eingeführt wird, dass das zum Leben unumgänglich nöthige Einkommen unbesteuert bleibt;

- die Abschaffung der Adelsvorrechte,
- eine allgemeine unentgeltliche Schulbildung und Besserstellung der Lehrer durch angemessene Gehalte;
- die Aufhebung aller klösterlichen Einrichtungen,
- eine Glaubens- und unbedingte Pressefreiheit;
- ein öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren, unentgeltliche Gerechtigkeitspflege und Aufhebung aller Stempel;
- die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinden;

Gefordert wird die Abhilfe des Notstandes der arbeitenden Klassen; die Beseitigung des Missverständnisses zwischen Kapital und Arbeit durch ein Arbeitsministerium, in welcher jeder tüchtige Arbeiter gewählt werden kann;
und eine Hebung der Industrie, des Handels und des Ackerbaues durch geeignete Mittel.

Die Republik will weder eine Auflösung der Ordnung noch des Rechts. Sie duldet weder eine Verletzung des Eigentums noch der Person und erklärt jeden Dieb für ehrlos, woraus deutlich hervorgeht, dass der von den Feinden des Volkes gemachte Vorwurf, als wolle die Republik Auflösung aller Gesetze, in Nichts zusammenfällt. Sie will im Gegenteil das Volk vollkommen glücklich machen, so glücklich, als wir sterbliche Menschen es werden können. Weil aber die Republik das ganze deutsche Volk glücklich machen wird, und ihr an dem Glück von 50 Millionen Menschen mehr gelegen ist, als an dem scheinbaren Wohlbehagen von 33 einzelnen Fürstenfamilien, darum hassen die Fürsten und die Fürstendiener, welche aus der Tasche der Fürsten sich mit den Abgaben des Volkes sättigen, die gute Republik, weil mit derselben ihre Herrschaft zu Ende ist."




Quellen und Hinweise
(1) Rieder,H.: Die Völker läuten Sturm - Die europäische Revolution 1848/49
Casimir Katz Verlag
Gernsbach 1997
S.53, S. 72, S.123
(2) Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution 1848/49
Dietz Verlag Berlin 1988
Seite: 67 ff, S. 182
(3) Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands
und der deutschen Arbeiterbewegung
Dietz Verlag Berlin 1970
Band 2 , S.83 f.
(4) Deutsche Geschichte in zwölf Bänden
Zentralinstitut f.Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR
VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften
Berlin 1984
S.287
(5) Riehl, W. H.: Nassauische Chronik des Jahres 1848.
Mit einem Nachwort und einer Dokumentenbeilage von W. Schüler und G. Müller-Schellenberg, Idstein 1979.
Mehr zu den Ereignissen von 1848 in Wiesbaden
weiterführender Link-Verweis:
Auszüge aus "Die Chronik Hessens"
Herausgeber Eckhart G. Franz,
Chronik Verlag, Dortmund 1991
Internet
am 26.9.2007

Druckversion (alt: vom 28.01.2007 - wird demnächst erneuert)







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Notizen zum Thema Nassauer Bauernrevolte / 30.01.2007 /26.September 2007/ 06.05.2009 Hans Holger Lorenz / E-Mail: HLorenz500@aol.com / (I)