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Der Aufstand des "Jacques Bonhomme" 1358
Jacquerie, der größte französische Bauernaufstand der Feudalzeit
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Foto: Doris Lorenz |
1. Tabelle der Ereignisse
1340 |
Seeschlacht bei Sluys |
Vernichtung der mit hohen Kosten errichteten französischen Flotte durch die Engländer. |
März 1342 |
Die Einführung einer Salzsteuer führt zu Straßenschlachten in Paris. |
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August 1346 |
Ein französische Ritterheer wird bei Crecy vollständig besiegt. |
Eine moderne Waffe, der Langbogen, erweist sich dem gepanzerten Ritter überlegen!
Diese Art Volkswaffe ist in Frankreich aber verboten. |
1348 |
Ein Drittel der Bevölkerung von Paris rafft die Pest hinweg. |
Man nimmt an, das bis zum Regierungsantritt Johanns II. die Hälfte der französischen Bevölkerung Opfer der
Schwarzen Pest geworden ist. In Frankreich kursiert das Gerücht, das Juden die Brunnen und Qellen vergiften und
damit die Pest verbreiten. |
September 1356 |
In der Schlacht von Maupertuis (bei Poitiers) werden die französische Ritter wiederholt vernichtend geschlagen.
König Johann II. gerät in (die erste) englische Gefangenschaft (bis 25.10.1360). |
Der Südwesten Frankreichs befindet sich in der Hand des Schwarzen Prinzen. |
Oktober 1356 |
Der Dauphin Karl ruft die Versammlung der Generalstände (Vertreter des Adels, des Klerus und der Städte) ein.
Bischof Lecoq übernimmt eine Führungsrolle bei den aufrührerischen Reden. |
Die Adligen, die das königliche Heer stellen, werden für die Niederlagen verantwortlich gemacht.
Man unterstellt ihnen fehlenden Kampfeswillen. |
Februar1357 |
Die Generalstände treten erneut zusammen.
Die Verfassungskriese spitzt sich zu. |
Die militärischen Niederlagen verursachen heftige Opposition des Pariser Stadtbürgertums.
An die Bewilligung des Lösegeldes werden politische Forderungen geknüpft. Die Pariser
Bevölkerung unterstützt unter Führung Etienne Marcels die Bestrebungen um die Mitverwaltung des Landes. |
März 1357 |
Der Dauphin macht erste Zugeständnisse mit dem "Großen Erlaß": |
"Die Große Ordonanz" vom 3.3.1357:
- Versammlungsfreiheit für die Generalstände,
- Entlassung von Mitgliedern des königlichen Rates,
- Konfiskation ihrer Güter,
- Vertreter der Generalstände im Kronrat,
- Reorganisation des Rechtswesens,
- gleiche Besteuerung aller Stände,
- Kontrolle der Steuerverwaltung,
- Reorganisation des königlichen Rechnungshofes,
- Zustimmung der Stände zu Münzänderungen
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April 1357 |
König Johann wird nach London gebracht. |
Er läßt den Parisern erklären, das er nicht durch Kampf befreit werden kann,
sondern nur durch einen "Friedensvertrag".
Genau genommen entspricht das dem Entgegenkommen für eine Lösegeldforderung König Eduards. |
Juli 1357 |
Ab Juli herrschen in Paris bürgerkriegsartige Zustände. |
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Januar 1358 |
Ein Vertrag zu London beschließt die Abtretung von einem Drittel Territorium des Französischen
Königreiches an England und die Zahlung von 4 Millionen ecus (ca. 5 Mllionen fl.).
Der Dauphin stimmt den englischen Auflagen zu, gerät aber durch den Aufstand Marcels in Schwierigkeiten. |
Zu diesen Gebieten zählen :
Herzogtum Guyenne,
Poitou,
Limousin,
Calais,
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Februar 1358 |
Marcel läßt die Marschälle der Champagne und der Normandie vor den Augen des Dauphins töten.
Die Lösegeldeintreiber kommen fast ohne Geld nach London zurück. |
Die Krone macht Zugeständnisse an das Volk von Paris. |
März 1358 |
Marcel ruft den Dauphin zum Regenten von Frankreich aus. |
Aber der Königsohn verläßt hastig seine Hauptstadt
und eröffnet den Kampf gegen Marcel und gegen die Generalstände. |
24.März 1358 |
Zweiter Vertrag von London.
Frankreich soll vom direkten Zugang zum Atlantik abgeschnitten werden. |
Zu den bisherigen Abtretungen französischen Gebiets an England kommen noch folgende hinzu :
gesamtes Gebiet nördlich der Loire
Küste zwischen Somme und Calais |
Mai 1358 |
Marcel beabsichtigt nun Karl II. von Navarra in die Stadt zu lassen, der gegen den Dauphin kämpft und die
umliegenden Dörfer von Paris plündern läßt.
Der Dauphin belagert Paris.
Am 21.Mai explodiert in Compiegne und Umgebung der Bauernaufstand gegen die Grundherren. Einer der vielen
Gründe ist der fehlende Schutz vor englischen Plünderern durch die eigenen Herren!
Er erfaßt den Nordosten Frankreichs. Seine Härte und Schnelligkeit in der Ausbreitung überrascht eigenartiger Weise
die adligen und bürgerlichen Zeitgenossen!
Marcel sucht die Unterstützung der Bauern und nimmt Kontakt zu den ebenfalls revoltierenden flanderischen Städten auf.
Der Adel scharrt sich im Gegenzug um den König von Navarra gegen das Landvolk während der Dauphin Karl in
Paris gegen Marcel konspirieren läßt.
Die adlige Armee sammelt sich in der Normandie und besteht aus französischen Grundherren, englischen Soldaten und
flanderischen und deutschen Söldnern! |
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9.Juni 1358 |
Die Pariser werden bei Meaux besiegt durch Truppen der Grafen von Foix und
de Grailly. Der Bürgermeister der Stadt Meaux, Jean Soulas wurde gehängt und die Stadt
zwei Wochen lang den Flammen ausgesetzt. |
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10.Juni 1358 |
Das Gefecht bei Mello (engl.)
Die fast 5000 Bauern, verstärkt durch Einheiten des Pariser Bürgermeisters Marcel, waren zwar
schlecht bewaffnet und militärisch ungeschult, standen aber in guter Position und zweifacher
Überlegenheit einer Einheit englischer Söldner ,geführt von französischen Adligen
gegenüber.
Nur durch eine unglaubliche Ehrlosigkeit kamen die Aufständischen um den Sieg.
Der König von Navarra lockte den Anführer der
Bauernhaufen, Guillaume Cale zu Verhandlungen über einen Vertrag ein und gewährte Unverletzlichkeit
der Parlamentäre. Im guten Glauben an die Ritterlichkeit seiner
Gegner ließ sich Guillaume gefangen nehmen und wurde sofort in Eisen gefesselt.
Die führungslosen Bauern, denen friedlicher Abmarsch versprochen wurde, konnten nun vernichtend geschlagen werden.
Guillaume Calle wurde nach grausamer Folter enthauptet und anschließend die Gefangenen massakriert. |
In der Folgezeit werden ganze Landstriche verheert, Ernten vernichtet, und unschuldige Bewohner
zu Tausenden von rachsüchtigen Edelleuten ausgerottet. |
31.Juli 1358 |
Jean Maillart, ein ehemaliger Genosse Marcels, erschlägt den Bürgermeister bei einem vom Dauphin
angezettelten Volksauflauf in Paris mit der Streitaxt.
Daraufhin unterwirft sich die Stadt dem Thronfolger. |
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August 1358 |
Der Dauphin zieht in Paris ein. |
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8.Mai 1360 und 24.Oktober 1360 |
Vertrag in Bretigny zwischen Frankreich und England.
Ratifikation dieses Vertrages in Calais. |
Die Lösegeldforderung für die Freilassung König Johanns beträgt 3 ooo ooo ecus (drei Millionen Goldsterling).
Der Südwesten Frankreichs gehört England. |
Dezember 1360 |
Das Versprechen des Königs, die Steuern zurückzunehmen wenn das Lösegeld bezahlt ist, wird nie gehalten! |
"Ordonnanz von Compiegne":
Zur Sicherung der Lösegeldzahlungen wird eine Goldmünze geprägt : der Franc .
Die Silberwährungen werden an diese neue Münze gekoppelt in der Absicht die Inflation zu unterbrechen.
Festlegung von Abgaben auf Waren des täglichen Bedarfs und Erhebung einer Salzsteuer.
Vom König werden dabei oft die Worte "...unser Volk ..." benutzt, jedoch markiert es
den Beginn einer dauerhaften Besteuerung der französischen Bevölkerung! |
September 1363 |
Erneute Anhebung der Steuern für die "Restzahlungen" des Lösegeldes. |
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Dezember 1363 |
Einführung der Steuer auf jedes Herdfeuer, die fouage! |
Herdsteuer |
1360...1370 |
Pest, Hunger, marodierende englische Truppen und ständige Aufstände verwüsten das Land. |
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22.April 1370 |
Grundstein für die Bastille in Paris gelegt.
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2. Personenregister
Calle, Guillaume, (auch: Karle,Cale, Carle oder Caillet)
Ein Anführer der aufrührerischen Bauern. Wahrscheinlich ein mittelständischer Bauer
im Beauvais nördlich von Paris. Er kannte auch das Kriegshandwerk und mußte in einem
Heer gedient haben. Calles Ursprünge sind uns aber unbekannt. Wir wissen auch
nichts über sein Alter und seine Familienverhältnisse.
Calle ging es vornehmlich um den Schutz der Landleute vor den gewalttätigen Übergriffen durch in- und
ausländische Adlige. Die Rebellion schien außerdem eine Idee zu enthalten:"Es muß eine Welt ohne Edelmänner
möglich sein!"
Als Anführer seiner Bauerntruppen wurde er zu Verhandlungen vom König von Navarra eingeladen,
ihm sollte sicheres Geleit gewährt sein! Dabei wurde Calle gefangen genommen, gefoltert, mit einer glühenden
Krone "zum Bauernkönig ernannt" und am
10. Juni 1358 enthauptet oder erschlagen.
Dauphin,
Sohn Johann II. Kronprinz, der spätere König Karl V. , auch Karl der Weise genannt.
Eduard III.,
englischer König (1327-1377); er wird der Begründer der englischen See- und Wirtschaftspolitik genannt, erhob
als Enkel Philipps des Schönen Anspruch auf den französischen Thron.
Etienne Marcel,
Sprecher der Pariser Kaufleute, ab 1356 Bürgermeister der Kommune von Paris.
Gemeinsam mit Bischof Lecoq spielte er eine dominierende
Rolle in den versammelten Generalständen und verkündet die Forderungen der Handelsherren.
Am 22.Februar 1358 erstürmten die Pariser Massen unter seiner
Führung den Palast.
Marcel verbündet sich mit den aufständischen Bauern der "Jacquerie".
Am 31.Juli 1358 wird er in der Stadt von einem aufgebrachten Mob ermordet.
De Grailly, (Jean III.),
adliger Vetter des Grafen von Foix.
Wechselte während des Krieges tapfer zwischen französischer und englischer Seite, kämpfte jedoch besonders
gern gegen aufständische Bauern.
Foix, Gaston Phoebus,
ein Graf in den Pyrenäen und Gouverneur des Languedoc, vom Chronisten beschrieben als "Ideal der Ritterlichkeit".
Verräterisch wie alle Adligen unterhielt er Kontakte zum englischen König.
Ihm wird Brutalität und Strenge nachgesagt und er hat vermutlich seinen eigenen Sohn getötet.
Als Jagdliebhaber schreibt er ein "Buch über die Jagd", die Kunst der
französischen Buchmacher macht es zu einer bibliophilen Kostbarkeit.
Besonders hervorgetan hat er sich aber in der Jagd nach aufständischen Bauern.
Jacques Bonhomme
(deutsch: dummer Jacob, Hans Trottel, blöder Tölpel)
von französischen Adligen geprägte Bezeichnung für die Bauern.
Tausende dieser namenlosen "Trottel" fegten drei Wochen lang die Adligen aus ihren Nestern in
der Gegend von Beauvais und Clermont, in den Landschaften Brie, Soisonnaise,
Laonnaise und an den Ufern der Marne und Oise.
Johann II., König von Frankreich ("der Gute").
Wie oft in der Geschichtsschreibung sind die Begriffe falsch besetzt durch spätere Schreiberlinge.
Johann II. war verschwenderisch, unfähig und aufbrausend. Ihm werden etliche Totschläge im Affekt
nachgesagt und außerdem "geistige Leere".
Einem merkwürdigen Ritterideal folgend gerät er zweimal in englische Gefangenschaft, wobei hohe
Geldforderungen an das französische Volk entstehen. In England stirbt er aber
nicht an Entbehrungen sondern an maßlosen Exzessen seiner Lebensführung!
Kein späterer König von Frankreich wird den Namen Johann tragen !
Karl II. (Karl der Böse),
ist König von Navarra und Graf von Evreux und Herzog der Normandie. Als Schwiegersohn von JohannII.
ist er der adlige Gegenspieler zum Sohn von Johann II. , dem Dauphin Karl.
Er paktiert gerne mit Eduard III. von England und ihm wird die Planung eines Zweifrontenkrieges
gegen Frankreich und die Aufteilung des Königreiches unterstellt.
Poilevilains, Jean,
zuständig für die Geldpolitik Johanns II. Man darf ihn als Organisator und Erfinder verschiedenster
Steuererhebungen bezeichnen. Zeitweilig wegen seiner desaströsen Inflationspolitik inhaftiert, wird
er jedoch 1361 erneut zum "maitre general des monnaise" ernannt.
Prinz von Wales,
der Sohn König Eduards III. von England. Dieser "Schwarze Prinz" (1330-1376) zeichnete sich besonders durch
seine Plünderungszüge in Frankreich aus. Dank seiner Bogenschützen wurde er Sieger in der Schlacht
von Crecy. Der tapfere Ritter scheute sich nicht, über dreitausend unzufriedene Einwohner der Stadt Limoges
niederzumetzeln.
Robert Le Coq, Bischof von Laon, Pair de France (auch Lecoq).
Der Kirchenmann machte gemeinsame Sache mit dem Sprecher der Kaufleute Marcel und hielt
aufrührerische Reden in der Versammlung der Generalstände. So fordert er die Verbannung königlicher Ratsmitglieder.
Auch behauptet er, König Johann habe seine Frau getötet (ein adliges Eifersuchtsdrama).Deswegen
später vom Dauphin angeklagt, muß er aus Frankreich fliehen.
Soulas, Jean,
der Bürgermeister der Stadt Meaux verbündete sich mit den Aufständischen. Seine Stadt war in Aufeinanderfolge
von Plünderungen, der Pest und Hungersnöten schwer betroffen. Nach der Niederlage wurde er hingerichtet.
3. Karte zum Aufstandsgebiet
(1)
4. Bauern und Bürger gegen Kriegssteuern und Geldentwertung
Das alte Europa hat ungeheure Katastrophen erlitten in seiner Geschichte.
Es waren die Schicksalsprüfungen der Pestepidemien und Hungersnöte, die Schrecken von Völkerwanderungen und Kriegen.
Es überwand elendste Armut seiner Bevölkerungen. Auch die brutalsten Übergriffe seiner Beherrscher.
Und es wurde stets neu geboren bei den gesetzmäßig hervorgehenden Aufständen und Revolutionen.
Unzweifelhaft war eine der schlimmsten Katastropen der Hundertjährige Krieg (1337-1453).
Seine Historie dient uns besser als grandioses Beispiel für Habgier, Verlogenheit und Unfähigkeit der Herrschenden
denn als Schauspiel ihrer angeblichen Ritterlichkeit. Berühmt und berüchtigt der Verrat an Jean d'Arc (1431), der aber erst
dreiundsiebzig Jahre nach den Ereignissen, von denen hier die Rede ist, stattfand.
Es ist eine andere Episode aus den hundertsiebzehn Jahren Krieg, die hier erzählt wird. Bürger und
Bauern kämpfen darin um gleiche Ziele. Es ist ein zeitweiliges gemeinsames Kämpfen und
es wird sich nicht allzu oft in der Geschichte wiederholen. Vielleicht sollte deswegen die "Jacquerie" in
Vergessenheit geraten.
Der 4-Millionen-Deal zweier Könige
Am Anfang standen die militärischen Niederlagen Frankreichs. Egal, worum der Krieg geführt wurde, Tatsache ist
die Reihe verlorener Schlachten durch den französischen Adel. Tatsache ist auch die Gefangenschaft des französischen
Königs in englischer Hand. Und egal, wer die Herrschaft übernehmen würde, Tatsache
ist, das die Bevölkerung die Kosten dafür tragen sollte! Aber noch gab es in Frankreich
keine ständigen Steuern! Es ist bemerkenswert, in der Geschichte eine Zeit zu
finden, in der es keine ständigen Steuern gab.
Doch die Bevölkerung, Bürger wie Bauern, wurden bereits schwer gebeutelt. Die Pest halbierte die Zahl
der Bewohner von Städten und Gemeinden. Hungersnöte wurden noch verschärft durch Abgaben. Das
Geld, immer wertloser, befand sich fast nur noch in den Händen weniger Kaufleute.
Und zu alledem startete das englische und französische Königtum einen neuen, alle bisherigen Größenordnungen
sprengenden Deal: Wenn die Franzosen ihren König Johann II. zurückhaben wollten, sollten sie 4oooooo
ecus dafür zahlen!
Die Generalstände
Als sich um 1302 das französische Königtum mit dem Papst überworfen hatte, verband es sich mit der Kaufmannschaft,
weil die über Geld verfügte. So entstand die Einrichtung der Generalstände, eine Art Parlament der
Vertreter dreier Stände: Adel, Geistlichkeit und Kaufleute, selbstverständlich keine Bauern!
Als der Dauphin die Generalstände 1356 zusammen rief, war es also schon eine gewisse Tradition.
Der Sohn Johanns, Dauphin genannt, wäre gerne selber König und hatte eigene Ambitionen.
Die Einberufung der Generalstände sollte ihm wie anno 1302 der Geldbeschaffung dienen,
die Abstimmung darüber gedachte er zu einem Schauspiel zu degradieren.
Aber anders als damals stand eine neue Frage im Raum:
Wollten die Bürger Frankreichs zu diesem Preis ihren König wirklich zurück?
Für die Handelsherren galt der "etats generaux" nicht als Theater. Sie verstanden
die Versammlung als Mittel, um Einfluß auf die französische Politik nehmen zu können.
Und sie diskutierten im Gremium die Schuldfrage der militärischen Niederlagen.
Unberechtigt war das nicht. Die plündernden englischen Heere des Schwarzen Prinzen
brandschatzten mit Absicht besonders brutal im Land um den
Einwohnern zu zeigen, das französische Fürsten sie nicht beschützen konnten oder nicht beschützen wollten!
Ausgerechnet dieser französische Adel nannte die Bauern "Jacques Bonhomme" - also dummen Jacob.
Das bekamen nicht nur die Bauern zu spüren an Leib und Leben. Auch Städte waren in Feindeshand und Handelstrassen
gesperrt. So waren die Bezichtigungen
verständlich, die sich der Adel von Bürgern und Landleuten
gefallen lassen mußte: nicht einmal ihrer einzigen Aufgabe kämen diese Herren nach,
nämlich der, das Land vor den Eroberern zu schützen!
Das sagte sogar ein nicht ganz unwichtiger Mann der Kirche: der Bischof von Laon, Robert Lecoq, ein
alter Advocat du roi im Parlament. Und er forderte die Verbannung von königlichen Ratsmitgliedern, die er
des Verrats beschuldigte!
Doch es gibt noch schlimmere Vorwürfe. Auch der Verdacht, das die Fürsten mit den Engländern gemeinsame Sache
machten, war nicht aus der Luft gegriffen. Unter den Rittern wurde es üblich , sich lieber
gegenseitig "ehrenvoll" gefangen nehmen zu lassen. Das bot Vorteile, man blieb am Leben und man konnte
sich das Lösegeld teilen.
Noch verwegenere Pfade schien der König von Navarra zu schleichen. Diesem Schwiegersohn
des Königs Johann, der ausgesprochen ungern mit dem Dauphin verkehrte, schwebte ein eigenes Frankreich vor.
Daher paktierte er wahrscheinlich direkt mit dem englischen König Eduard.
Wer wird König?
Und die Kaufmannschaft spekulierte über die Frage: Wer wird König ? Die fünf Anwärter kann man an einer
Hand leicht abzählen:
Daumen: Bleibt es Johann II.? Der war gefangen und selbst als Häftling sehr teuer!
Zeigefinger: Oder gehört die Krone schon seinem Sohn, dem Dauphin? Dessen Gier nach dem Thron war allbekannt.
Aber er müßte dann seinen Vater absetzen wozu ihm gewiß der nötige Mut fehlte!
Mittelfinger: Karl der Böse, der schon den Titel "König von Navarra" trug? Dann konnte man sich gleich den Engländern
unterwerfen!
Ringfinger: Also Eduard? Den englischen König wünschten sich bereits die Aufrührer in den Städten Flanderns, aber Eduard
würde eher seinen Sohn vorschieben. Den plündergierigen "Schwarzen Prinzen" sah selbst dieser Vater nicht gern in
seinem Inselreich!
Kleiner Finger: Dann für die weitere Zukunft den Black Prince of Wales? Aber der zog dermaßen raubend und
mordend durch das französische Land, das den nun keiner haben wollte.
Welcher König sollte es also sein?
Je nach Ambitionen entschieden sich die Kaufmannsfraktionen für die eine oder die andere
politische Richtung. Aber in einem waren sich alle Handelsherren einig: eine stabile
Währung mußte her! Schluß mit den primitiven Geldschneidereien durch das Königshaus!
Seit 1350 wurde die Silberwährung 39 mal abgewertet.
Aber mit Geld, das laufend seinen Wert verlor, konnte man keine Handelsbeziehungen aufrecht
erhalten. Und es war ihr Geld, das an Wert verlor!
Um alle diese Unwägbarkeiten in den Griff zu bekommen, beschlossen die klugen Männer der
Generalstände eine ganze Liste von Forderungen und als sie dem Dauphin zu Ohren kamen, beeilte er sich,
die Vertreter der
Städte zu entlassen und die Generalständeversammlung zu beenden.
Doch die Pariser Bevölkerung war längst in Unruhe. Durch die Nöte des Krieges in Erregung versetzt,
waren sie nicht mehr allzu nachgiebig für den Königssohn. In der erneut zusammengetretenen
Generalversammlung billigte der Dauphin zähneknirschend die Forderungen der Empörer mit
dem sogenannten "Großen Erlaß".
Der "große Erlaß" (die "große Ordonnanz")
Erst einmal erzwangen sich die Stände das Recht, sich auf eigenem Wunsch und ohne Befehl des Königs
versammeln zu können. Dann ging es ihnen um die Entlassung unfähiger königlicher Beamter.
Die Steuerfreiheit des Adels war abzuschaffen wie auch allehand Mißbräuche, die die Ritter sich so gern erlaubten.
Und schließlich mußte stabiles Geld her, mit dem man rechnen konnte und Handel treiben! Also mußte eine
eigene Aufsichtsbehörde über die Finanzen gebildet werden, die die Einnahme und Ausgabe der Steuern bestimmen konnte.
Die Städtevertreter brachte also angesichts der militärischen Niederlagen den Mut auf, dem Königshaus noch
eine politische hinzuzufügen. In der Hauptstadt avancierte zu ihrem Sprecher der Meister der
Kaufleute, Etienne Marcel, weil er genügend Beredsamkeit und Entschlußkraft bewiesen hatte.
Ihm folgten bewaffnete Handwerker und Arbeiter, als er den königlichen Palast stürmte und genau das tat, was immer
notwendig ist, wenn man politische Forderungen stellt: man mußte ihnen Nachdruck verleihen!
Aber ungewollt begingen Marcels Leute zwei Fehler, die sich in der Revolution von 1789 nicht wiederholen werden.
Zum einen riefen sie den Dauphin zum Regenten aus. Und dann ließen sie den Regenten ziehen,
als der sich angesichts einer tödlichen Abrechnung an zwei unfähigen Marschällen aus seiner
Hauptstadt heimlich entfernte.
Dadurch wurde die Lage der Hauptstädter schwierig!
Der Dauphin nahm den Kampf gegen die aufrührerischen Pariser auf, konspiriert gegen Marcel und gegen
die Ständeversammlung.
Da zeigt sich ein Hoffnungsschimmer. Draußen auf dem Land griffen die Bauern
für Kaufleute und Adel völlig unerwartet, zu den Waffen und rechneten mit ihren
Herrschaften ab, da diese ohnehin das Land nicht vor den Engländern zu schützen vermochten.
Der Bauernaufstand
Wenn man es historisch detailgenau nimmt, begann die Revolte mit einer profanen Kneipenschlägerei!
Im Dorf von Sankt Leuen kriegten sich die Bauern mit betrunkenen Infanteristen das Prügeln und anschließend
eskalierte das Ganze!
Fast explosionsartig weitete sich die Aufruhr aus! Erst von Dorf zu Nachbardorf, dann von den Dörfern in die
Nachbarstädte usw.
Und diesmal machten die Bauern ernst! Das Maß war voll! Die Herrschaften, die ihre Bauern Trottel
nannten, hatten es ja nicht
nur unterlassen, ihre Landeskinder vor den marodierenden Engländern zu schützen, nein , sie mußten
in völliger Verkennung der Realität ihre Untertanen auch noch selber ausplündern, vergewaltigen und morden.
Das bekamen die Fürsten jetzt zurück! Schlösser der
feinen Herren gingen in Flammen, abgerechnet wird mit der ganzen Bagage, auch mit deren Frauen und Kinder!
Denn der ganze verdammte Adel mußte weg. Der hatte keine Vorstellung von der Härte des Arbeitslebens
der Bauern, von ihren Sorgen um die Ernten und ihren Ängsten vor den Plünderungen. Es mußte auch ohne Adel gehen!
Das sagte einer,
dessen Name uns überliefert ist, Guillaume Carle. Der versuchte die Bauern zu sammeln und zu organisieren.
Wahrscheinlich hatte er einmal im Heer gedient und er setzte seine Helfer an die
Spitze einzelner Bauernabteilungen.
Diese Haufen zogen durch die Landschaften der Oise, von Schloß zu Schloß und gaben
den Herrschaften Unterricht durch Feuer und Schwert. Sie hielten sich dabei nicht lange auf!
Sie hatten es eilig - sie hatten viel abzurechnen!
So begann also am 21.Mai 1358 die "Jacquerie" in der Compiegne und
sie erfasste das ganze Gebiet im Nordosten Frankreichs. Abrechnung ist das richtige Wort, denn die Bauern
hatten kein Programm, ja nicht einmal politisch klare Ziele wie etwa die Kaufleute in Paris, die
ziemlich genau wußten, was sie wollten. Alles Blutvergießen, alle Widerwärtigkeiten, die der losbrechende
Zorn mit sich brachte, war letztlich nur ein Spiegelbild dessen, was die Menschen auf dem Land in jener
Zeit lange Jahre erdulden mußten. Jetzt war es an ihnen, den Adel spüren zu lassen, wie es
sich anfühlt, wenn man aufgespießt wird vor der eigenen Familie, wenn Frauen und Kinder ermordet werden
und die Häuser brennen.
Den Anspruch auf Herrschaft hatte diese herrschende Klasse längst verloren. Beschützen konnte sie ihre
Untertanen nicht und arbeiten wollte sie nicht.
Und so rannten die Herrschaften davon. Die "Tölpel" trieben sie durch Laonnaise und Soisson, über
die Marne und durch das Beauvoisin. Und dabei riefen sie den Rittern nach :"Ihr seid eine Schande für
das Königreich!" So berichtet es uns jedenfalls der Zeitgenosse und Dichter Froissart.
Doch nicht das massenhafte Blutvergießen macht uns jenes Jahr so bedeutsam, sondern die
gleichzeitigen Vorgänge auf dem Land und in der großen Stadt Paris.
Der Adel vereinigt sich, die Städter zerstreiten sich
Guillaume war sich durchaus bewußt, das seine Bauern die Unterstützung der Städte brauchten.
Aber in den Städten galt es nicht gleichermaßen. Die Stadtarmut stand zweifelsohne auf
der Bauernseite. Die reichen Kaufleute spürten in sich jedoch mehr als ein Unbehagen angesichts der
Schlagkraft der Bauernhaufen.
Nur der Pariser Bürgermeister Marcel wollte diese Kraft nutzen, um die adligen Burgen zerstören zu lassen, von denen
aus die Lebensmittelversorgung der Stadt unterbrochen wurde. Er verhandelte mit den Aufrührern und
entsandte auch Truppen, aber ungeübte und schlecht ausgebildete.
Wenigstens in einer Frage war er sich mit den Landleuten einig: es kann nicht so weiter gehen mit der Kriegsführung!
Aber am 9.Juni 1358 wurden die untrainierten Pariser bei Meaux besiegt durch Truppen der Grafen von Foix
und De Grailly. Der Bürgermeister der verbündeten Stadt, Jean Soulas wurde gehängt und Meaux
zwei Wochen lang den Flammen ausgesetzt damit nichts mehr übrig blieb vom Aufruhr.
Anders der Adel, der zu begreifen schien, was er zu verlieren hatte.
Für diese Herren wurde es auf Gedeih oder Verderb erforderlich, sich im Klassenhaß auf die Bauern zu einigen.
Sie stellten ihre internen Intrigen zurück und die französischen Soldaten machten sich mit
ausländischen Söldnern gemein:
zuallererst die Bauern niederwerfen, alles andere später! Im Norden Frankreichs sammelten sich die Truppen
der Gutsherren und der Söldner aus Flandern und Deutschland gemeinsam mit englischen Abteilungen um den französischen
König von Navarra. Sein adliger Gegenspieler, der Dauphin nahm sich Paris vor und organisierte Unruhen in der Stadt.
Dabei hatte er es leicht, weil die Städtevertreter aus verschiedenen Landesteilen auch
verschiedene Interessen vertraten. Einige waren unzufrieden über die führende Rolle der Hauptstädter, andere empfanden
die Steuererhebungen, die die Generalversammlung ja auch beschloß, für ihre Genmeinden als zu drückend und ungerecht verteilt.
Und für die Masse der Städter, auch der Pariser, war die Regierung der Generalstände nicht besser als die königliche!
Die "Ritterlichkeit" des Adels
Am 10.Juli wurde Guillaume zu Waffenstillstandsverhandlungen nahe der Stadt von Mello eingeladen.
Schlimmer noch:
an diesem Tag gab der König von Navarra seinen Untertanen ein anschauliches
Beispiel von Ritterlichkeit! Mit unglaublicher Falschheit lockte er den Anführer der
Bauernhaufen, Guillaume Calle, in einen Hinterhalt. Angeblich wollte er verhandeln. Im naivem Glauben an die
Aufrichtigkeit seiner Gegner ließ sich der alte Ex-Soldat Guillaume gefangen nehmen und wurde sofort in Eisen geworfen.
Die führungslosen Bauern, denen man friedlichen Abmarsch versprach, wurden vernichtend geschlagen,
Guillaume Calle gefoltert und enthauptet. Anschließend begann man die Gefangenen zu massakrieren.
Bevor sie abgeschlachtet wurden, antworteten die Gefolterten auf die Frage, warum sie revoltierten:
"Wir taten nur, was wir gesehen hatten, das man uns antat!" Und Guillaume Calle hatte ihnen gesagt:"Es geht auch ohne Adel!"
Nicht weit von Clermont ließ der König von Navarra mehr als 3000 Bauern in die Bäume hängen!
In der Folgezeit wurden ganze Landstriche verheert, Ernten vernichtet und unschuldige Bewohner
zu Tausenden von rachsüchtigen Edelleuten ausgerottet. Es sollen an die 20000 gewesen sein, die dabei ums Leben kamen.(2)
Nach der Niederlage
Nach den Niederlagen der Bauern herrschte in Paris Streit.
Die Heimlichkeiten der Spione des Dauphins trugen Früchte. Bürgermeister Marcel, der immer noch Karl von Navarra
die Tore öffnen will, wurde in Tumulten von seinen eigenen Leuten erschlagen, am 31. Juli 1358, sei es aus Furcht vor den
Greueltaten Navarras oder durch Vermutungen über Marcels Absichten für England.
Die Hauptstadt unterwarf sich dem Dauphin.
Die Besteuerung Frankreichs wurde von nun an noch drastischer. Seuchen, Hunger und marodierende englische
Truppen blieben im Land. Der Krieg ging weiter. Es gab Gegenden, die sich Menschengenerationen lang davon
nicht mehr erholen werden...
Allerdings erhielten die Kaufleute tatsächlich ihre Goldwährung! Der Franc wurde geprägt. Alle Silberwährungen
waren an ihn gekoppelt. Mit der Goldwährung kamen die Steuern auf Waren des täglichen Bedarfs, auch eine
neue Salzsteuer, dann eine ganz ungewöhnliche Steuer: die ist zu zahlen auf jede Feuerstelle im Haus! Später noch
eine Immobiliensteuer usw.
Und das alles, obwohl die Krone versprach: wenn das Lösegeld für Johann II. bezahlt ist, nimmt man die Steuern zurück.
Dieses Versprechen hatte man offensichtlich vergessen. Die Zeit, in der es keine ständigen Steuern gab,
war einfürallemal vorbei!
Nicht vergessen wurde die vorsorgliche Errichtung eines riesigen Gefängnisses für revoltierende
Untertanen: die Bastille...
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Notizen zur Jacquerie ♦ 29.10.2007 ♦ überarb. 16.05.2014 ♦ Dipl. Ing. Hans Holger Lorenz ♦ To WB
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