Der Aufkauf "niemand gehörenden Bodens"
im 19. Jahrhundert
am Beispiel der Landprivatisierung im Gebiet von Palästina
- Landraub, definiert als "Wegnahme von Grund und Boden" ist mit dem Zusatz "rechtswidrige
Aneignung" versehen. Am leichtesten läßt sich also Land dem bisherigen Besitzer rauben,
wenn man eine entsprechende "Gesetzlichkeit" herstellt. Das Gleiche gilt für den
Besitz von Wasser etc. In der Moderne kennen wir das auch für Elektrizität, kommunalen
Wohnraum, öffentlichen Verkehr oder beim Gesundheitswesen, den
Krankenkassen und den Rentenfonds.
So finden wir gegenwärtig Beispiele speziell in
den 1990er Jahren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und nach der "Vereinigung" in der gesamten BRD.
Entzückende Verhältnisse jetzt auch in Osteuropa. Schlimme Fälle
zeigen sich im ganzen Afrika, in Brasilien und in Indien.
Ein vorzügliches Muster, wie der Raub am Allgemeingut durch "Privatisierung"
durchgeführt wurde, bietet uns das Vorgehen im Gebiet von Palästina im 19.Jahrhundert!
Im gewissen Sinne ist der Kriminalfall großen Stils heute noch nicht beendet.
- Im Gebiet um Palästina hatten sich die verschiedenen Kulturen im Lauf von etwa zwei Jahrhunderten
relativ friedlich beeinflußt. Dieses Neben- und Miteinander
zerbrach abrupt im 19.Jahrhundert durch die Landnahmen einwandernder Europäer.
Die Rechtfertigungslegende für den kolonialen Landraub jener Zeit behauptete, das die
systematische Erschließung durch Besiedlung des öden, rückständigen und menschenleeren
Landes notwendig sei. Alles wurde mit religiösen Formeln verbrämt.
Karl Marx schrieb 1854: "Alle verschiedenen ... Sekten, die sich um das Heilige Grab
gruppieren, verbergen hinter ihren religiösen Forderungen ebenso viele politische und
nationale Nebenbuhlschaften."
Diese Interessen entpuppten sich bald als neue "Gesetzlichkeiten", als "Landvermessungen" und
als "Notwendigkeiten bürokratischer Eintragungen". Die Erzwingung der "Eintragungen" ging
einher mit neuen hohen Steuererhebungen und Strafandrohungen. Dann wurde eine merkwürdige "Bodenreform"
eingeleitet. Sie sollte den Aufkauf des "niemand gehörenden Landes"
durch Notable und ausländische Geldgeber (1867) ermöglichen und eine
Verpachtung des parzellierten Bodens an arme Bauern sichern.
- Der Trick der Enteignung bestand in der Einführung neuer Steuern, zu zahlen vor der Ernteeinbringung und auf
Geldbasis.
Der plötzlich einsetzende Bargeldbedarf zwang die Pächter zum Verkauf ihrer ganzen Habe als
"Schuldzahlung".
Jetzt konnten die Ländereien von den Großgrundbesitzern und ausländischen "Kapitalgebern"
übernommen werden.
- Ganz ohne Widerstand ging es offenbar nicht. Schon im Jahr 1834 führten Versuche, die Bevölkerung zu
entwaffnen, zu Aufständen, bei denen die revoltierenden Bauern auch Jerusalem plünderten.
- Eine sogenannte "Bodenrechtsreform" formalisierte 1858 den Besitzerwerb und die Übertragung von Land.
Klar definierte Rechtstitel und "Besitzrechte" standen dabei ungenauen Vermessungen gegenüber.
"Unbestelltes Land " fiel nicht mehr an den Staat zurück!
Die sich neu entwickelnden Widersprüche zeigten sich ua. in der Zurückhaltung der
Bauern und Beduinen, sich auf eigenem Namen im "Grundbuch" eintragen zu lassen, wie es das neue Gesetz
vorschrieb. Es waren sehr reale Zwänge, denen sie dabei folgen mußten: denn mit einer Eintragung
stand eine hohe neue Steueranforderung und eine Verpflichtung zum Militärdienst!
Die Steuern waren mit Bargeld zu bezahlen, über das diese Bevölkerungsschicht garnicht verfügte!
Erfolgte keine Eintragung in das Grundbuch, so bedeutete das den Verlust des Besitzrechts.
Folgte man aber dem Gesetz, so hieß das Verlust des Bodens, weil nur ein Landverkauf den nötigen
Bargeldbesitz ermöglichte.
Schlimmer noch war die Tatsache, das die Eintragungen in den seltensten Fällen Karten oder andere präzise
Angaben enthielten.
So ergaben sich stets undurchsichtige Eigentums- und Steuerverhältnisse!
Es war das Grundprinzip dieser Verordnungen: unklare Verhältnisse schaffen und eine Art Unordnung
schriftlich zu fixieren, die später als "Beweislast" dienen konnte!
- Zu den schlimmsten Auswirkungen dieser neuen "Gesetzlichkeit" zählte
1 . das Entstehen von Großgrundbesitz (vor allem im Negev)
2. die Privatisierung des bislang gemeinschaftlich genutzten Weidelandes!
3. die Abschaffung der traditionellen Gewohnheitsrechte für die freie Benutzung des Wassers!
- In anderen Landesteilen kam es tatsächlich zur Parzellierung des Bodens an kleine und
mittlere Bauern. Sie konnten durchaus von der steigenden Nachfrage nach landwirtschaftlichen
Produkten in Europa profitieren. Aber gerade deswegen entstanden auf Seiten der Großgrundbesitzer
und ausländischer "Kapitalgeber" neue Begehrlichkeiten! Diese neue Habgier entwickelte
nun eine andere Variante des Teufelskreises für die Bauern!
Aus der Kenntnis heraus, das in vielen Fällen der Handel noch ohne Bargeld erfolgte,
forderten neue Gesetze jetzt auch noch die Bezahlung des Saatguts, des Viehs und der Arbeitsmittel
in Bargeld! Um also diese lebensnotwendigen Auslagen bar bezahlen zu können,
mußten die Bauern Kredite aufnehmen, zumal die Steuern jetzt vor der Ernte zu entrichten waren!
Keine Seltenheit stellten Zinsen von 30 Prozent dar!
Die neue wachsende Verschuldung der Bauern erzwang die Veräußerung von Land, das sie gerade
in den Grundbüchern unter hohen eigenen Aufwendungen eingetragen hatten.
Und so ist es logisch, das seit 1886 die bewaffneten Zusammenstöße zwischen
Bauern und Neusiedlern Umfänge annahmen, das man glaubte, diese historisch
dokumentieren zu müssen.
- Mehrere Historiker schreiben heute, das die einsetzende Landflucht durch diese Form
der Verarmung zur "Proletarisierung der Landbevölkerung" führte. Die Realität
sah weit schlimmer aus. Im Gegensatz zu Europa, wo im Ablauf von zwei Generationen wenigstens
die Wirkungen der Industrialisierung spürbar wurden, entstand in den palästinensischen
Gebieten eben keine Großindustrie und es entwickelte sich eine noch gravierendere Form des Pauperismus
als jene in Europa, die dort ohnehin für zwei Menschengenerationen von entsetzlicher Natur war.
- Es verwundert nicht mehr, das im Jahr 1867 per Gesetz Ausländern das Recht eingeräumt wurde,
Land zu erwerben.
Umwege der Besitznahme über einheimische Großgrundbesitzer waren nicht
mehr nötig.
Der "Landkauf" erfolgte so aggresiv, das selbst Jerusalemer Notabeln (einheimischer korrumpierter
Beamteadel) 1891 eine Petition einreichten, die gegen Landkauf und Raub von Weide-und Wasserrechten
Einspruch erhob.
- Dennoch ging die verschärfte Form der Bauernenteignung weiter: Zwischen 1894 und
1907 wurden im Ausland Fonds gegründet, deren "Spenden" zum
Landkauf für die Neusiedler dienten. Die einheimische Bevölkerung
durfte auf deren Feldern nicht mehr arbeiten.
In den gleichen Jahren erfolgten neue Vermessungen, eine Erfassung der
Wasservorräte und aufwendige Analysen der Bodenbeschaffenheit.
Die Enteignung der einheimischen Bauern ist von nun an trotz kommender Aufstände nicht mehr
aufzuhalten. Die Formel des Earl of Shaftesbury, die er in den
1840er Jahren für die "Zivilisierung" Palästinas mit dem Satz prägte : " a land without a people for
a people without land" fand ihre schiksalhafte Verwirklichung und war doch eine
einzige große Verleumdung. Denn dieses Land hatte Volk! Und die Bauern hatten Land!
- Zeittafel
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(HHL 15.9.2006)